Die ÖVP könnte bei der Landtagswahl in Niederösterreich am 29. Jänner noch drastischere Verluste erleiden als bisher angenommen. Meinungsforscher Wolfgang Bachmayer (OGM) hält auch ein Abrutschen unter die 40-Prozent-Marke für ein realistisches Szenario, die aktuellste OGM-Umfrage für den "Kurier" (Sonntag-Ausgabe) sieht die ÖVP bei nur mehr 37 Prozent. "Der 40er ist nicht abgesichert", sagte auch Peter Hajek (public opinion strategies/unique research) gegenüber der APA.
Die Umfragen attestieren der ÖVP-Landespartei allesamt dramatische Verluste: Während Landesparteichefin Johanna Mikl-Leitner bei ihrem ersten Urnengang 2018 noch 49,63 Prozent und damit die absolute Mandatsmehrheit einfahren konnte, rutscht die Partei in mehreren jüngsten Sonntagsfragen auf unter 40 Prozent.
"Absolute" schon lange kein Thema mehr
Neben der OGM/Kurier-Erhebung (1048 wahlberechtigte Niederösterreicher ab 16 Jahren/online-Befragung), die die VPNÖ bei nur mehr 37 Prozent sieht, weist auch eine aktuelle Umfrage des market-Instituts für den "Standard" die Landes-VP mit nur mehr 39 Prozent aus. Eine Erhebung der Lazarsfeld Gesellschaft für die Tageszeitung "Österreich" sah die ÖVP zuletzt bei 38 Prozent.
Dass die Verluste sehr stark ausfallen dürften, zeichnete sich schon in vorangegangenen Umfragen ab - etwa in jener von Hajek/Unique research vom 13. Jänner, die 40 Prozent für die Volkspartei ergab. Aber auch deutlich ältere Erhebungen, etwa eine OGM/Kurier-Umfrage vom Mai 2022, zeigten mit 42 Prozent bereits den klaren Trend nach unten für die niederösterreichische ÖVP. Das Halten der absoluten Mandatsmehrheit für die Landespartei ist damit schon lange kein Thema mehr.
"Keine ausreichende Distanz zur Bundespartei"
Im APA-Gespräch verwies Bachmayer darauf, dass etwa das Zuwandererthema eine "unglaubliche Schubkraft" biete, und auch andere Bundesthemen wie die Teuerung würden der ÖVP schaden. Darüber hinaus sei es der Landespartei trotz aller Bemühungen nicht gelungen, eine ausreichende Distanz zur "nicht so beliebten Bundes-ÖVP" aufzubauen - den Grund dafür verortet Bachmayer, wie auch Hajek, in den starken personellen Verbindungen zwischen der Landespartei und der Bundespartei, kommt doch ein Gutteil der türkisen Regierungsmitglieder aus der niederösterreichischen ÖVP.
Darüber hinaus schade der ÖVP auch die Affäre rund um ORF-NÖ-Landesdirektor Robert Ziegler aus seiner Zeit als Chefredakteur, betonte Bachmayer. Kritik an Ziegler war schon Mitte Dezember aufgekommen: Laut internen Chats und E-Mails soll er sich immer wieder für TV-Präsenz von Mikl-Leitner eingesetzt haben. Ziegler gab seine Zuständigkeiten hinsichtlich der aktuellen Berichterstattung an Ingrid Thurnher ab - vorerst bis zum Vorliegen der Ergebnisse einer Evaluierungskommission. In der vergangenen Woche berichteten dann mehrere Medien über weitere Vorwürfe, ehemalige Mitarbeiter sollen von einem "autoritären Führungsstil" berichtet haben, Ziegler habe die Redaktion über Jahre hinweg zu einer "ÖVP-freundlichen Berichterstattung" gedrängt. Auch wurden E-Mails bekannt, wonach Ziegler 2018 die ÖVP in der NS-Liederbuch-Affäre des damaligen FPÖ-Kandidaten Udo Landbauer beraten haben soll.
Bachmayer rechnet damit, dass diese Affäre nun in der letzten Woche des Wahlkampfes besondere Aufmerksamkeit erfahren wird und sprach von einer "negativen Dynamik" für die ÖVP. Gleichzeitig könne man nicht ganz ausschließen, dass die schlechten Umfragewerte doch noch einen Mobilisierungseffekt für die ÖVP bringen könnten - für allzu wahrscheinlich hält er das aber nicht.
"Hochgradig nervös"
Auch der Meinungsforscher Peter Hajek hält einen Einbruch der ÖVP auf unter 40 Prozent für möglich. Im APA-Gespräch erklärte er, dass diese Marke vor allem eine psychologisch wichtige ist. "Man merkt, dass die Partei hochgradig nervös ist", sagte er mit Blick auf die warnenden Worte Mikl-Leitners beim Wahlkampf-Auftakt Anfang Jänner ("Es steht viel auf dem Spiel"). "Würde die ÖVP bei gesicherten 42, 43 oder 44 Prozent liegen, wäre das nicht der Fall."
Wie auch Polit-Berater Thomas Hofer hält Hajek aber die Aufrechterhaltung der absoluten ÖVP-Mehrheit in der Regierung für noch relevanter als das prozentuelle Ergebnis. Sollte die FPÖ tatsächlich so hoch zu liegen kommen, wie die Umfragen suggerieren, "dann könnte der fünfte Regierungssitz für die ÖVP tatsächlich knapp werden".
Dass die Freiheitlichen ordentlich gestärkt werden, scheint recht sicher: Laut den Umfragen dürften sie von 14,76 Prozent im Jahr 2018 auf 24 (market), 25 (unique research) oder sogar 26 Prozent (OGM) zulegen. Und die Blauen würden laut all diesen Erhebungen die SPÖ überholen, die demnach bei ihrem 2018er-Ergebnis bleiben dürfte. "Die FPÖ ist der absolute Hauptgewinner der Wahl am nächsten Sonntag", sagte dazu Bachmayer.
"Themenkonjunktur spielt FPÖ massiv in die Hände"
Als Gründe für die erwarteten blauen Zugewinne sieht er vor allem das Thema Zuwanderung, auch sonst besetze die FPÖ alle Protestpositionen. "Die Themenlage für die FPÖ ist ideal, FPÖ-Spitzenkandidat Udo Landbauer hat sich erfangen, die FPÖ kann Wahlkampf - das ideale Umfeld für die Freiheitlichen", sagte auch Hajek.
"Die Themenkonjunktur spielt den Freiheitlichen massiv in die Hände", pflichtete auch Hofer bei. Sollte die FPÖ - wie es die Umfragen nahelegen - tatsächlich an der SPÖ vorbeiziehen, dann könne es sein, dass man am Montag nach der Wahl "nicht nur über ÖVP diskutiert, sondern auch über SPÖ", sagte der Polit-Berater zur APA. "Wenn die FPÖ der SPÖ nahe rückt oder gar vorbezieht, dann ist das für die SPÖ-Bundespartei - nicht nur für Herrn Schnabl - der nächste massive Tiefschlag. Dann wäre die Diskussion rund um (SPÖ-Vorsitzende Pamela, Anm.) Rendi-Wagner und (SPÖ-Burgenland-Chef Hans-Peter, Anm.) Doskozil erst recht wieder eröffnet", ebenso die Debatte um die Ausrichtung der Partei.
Die Umfragen sehen die SPÖ bei 22 (unique research) bzw. 23 (OGM, market). Gegenüber 2018 (23,92) wäre das kaum eine Veränderung, möglicherweise sogar ein leichter Verlust.
Eine Stagnation (2018: 6,43 Prozent) müssen laut den Erhebungen auch die Grünen erwarten, die Erhebungen sehen die Öko-Partei bei rund 6 Prozent. Die NEOS könnten vom ÖVP-Absturz eventuell profitieren und gegenüber 2018 (5,15 Prozent) zulegen - OGM und market sehen die Pinken bei 7 Prozent, unique research bei 6 Prozent.