Es hätte eigentlich ein freudiger Auftritt werden können: Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte erst am Mittwochvormittag nach der Regierungsklausur in Mauerbach die Novelle des UVP-Gesetzes, der Abschaffung der gebündelten Altersteilzeit und einer Einigung bei Verschärfungen im Korruptionsstrafrecht, präsentiert. Der frische Schwung, mit dem die Regierung ins neue Jahr starten wollte, war dem Kanzler aber im ZIB2-Studio nicht anzumerken. Stattdessen wirkte der ÖVP-Chef genervt von erwartbar kritischen Fragen.
Dass die Klausur kein glatter Erfolg war, musste dem Kanzler bewusst sein: Statt einer Einigung bei Anreizen für längeres Arbeiten wurde eine Arbeitsgruppe beauftragt. Die UVP-Novelle wollte die Regierung eigentlich schon im Herbst beschließen. Und die Details des neuen Korruptionsstrafrechts werden erst morgen präsentiert. Dass bei der Klausur wenig herausgeschaut hat, wollte Nehammer dennoch nicht hören. Das sei wohl „die Interpretation eines ORF-Moderators“ – die Zuseherinnen und Zuseher sollten sich selbst ein Bild machen.
Sein Gegenüber, ZIB2-Anchor Martin Thür, war bei seinem ersten Interview mit dem Kanzler von dessen Angriffigkeit sichtlich überrascht. Mehrmals musste er nicht nur seine Interviewführung, sondern auch eine bestimmte Wortwahl verteidigen. Warum er glaube, dass es bei der UVP-Novelle nur „kleine“ Änderungen gegeben habe, wollte der Kanzler vom ORF-Moderator wissen. „Das waren die Worte der Klimaschutzministerin“, verteidigte sich dieser.
Schlag auf Schlag
Auf einen gemeinsamen Nenner kam das ungleiche Paar auch nicht bei der Frage, wo die von der Regierung versprochenen Gesetze gegen Krisen, für den Klimaschutz und Informationsfreiheit bleiben würden. Der Kanzler war sichtlich schon mit der Frage unglücklich: Man habe 1066 Gesetzestexte beschlossen „und Sie zählen mir gerade einmal drei auf, die noch nicht beschlossen wurden“. Die Regierungsperiode dauere noch bis 2024 und man orientiere sich auch nicht an den Wünschen der Medien, ließ Nehammer den Moderator wissen.
Die einfache Antwort sei aber: „Die drei Jahre der Koalition waren mehr als bewegt. Wir haben viel mehr Dinge vor uns gehabt, die überhaupt nichts mit dem Regierungsprogramm zu tun haben“ – und diese bewältigt: „Wir haben Rekordbeschäftigung und vorausgesagt wurde uns das Gegenteil.“ Das sei kein Zufall. Aber durch die erfolgreichen Bemühungen der Koalition gegen die Krisen würden sich andere Gesetze womöglich verschieben.
Nicht zum Lachen
Neben Corona, Krieg und Teuerung hatte die Regierung 2022 auch mit einer neuen Migrationsbewegung zu kämpfen. Österreich legte daher sogar ein Veto gegen die Schengen-Erweiterung ein. Ob man sich nicht lieber mit Visa-Verboten beschäftigen sollte, wollte Moderator Thür wissen. Immerhin sei seit dem Ende der Visafreiheit für Inder und Tunesier in Serbien die Zahl der Aufgriffe illegaler Migranten um 70 Prozent gesunken. Der frühere Innenminister setzte zu einer differenzierten Antwort an – und hörte nicht mehr auf.
Das Migrationsjahr 2022
Als Thür nach zwei Minuten unterbrechen wollte und Nehammer das nicht zuließ, musste der Moderator kurz durchschnaufen oder auflachen: „Das ist nicht zum Lachen“, befand der Kanzler, der gerade über die besondere Funktionsweise des indischen Schlepperrings reden wollte. „Ich lache nicht“, meinte Thür. „Also ich weiß nicht, wie die Zuschauer das interpretieren“, schlüpfte der Kanzler wieder in die Rolle des Berichtenden.
Aus dem Veto in den Angriff
Sein Schengen-Veto sei aber „keine parteipolitische oder gar nationalistische Frage, das ist eine sicherheitspolitische Frage“, erklärte der Kanzler – auch die Niederlande hätten sich Österreichs Forderung angeschlossen. „Ungarn interessanterweise nicht“, ergänzte Thür. Nehammer, der gedanklich schon einen Schritt weiter war, nutzte dies für einen weiteren Angriff: „Gerade vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk“ erwarte er sich Besseres.
„Ich verstehe nicht, warum Sie mich die ganze Zeit attackieren“ – er versuche nur, Fragen zu stellen, erwiderte Thür. „Sie machen hier eine Falschbehauptung und sagen, bei Ungarn wird nichts gemacht“, hielt dem der Kanzler entgegen – das hatte der Moderator nur gar nicht getan. „Dann muss sie auch ihre Redaktion vorbereiten vor der Sendung“, erklärte der Kanzler der „Zeit im Bild“ ihre Arbeit. Immerhin habe Ungarn eine große Minderheit in Rumänien und daher ein enges Nachbarschaftsverhältnis.
„Auch hier ein Faktencheck“, begann Nehammer seine Antwort auf die Frage, ob die Operation Luxor, die er als Innenminister noch als Erfolg gefeiert hatte, mittlerweile ein klarer Fehlschlag war. Er sei damals beim Einsatz gewesen, „weil dort die Polizisten waren, die auch bei der Terrornacht im Einsatz waren.“ Aber nicht die Polizei mache die Hausdurchsuchung, sondern die Staatsanwaltschaft ordne sie an, ein unabhängiges Gericht müsse dies genehmigen.
„Was macht uns angreifbar?“
Auch dass die ÖVP keine eigene Aufarbeitung der Korruptionsfälle in ihrer Reihe mache, konnte der Parteichef nicht nachvollziehen: „Ich weiß nicht, wie Sie zu diesem Schluss kommen“, antwortete Nehammer. Man habe auf politischer Ebene für Transparenz gesorgt. Aber warum gebe es keine eigenen Bemühungen der ÖVP, die Fälle aufzuklären, „warum gibt es quasi nur die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen?“, wollte Thür wissen. Das Beinschab-Tool könnte immerhin bis zur Hausdurchsuchung letztes Jahr intakt gewesen sein.
Nehammer verwies hier auf die Interne Revision des Finanzministeriums. Das Kanzleramt habe „sofortige Kooperationsbereitschaft mit der Staatsanwaltschaft signalisiert“. „Und für die Volkspartei ist klar, dass wir uns hinterfragt haben: Was macht uns angreifbar?“ Allein bei einem Rechenschaftsbericht habe man „mehr als 13.000 Meldepunkte“, die man einholen müsse – man sei nun dabei, das so zu reorganisieren, „dass diese Transparenz schneller erfolgen kann“.
Bei Parteifragen ausweichend
Keine klare Antwort wollte Nehammer, der sich an diesem Punkt des Gesprächs deutlich weniger angriffig zeigte, auf die Frage geben, ab wann er andere Beschuldigte aus der Partei ausschließen würde. Die Volkspartei habe dafür den Ethikrat. Außerdem sei ihm besonders wichtig zu betonen: „Es sind ganz viele Verfahren auch eingestellt worden.“ Es gebe nur eine Instanz, die über Schuld und Unschuld entscheide – und zwar unabhängige Gerichte, so der Parteichef der ÖVP, gegen die auch als Verband ermittelt wird.
Überhaupt zeigte sich Nehammer besorgt, dass medial zuerst Beschuldigungen ausgesprochen würden und sich deren Opfer dann selbst in aller Öffentlichkeit verteidigen müsse. Das sei bei Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) durch das Geständnis von Thomas Schmid geschehen. „Das ist eigentlich ein dramatisches Beispiel“, findet Nehammer.
Zum Ende des überlangen Gesprächs lieferte der Kanzler ein letztes Mal keine Antwort: Die Frage, ob daher Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner für ein schlechtes Ergebnis bei der Landtagswahl verantwortlich sei, wollte ihr Parteichef nicht beantworten: Man müsse erst einmal das Ergebnis abwarten, „dann kommt die Analyse“.
Maximilian Miller