Dass Österreich ein echtes Migrationsproblem aufweist, steht außer Zweifel. Obwohl Österreich ein EU-Binnenland ist, stellten seit Jahresbeginn mehr als 100.000 Personen einen Asylantrag. Die erdrückende Mehrheit schlug sich über die burgenländische Grenze nach Österreich durch. 75.000 der Migranten waren gar nicht registriert, obwohl sie ein, wenn nicht sogar zwei oder drei EU-Länder durchquert hatten. Ungarn war nahezu immer dabei.
"Zaun, Mauer – Sie können es nennen, wie Sie wollen"
Im Umfeld des EU-Gipfels haben ÖVP-Regierungsmitglieder die Forderung nach der Errichtung von Mauern oder Zäunen in Europa erhoben. "Ich glaube, wir müssen irgendwann zur Kenntnis nehmen, dass es ohne physische Barrieren nicht gehen wird, dass wir einen ordentlichen Außengrenzschutz haben", meinte Europaministerin Karoline Edtstadler am Mittwoch im Krone-TV. Auf Nachfrage der Moderatorin präzisierte sie, es handle sich um "einen Zaun, eine Mauer – Sie können es nennen, wie Sie wollen".
Nehammer für bulgarischen Zaun
Zum Auftakt des EU-Gipfels in Brüssel am Freitag stieß Bundeskanzler Karl Nehammer ins selbe Horn, wurde aber dabei konkreter. Länder wie Rumänien, Bulgarien und Ungarn hätten die Aufgabe, gerade auch im Interesse von Binnenländern wie Österreich die EU-Außengrenze zu schützen, allerdings passiere dies nur mangelhaft. "Es braucht endlich einen verstärkten Außengrenzschutz, es braucht finanzielle Unterstützung gerade für Bulgarien an der Grenze zur Türkei. Wir müssen endlich das Tabu Zäune brechen. Es braucht in Bulgarien einen Zaun, der mit finanziellen Mittel der Europäischen Union unterstützt wird."
Mikl-Leitner besuchte 2016 bereits den Grenzzaun
Diesen Zaun gibt es allerdings bereits. Im Winter 2016 reisten die damalige Innenministerin Johanna Mikl-Leitner und der damalige Verteidigungsminister Hans-Peter Doskozil mit einer kleinen Journalistendelegation nach Bulgarien, um den Zaun an der etwa 220 Kilometer langen Grenze zur Türkei zu besichtigen. "Man muss Bulgarien europäisch dankbar sein", lobte Doskozil damals Sofia. Der Grenzzaun besteht aus zwei versetzt gebauten Zäunen, in der Mitte liegt Nato-Stacheldraht. Eine elektronische Überwachung des Zaunes ruft bei einer Berührung sofort die Einsatzkräfte auf den Plan. Zum damaligen Zeitpunkt standen 92 Kilometer des 3,5 Meter hohen Doppelzauns. Im Mai 2017 fehlten nur noch 21 Kilometer.
EU zahlt nicht den Bau von Mauern
Im Laufe des EU-Gipfels korrigierte sich Nehammer. "Zäune an sich sind nichts Neues. Der bulgarische Präsident führt selbst an, dass es notwendig ist, den Zaun gegenüber der Türkei zu verstärken." Sofia brauche dafür nach eigenen Angaben rund zwei Milliarden Euro. Nehammer klagte einmal mehr darüber, dass die EU-Kommission die Errichtung von Mauern, Zäunen oder anderen Barrieren nicht finanziere.
Problem sind nicht fehlende, sondern ineffektive Zäune
Einen Zaun in voller Länge gibt es seit 2015 und 2016 auch an der ungarischen Südgrenze zu Serbien. Wenn die Zahlen des Innenministeriums in Wien stimmen, wonach von den 100.000 Migranten 80.000 von Serbien über Ungarn nach Österreich gelangt sind, davon 40.000 über Bulgarien gekommen sind, würde das bedeuten, dass 40.000 der in Österreich aufgegriffenen Migranten einen Zaun, weitere 40.000 zwei Zäune überwunden haben. Sofern die Zahlen des Innenministeriums überhaupt stimmen, hieß dies: Das Problem sind weniger fehlende Zäune, sondern eher Zäune, die ineffektiv sind.
Was noch dazu kommt: An den neuralgischen Punkten hat Europa, wenn man von den Seegrenzen absieht, bereits Zäune errichtet. In den beiden spanischen Enklaven Ceuta und Melilla sichern bis zu zwölf Meter hohe Zäune die Außengrenze nach Marokko. Immer wieder kommt es beim versuchten Überqueren der überdimensionierten Barrieren zu folgenschweren Zusammenstößen, wobei oft Todesopfer unter den Migranten zu beklagen sind.
Nur die Kroaten sind noch säumig
Auch die Griechen haben längst einen Zaun entlang der Grenze zur Türkei installiert. Tätig sind auch die drei baltischen Länder sowie Polen gegenüber Russland geworden. Auf einen Zaun haben bisher die Kroaten, die im Unterschied zu den Rumänen und Bulgaren mit Jahresbeginn der Schengenzone beitreten dürfen, an der Grenze zu Bosnien verzichtet. Keine Barrieren gibt es an der EU-Außengrenze zur Ukraine und Moldawien. In Finnland haben die Vorarbeiten bereits begonnen. Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein sind Schengenmitglieder.