Es war eines der türkis-blauen Leuchtturmprojekte: 2018 beschlossen ÖVP und FPÖ, die 21 Sozialversicherungsträger in Österreich auf fünf zu reduzieren. Dadurch sollten Leistungen harmonisiert und der Verwaltungsaufwand gesenkt werden. Zwischen 2020 und Ende 2023 würde man so eine Milliarde Euro einsparen. Diese "Patientenmilliarde" solle den Versicherten zugutekommen, erklärte die Regierung von Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) im September 2018.
Bereits damals war das Versprechen umstritten. Nun zeigt auch der endgültige Bericht des Rechnungshofs: Durch die Zusammenlegung sanken die Kosten nicht, sie stiegen deutlich. Laut den Prüferinnen und Prüfern ergeben sich gegenüber dem Szenario ohne Fusion Mehrkosten von bis zu 214,95 Millionen Euro bis Ende 2023.
Selbst als der Rechnungshof ausschließlich die von der Fusion betroffenen Träger betrachtete und die Teuerung einrechnete, ergab sich keine "Patientenmilliarde", sondern Mehrkosten zwischen 35,78 und 134,10 Millionen Euro. SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher ortet darin den "bittersten Schmäh aller Zeiten". Die Patientemilliarde sei "eine glatte Lüge und alles, was sonst noch unter Türkis-Blau versprochen wurde, in Wahrheit auch." Auch Sozialminister Johannes Rauch (Grüne) sieht sich in seiner Kritik am türkis-blauen Projekt bestätigt: "Die Kassenreform hat nicht nur keine Einsparungen gebracht, sondern bisher sogar Mehrkosten verursacht".
FPÖ-Gesundheitssprecher Gerhard Kaniak machte indes das vorzeitige Ende der türkis-blauen Regierung für die Mehrkosten verantwortlich, weil damit die Potenziale der Reform nicht realisiert worden seien. Die Fusion habe Rahmenbedingungen für Einsparungen geschaffen, die nicht genutzt worden seien. Dafür verantwortlich seien die seither im Amt gewesenen bzw. befindlichen Sozialminister. Es sei in den letzten Jahren verabsäumt worden, Effizienzpotenziale zu heben. Auch im Bereich der Leistungsharmonisierung sei man stecken geblieben, dringend notwendige Optimierungsmaßnahmen in der Verwaltung seien ebenfalls nicht umgesetzt worden.
Keine Begründung für "Patientenmilliarde"
Kritik übt der Rechnungshof besonders daran, dass das zuständige Sozialministerium nicht begründen konnte, wie man überhaupt zu der kommunizierten Milliarde an Einsparungen kam. Auch hätten sich die Sozialversicherungsträger selbst keine nachvollziehbaren Einsparungsziele gesetzt – und der unrealistische Wert der "Patientenmilliarde" sei bereits vor Gesetzesbeschluss kritisiert worden.
"Wenn politische Ziele und fachliche Einschätzung voneinander abweichen, wäre es Aufgabe des Sozialministeriums, entweder andere Maßnahmen zu entwickeln oder die Ziele anzupassen", befinden die Prüferinnen und Prüfer. Der Rechnungshof empfiehlt daher, "neue, realistische Ziele festzulegen und Maßnahmen zu setzen, um die Erreichung der Zielsetzungen sicherzustellen".
Konkret solle das Sozialministerium etwa auf die Einrichtung eines Kontrollgremiums für Sozialversicherungsträger und den Dachverband bestehen. Ein solches war zwar geplant, aber gesetzlich nicht vorgesehen und wurde daher trotz eines Gebarungsvolumens von fast 70 Milliarden Euro jährlich auch nicht umgesetzt. "Mit der Fusion fielen wichtige Kontrollinstanzen bei den Sozialversicherungsträgern weg", hält der Rechnungshof fest. Zumindest bei der ÖGK gibt es aber seit einigen Monaten einen Prüfungsausschuss. Allgemein bemängeln die Prüferinnen und Prüfer des Rechnungshofs aber mangelnde Kontrolle: Die ÖGK schrieb etwa drei Führungspositionen aus, ohne im Ausschreibungstext auf konkrete Fachbereiche einzugehen.
Teure Türschilder
Auch die Politik mischte gehörig mit: Rahmenverträge für Beratungsleistungen wurden etwa vom Sozialministerium unter Beate Hartinger-Klein (FPÖ) ohne Einbindung der Fachabteilungen vergeben. Bei der ÖGK wurde so ein Beratungsunternehmen tätig, dessen Stundensätze um 80 Prozent höher waren als jene des Beratungsunternehmens der SVS. Die zugrunde liegende Rahmenvereinbarung schloss Hartinger-Klein ohne Preisvergleiche ab. Unterlagen, die die Entscheidungsfindung ihres damaligen Büros beschreiben könnten, wurden im Staatsarchiv für 25 Jahre als "Privatakten" versiegelt.
Dafür waren die ÖGK-Berater besonders fleißig und unterstützten auch bei der Bestellung von Geschirr oder dem Tausch von Türschildern. Dies wurde als "Projektmanagement" bzw. "Senior Projektmanagement" mit Stundensätzen von rund 67 bzw. 93 Euro verrechnet. Da das Beratungsunternehmen zeitweise auch die Rechnungskontrolle der ÖGK übernahm, kontrollierte eine Mitarbeiterin die Richtigkeit von Rechnungen ihrer eigenen Firma an die ÖGK.
Warten auf Zusammenlegung
Und das eigentliche Ziel der Zusammenlegung? "Die Unterschiede zwischen den Sozialversicherungsträgern wurden nicht verringert", hält der Rechnungshof fest. Obwohl die ÖGK Schritte zur Leistungsharmonisierung setzte, gibt es keinen einheitlichen Rahmenvertrag im ärztlichen Bereich. Somit verdienen Ärztinnen und Ärzte mit Kassenvertrag in der Steiermark weiterhin deutlich weniger als etwa in Wien.
Der Rechnungshof ortet hier einen Konstruktionsfehler bei der Kassenreform: Zwar wurden die Gebietskrankenkassen zusammengelegt, Verhandlungspartner für die Honorarvereinbarungen blieben aber die Landesärztekammern. Erfolgreich verhandelt hat die ÖGK im Herbst allerdings einen Gesamtvertrag für Hebammen. Auch im Bereich der Augenoptik wurden die Leistungen österreichweit vereinheitlicht. Überhaupt habe man seit Übermittlung des Rohberichts die Vorschläge des Rechnungshofs aufgegriffen und wenn möglich umgesetzt, erklärte die ÖGK am Freitag in einer Aussendung.
ÖGK-Obmann Andreas Huss betonte im Ö1-"Mittagsjournal", es sei immer klar gewesen, dass die Patientenmilliarde "ein Verkaufsgag" gewesen sei und eine Fusion anfangs immer Mehrkosten verursache. Er plädierte dafür, dass die ÖGK die Zentralisierung wieder zurückfahren und sich etwas regionaler aufstellen sollte. Außerdem bekräftigte er die Forderung nach einem Risikostrukturausgleich der Träger, weil etwa die Beamten ohne Arbeitslose eine bessere Versichertenstruktur haben und nach einer Angleichung der sogenannten Hebesätze, weil die Pensionisten in der Beamtenversicherung einen doppelt so hohen Dienstgeberbeitrag bekommen als im ASVG. Beides würde je 200 Millionen Euro für die ÖGK bringen.
Maximilian Miller