Ein langes Déjà-vu gab es heute im ÖVP-U-Ausschuss: Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte nach neun Monaten erneut als Auskunftsperson Platz genommen. Wie schon Anfang März zog sich die Befragung, da die Volkspartei nahezu jede Frage an ihren Parteichef infrage stellte - obwohl die meisten vom Vorsitzenden Norbert Hofer (FPÖ) zugelassen wurden. Immerhin wissen die Abgeordneten nach 80 Auskunftspersonen recht genau, was gefragt werden darf und was nicht. Da neben Journalistinnen und Journalisten auch der Kanzler und sein Team heute bei drei längeren Unterbrechungen den Saal verlassen mussten, war bald ein gewisser Frust spürbar.

Kanzler Nehammer verbringt einige Zeit außerhalb des Ausschusslokals
Kanzler Nehammer verbringt einige Zeit außerhalb des Ausschusslokals © APA/HELMUT FOHRINGER

Der türkise Fraktionschef Andreas Hanger setzte seine Ankündigung, "genau darauf zu achten", dass nur erlaubte Fragen gestellt werden, dennoch durch. Unterstützt wurde er dabei vom Generalsekretär der ÖVP, Christian Stocker. Der Anwalt hatte sein Mandat im U-Ausschuss eigentlich zurückgelegt. Für seinen Parteichef kam Stocker offenbar aber wieder zurück, nicht ganz zur Freude des Vorsitzenden Hofer: "Ich habe jetzt wieder mehrere Wortmeldungen derselben Fraktion. Wollen Sie das wirklich machen oder reicht eine?", fragte der Ex-FPÖ-Chef die Vertreter der Volkspartei nach rund zwei Stunden. Eine Stunde später wurde Hofer als Vorsitzender vom ÖVP-Abgeordneten Friedrich Ofenauer abgelöst.

Warum Fleischmann beschuldigt wird

Die ÖVP monierte etwa, dass man nicht fragen dürfe, ob Nehammer wisse, dass der neue Kommunikationschef der ÖVP, Gerald Fleischmann, Beschuldigter in der Inseraten-Affäre ist. Nach einer ausführlichen, von der ÖVP angezettelten, Geschäftsordnungsdebatte, wurde die Frage aber zugelassen. Nehammer bejahte. Was dem neuen Kommunikationschef der Volkspartei vorgeworfen wird, weiß deren Parteichef aber "nicht im Detail".

Zur Erinnerung: Fleischmann soll vom sogenannten Beinschab-Österreich-Tool gewusst und die Veruntreuung von Steuergeld sowie die Bestechung von Mitarbeitern des Finanzministeriums unterstützt haben, vermutet die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA). Die Vorwürfe sind Teil der Ermittlungen rund um Umfragen und Studien, die auf Kosten des Finanzministeriums (BMF) zugunsten von Ex-ÖVP-Chef Sebastian Kurz durchgeführt worden sein sollen. Auch die Volkspartei wird in dem Verfahren beschuldigt. Bis auf die Meinungsforscherin Sabine Beinschab und den kürzlich geständigen Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid bestreiten alle Beschuldigten den Vorwurf, es gilt die Unschuldsvermutung.

Politische Posten

Auch die Vorlage von Zeitungsberichten wurde von der Volkspartei kritisiert. Vorsitzender Hofer hielt fest, dass auch journalistische Berichterstattung eine "sachliche Grundlage" hat. Konkret ging es um eine Bestellung im Innenministerium, bei der die Gleichbehandlungskommission eine Ungleichbehandlung festgestellt hatte. Nehammer wollte den konkreten Fall nicht im Detail kommentieren. Der Ex-Innenminister betonte aber, dass das Innenministerium (BMI) Posten stets nach sachlichen Kriterien besetze.

Es gebe dafür klare rechtliche Vorgaben, die Parteizugehörigkeit zähle dabei nicht. Auf Fragen der ÖVP wies der Kanzler auch allgemein Korruption seiner Partei zurück. So habe er etwa keine politische Einflussnahme auf Ermittlungsbehörden, Vergabeverfahren oder Postenbesetzungen wahrgenommen, sagte Nehammer.

Im U-Ausschuss hatte etwa eine frühere Abteilungsleiterin des Bundesamts für Korruptionsbekämpfung (BAK) kritisiert, dass Führungspositionen im BMI "großteils mit ÖVP-Personen" besetzt würden. Das gezielte Einsetzen von Parteigängern in die Beamtenschaft ist immer wieder Thema im Ausschuss. Zu einer "Interventionsliste", die sein Vorgänger Wolfgang Sobotka (ÖVP) als Innenminister offenbar führte, wusste Nehammer nichts Genaueres. Er selbst habe im Ministerium jedenfalls keine solche Liste geführt oder führen lassen.

Zu einem gescheiterten Pilotprojekt des Innenministeriums, bei dem Asylwerber zur freiwilligen Rückkehr in ihr Heimatland motiviert werden sollten, hatte Nehammer keine Wahrnehmung. Zwar habe es ein Briefing an ihn als damaligen Innenminister gegeben, das heiße aber nicht, dass er auch von den rund 270.000 Euro gewusst habe, die sein Ressort schlussendlich dafür zahlte, dass ein einzelner Asylwerber freiwillig zurückreiste, so Nehammer sinngemäß.

Von Beinschab bis nach Vorarlberg

Verhaltene Kritik an seiner Ladung äußerte Nehammer gleich zum Start seiner Befragung: "Offensichtlich" sei es Usance im U-Ausschuss, "dass der Bundeskanzler ziemlich zu Beginn und dann noch zum Schluss" geladen wird, hielt Nehammer bereits in seinem Eingangsstatement fest. Ansonsten zeigte sich der Kanzler auch in der "Zeit der multiplen Krisen" erneut bereit, sich den Abgeordneten zu stellen. Zu Fragen hätte es genug gegeben.

Die ÖVP hat geringe Erwartungen an die Befragung ihres Parteichefs
Die ÖVP hat geringe Erwartungen an die Befragung ihres Parteichefs © APA/HELMUT FOHRINGER

Denn seit März ist neben Krieg, Teuerung und Energiekrise auch rein innenpolitisch viel passiert. Ex-Familienministerin Sophie Karmasin (ÖVP) wurde wegen Verdunkelungsgefahr in der Umfragen-Affäre kurzzeitig festgenommen, mittlerweile liegt die Anklage gegen sie vor. Die ebenfalls beschuldigte, aber geständige Meinungsforscherin Sabine Beinschab erhielt den Kronzeugenstatus. In Vorarlberg wurde Steuerhinterziehung durch den dortigen ÖVP-Wirtschaftsbund bekannt, die WKStA ermittelt auch gegen Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP).

Aufgrund von Chats auf dem Handy des früheren Sektionschefs im Innenministerium, Michael Kloibmüller, wird auch gegen dessen früheren Minister Wolfgang Sobotka ermittelt. Durch das Geständnis von Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid wurde etwa auch der türkise Klubobmann August Wöginger in der Causa rund um die vermeintlich politische Bestellung eines Finanzamtes schwer belastet. Außer Beinschab und Schmid weisen alle Beschuldigten die Vorwürfe von sich, es gilt die Unschuldsvermutung. Einige Verfahren gegen ÖVP-Politiker wurden auch bereits wieder eingestellt, etwa wegen Falschaussage vor dem letzten U-Ausschuss.

Demox-Umfragen

Die SPÖ fragte einmal zum Verhältnis der ÖVP zum Umfrage-Institut Demox. Die Volkspartei sah darin eine Unterstellung, hatten doch schon der Geschäftsführer von Demox sowie der frühere ÖVP-Geschäftsführer Axel Melchior jeglichen Zusammenhang zwischen Studien für Ministerien und solchen für die Volkspartei deutlich und unter Wahrheitspflicht im U-Ausschuss zurückgewiesen.

Es sei "durchaus möglich", dass er als ÖVP-Generalsekretär mit Fleischmann oder dem ebenfalls in der Inseraten-Affäre beschuldigten Ex-Kommunikationsberater von Kurz, Stefan Steiner, über Umfragen und Studien von Demox gesprochen habe, sagte Nehammer dann doch. Was genau Thema der Gespräche war, wusste er aber nicht mehr.

Keine Wahrnehmungen

Welche Rolle die politischen Büros der Ministerinnen, Minister und Kanzler bei der Vergabe von Inseraten spielen, konnte Nehammer nicht im Detail beantworten, da er dabei nicht eingebunden war. Als die SPÖ einen Mailverkehr vorlegte, in dem ein Sprecher des damaligen Innenministers Nehammer 2020 die Fachabteilung des Ressorts bat, eine Zusammenarbeit mit der Mediengruppe "Österreich" "einzuhängen", wies der nunmehrige Kanzler darauf hin, dass er den Mailverkehr nicht kenne. Zu einer umstrittenen Postenbesetzung hatte Nehammer "keine Wahrnehmung".

Opposition und Grüne wollten auch wissen, wieso das Kanzleramt nicht alle angeforderten Unterlagen an die WKStA liefert. Nehammer betonte, dass man als Dienstgeber nicht einfach so die Mail-Postfächer von rund 100 Mitarbeiter des Kanzleramts weitergeben könne. Man arbeite aber mit der WKStA zusammen und habe die Finanzprokuratur hinzugezogen. Das Kanzleramt werde aber selbstverständlich der Sicherstellungs-Anordnung Folge leisten, "da dies rechtlich so geboten ist".

Niederösterreichische Verbindungen

Grundsätzlich wollte die Opposition zeigen, dass Nehammer noch keine entgegen seines Versprechens noch keine umfassende Reform der Volkspartei gestartet hat. Auch die Bestellung von Fleischmann als Kommunikationschef mache das nun deutlich, befand Krainer im Vorfeld der Befragung. Dass der in der Inseraten-Affäre Beschuldigte nun die Kommunikation der Volkspartei leitet, sieht auch die grüne Abgeordnete Nina Tomaselli kritisch.

Die Neos-Fraktionschefin Stephanie Krisper kritisierte, dass unter Nehammer zu wenig gegen Korruption getan werde - und er selbst das Kanzleramt "durchgefärbt" habe. Personen, die zuvor für Postenkorruption und Datenlöschungen zuständig gewesen seien, würden unter ihm befördert werden. Dass etwa der Kabinettsmitarbeiter, der nach Ibiza Festplatten schreddern ließ, mittlerweile an zwei Stellen gleichzeitig befördert wurde, ist für den FPÖ-Abgeordneten Christian Hafenecker zumindest eine "kreative Postenbesetzung".

Den SPÖ-Abgeordneten Krainer wundert das alles nicht, immerhin sei Nehammer immer Teil "des korruptiven System ÖVP Niederösterreich" gewesen - und somit selbst "Teil des Problems". Nehammers Heimatbundesland, in dem Ende Jänner gewählt wird, soll spätestens am Nachmittag Thema werden: Dass nach dem Kanzler der Geschäftsführer der niederösterreichischen Volkspartei und am Donnerstag Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) befragt werden, ist kein Zufall. Krainer interessiert bei ihnen besonders, "wie die ÖVP Niederösterreich Steuergeld auf Bundesebene missbraucht".

Der Kanzler beteuerte hingegen, dass der Regierung der Kampf gegen Korruption ein großes Anliegen sei. Immerhin sei Korruption ein Gift, das das Vertrauen in die Politik erschüttere. Man wolle daher das dänische Modell "genau analysieren", um im Antikorruptionsindex wieder unter die besten drei Staaten der Welt zurückzukehren, erklärte Nehammer.