Werden Sie sich die heute in Katar beginnende Fußball-Weltmeisterschaft im Fernsehen anschauen?
Mein Terminkalender wird die Zahl meiner Live-Erlebnisse arg dezimieren. Eine WM wie früher zum Genießen wird es ohnehin nicht – dafür gibt es angesichts der Umstände auch keinen Grund.
Als Grüner müssten Sie das Fußballturnier eigentlich boykottieren – nicht nur aus ökologischen, sondern auch aus politischen Gründen. Die Menschenrechtssituation, die Rolle der Frau, die katastrophalen arbeitsrechtlichen Bedingungen wären Anlass genug.
Die Entscheidung für den Austragungsort ist im Jahr 2010 gefällt worden. Die Fußball-WM hätte niemals nach Katar vergeben werden dürfen, das ist klar so zu benennen. So wie übrigens schon die Fußball-WM 2018 nicht nach Russland hätte vergeben werden dürfen – zwei Jahre, nachdem Putin in Südossetien und Abchasien einmarschiert war. In Katar werden massiv Menschenrechte verletzt, Tausende Arbeiter sind zu Tode gekommen. Ich habe Verständnis für jene, die sagen, sie schauen sich das nicht an – genauso verstehe ich aber auch die, die sich die Freude an einer Fußball-WM nicht nehmen lassen wollen. Die Zeiten sind ernst genug. Das Allerwichtigste wird sein: Die FIFA muss ihre Lektion lernen. Das wird erst passieren, wenn die Sponsoren spüren, dass mit Weltmeisterschaften wie jener nicht so viel Geld zu machen ist. Deshalb finde ich es auch gut, wenn von Public Viewings abgesehen wird – weil es einen Unterschied macht.
Sie sind fußballbegeistert und Grün-Politiker. So gesehen wohnen zwei Herzen in Ihrer Brust?
Die Korruption, die in der FIFA mit und nach der Entscheidung für Katar ruch- und sichtbar wurde, kann man als Grüner gar nicht scharf genug verurteilen. Das habe ich auch damals schon gemacht. Jetzt und im Nachhinein werfen sich viele hinter den Zug. Als Fußballfan sehe ich es pragmatisch. Ob Sie oder ich zu Hause den Fernseher aus Protest ausschalten, lässt den Emir von Katar nicht schwerer in den Schlaf finden.
Ist die ganze Debatte nicht auch heuchlerisch? Man hätte auch die Winterspiele in Sotschi oder Peking abblasen müssen?
Einen Boykott bräuchte es nicht, wenn vor der Vergabeentscheidung die richtigen Fragen gestellt und die richtigen Schlüsse gezogen werden. Natürlich war auch die Vergabe der Winterspiele an Sotschi im Jahr 2007 ein Fehler. Wir erinnern uns: Salzburg hatte damals das Nachsehen. Schon ein Jahr später hätte man die Entscheidung revidieren müssen, als Putin seine Truppen in Teilen Georgiens einmarschieren ließ – übrigens einen Tag vor Eröffnung der Sommerspiele in Peking. Der Gipfel der Dreistigkeit: Vier Tage, nachdem das olympische Feuer in Sotschi erloschen war, begann Putin mit der Annexion der Krim. Man könnte beinahe glauben, Putin ist versessen darauf, die olympischen Werte mit Füßen zu treten – der Angriff auf die Ukraine begann vier Tage nach den Winterspielen 2022.
Das Argument, Sport verbindet, ist doch nur eine Schutzbehauptung, um das milliardenschwere Sport-Business am Laufen zu halten. Das gilt nicht nur für Olympiaden, sondern auch für den Fußball.
Sport kann viel leisten, was andernorts schwerfällt, das ist nicht zu unterschätzen. Sport ist das Brennglas der Gesellschaft, wenn man so will. Aber: Brutale Diktaturen lassen sich durch die Ausrichtung einer Sport-Großveranstaltung nicht auf den richtigen, demokratischen Weg bringen. Siehe Sotschi, siehe Fußball-WM in Russland, siehe Peking.
Meinen Sie, die Vergabe von großen Sport-Events sollte künftig stärker nach humanitären Gesichtspunkten erfolgen?
Bei allem Respekt für die Autonomie des Sports: Selbstverständlich wäre das wünschenswert. Für uns in Österreich kann ich sagen: Das Sportministerium hat in Zusammenarbeit mit der Initiative fairplay mit dem Handbuch "Internationale Sportereignisse & Menschenrechte" eine Grundlage geschaffen, mit der alle künftigen heimischen Organisator*innen von Sportveranstaltungen arbeiten können. Wichtig ist, dass die Verbände dort, wo sie Entscheidungen für internationale Sportereignisse beeinflussen können, für Menschenrechte eintreten und bei Vergabeentscheidungen dementsprechend abstimmen.
Von den 200 Ländern weltweit sind vielleicht 50 lupenreine Demokratien. Wenn man das Prinzip durchzieht, hätte die Formel 1 heuer fünf Rennen streichen müssen: Bahrein, Aserbaidschan, Abu Dhabi, Saudi-Arabien, Russland.
Nun, der Grand Prix in Sotschi wurde bereits dauerhaft aus dem Rennkalender gestrichen. Sportveranstaltungen nur mehr in lupenreinen Demokratien durchzuführen, wird sich auf Dauer aber auch nicht ausgehen. Es macht aber schon einen Unterschied, ob ein machtbesessener Diktator die internationale Gemeinschaft an den Rand eines Weltkriegs führt, mit dem Einsatz von Atomwaffen droht, ein anderes Land grundlos militärisch attackiert und abscheuliche Kriegsverbrechen begehen lässt – oder eben nicht.
Wie ist das Spannungsfeld von Sport und Politik aufzulösen?
In einer Zeit, in der wir uns einem brutalen Aggressor gegenübersehen – gar nicht. Im Übrigen halte ich es auch auf nationaler Ebene nicht für wünschenswert, Sport und Politik zu trennen. Nur die Kombi aus Parteipolitik und Sport braucht es nicht. Es tut aber auch dem Sport gut, wenn er sich nicht als politikfreier Raum versteht und selbst immer wieder Weichenstellungen für Verbesserungen vorgenommen werden.