Österreich habe eine gewisse Schwäche für politische Verführer. So lautet das Resümee, das der bekannte Publizist Paul Lendvai in seinem neuen Buch "Vielgeprüftes Österreich" zieht. Am Dienstag stellte er sein Werk im Skyroom des Styria Media Centers vor und führte im Gespräch mit dem Chefredakteur der Kleinen Zeitung, Hubert Patterer, drei Beispiele an: "Jörg Haider war ein hochintelligenter, kranker Mensch. Er war bereit, alles zu tun, um Stimmen zu sammeln." Karlheinz Grasser wäre fast Parteiobmann geworden. Und Sebastian Kurz habe mit "sehr leichtem intellektuellen Gepäck unglaubliche politische Erfolge" gefeiert. Doch jetzt sehe man, "wie gefährlich diese türkis-blaue Koalition gewesen" sei.
Im Buch ist Lendvai um vieles gnadenloser, wirft dem ehemaligen Jungstar der europäischen Konservativen geschichtslos und ohne inneren Kompass zu sein. Auf Nachfrage, was genau er damit meine, erwiderte Lendvai: "Ich meine damit, dass man viermal im Jahr Putin trifft, dreimal hinfährt." Insbesondere den Gasdeal mit Russland hält er für skandalös. "Man hat uns ausgeliefert."
Politiker und Parteien sind für den Doyen des europäischen Journalismus für eine "Demokratie gleichwohl unentbehrlich": "Die Folgen, wenn große Parteien zerfallen, sehen wir in Italien. Es ist dann sehr schwierig, wieder etwas zu schaffen. Das gelte auch für die ÖVP. Es ist sehr leicht, eine so große Partei zugrunde zu richten."
Ohne Scheu räumte Lendvai ein, Spitzenpolitikern durchaus nahe gestanden zu sein. Josef Taus, der ehemalige ÖVP-Chef, gehörte dazu, und Bruno Kreisky. Sieht er diese Nähe im Rückblick als Problem? Lendvai: "Ich habe nichts gewollt, wollte weder Chefredakteur noch ORF-Intendant werden."
Zu anderen ehemaligen SPÖ Kanzlern ist sein Verhältnis keineswegs so entspannt. So habe Christian Kern ihn auf einen kritischen Artikel im Standard hin mit einer Tirade überzogen. Lendvai: "Er hat mir ein langes SMS geschrieben: Das sei unglaublich, ein zweitrangiges Intrigantenstück." In sechzig Jahren journalistischer Tätigkeit sei ihm eine solche Beschimpfung nicht widerfahren. "Das hat gezeigt, dass ein Mann, der so eitel ist, völlig ungeeignet ist, diese führende Position einzunehmen. Es ist kein Wunder, dass er verloren hat."
Hält er Pamela Rendi-Wagner für geeigneter? Lendvai: "Sie hat eine Eigenschaft, die leider sehr selten ist im politischen Leben. Sie ist anständig. Aber das ist nicht genug für die Politik. Man muss auch fähig sein. Es ist besser für das Land, wenn man anständig ist und nicht so fähig, als wenn man sehr fähig und unanständig ist."
Österreich stehe durch seine Geschichte immer unter Beobachtung. Die Gefährdung gehe für das Land von innen aus. Das hätten die Chatprotokolle bestätigt.
Und trotzdem sei alles, was gut und schön sei in seinem Leben, mit Österreich verbunden, meinte Lendvai zum Schluss des Gesprächs versöhnlich. "Die Menschen spüren, selbst wenn man kritisch ist, dass man das Land liebt."