Wer gedacht hatte, die Frage, wie frei man in Österreich entscheiden kann, zu sterben, sei seit vergangenem Jahr entschieden, hat sich geirrt. Denn gegen die neueren Regeln für Sterbehilfe, die mit Anfang dieses Jahres in Kraft getreten sind, regt sich Widerstand. Schon bald dürfte die Frage, wer wie mit ärztlicher Assistenz sterben darf, wieder vor dem Verfassungsgerichtshof landen.
Aber von vorn: Ende 2020 hatte das Höchstgericht auf Antrag mehrerer Sterbewilliger entschieden, dass die bis dahin gültigen Regeln zur Sterbehilfe in Österreich zu streng seien. Zum Recht auf Selbstbestimmung gehöre auch das Recht auf ein menschenwürdiges Sterben, so die Verfassungsrichterinnen und -richter – und dazu gehöre auch das Recht, Hilfe bei der Selbsttötung in Anspruch zu nehmen.
Bis Ende 2021 hatte die türkis-grüne Koalition daraufhin Zeit, neue Regeln für das bis dahin strenge Verbot der Beihilfe zum Suizid zu finden – gegen eine komplette Öffnung sprachen sich unter anderem kirchliche Organisationen wie die Träger von Hospizen aus.
Der lange Weg zur tödlichen Tablette
Herausgekommen ist dann – knapp vor Ablauf der Frist – das Sterbeverfügungsgesetz. Es sieht vor, dass Sterbewillige – volljährig und entscheidungsfähig müssen sie sein – eine Verfügung unterschreiben können, mit der sie dann, z. B. in einer Apotheke, eine tödliche Dosis Natrium-Pentobarbital ausgehändigt bekommen. Den "letzten Schritt" – das Einnehmen der Pille zum Beispiel – muss der Sterbewillige aber immer selbst machen.
Eine solche Sterbeverfügung – sie kann bei Notarinnen und Notaren oder bei einer Patientenanwaltschaft abgeschlossen werden – hat mehrere Kriterien: Einerseits müssen zwei Ärztinnen oder Ärzte, davon einer auf Palliativmedizin spezialisiert, unabhängig voneinander aufklären, über Behandlungsalternativen beraten und den freien Willen des oder der Sterbewilligen attestieren. Andererseits gilt eine Wartefrist von zwölf Wochen vor der endgültigen Errichtung der Verfügung – sie kann nur in Ausnahmefällen, wenn die Krankheit bereits im Endstadium angekommen ist, verkürzt werden.
Wie oft diese Möglichkeit inzwischen genutzt worden ist, ist Staatsgeheimnis. Zwar existiert ein zentrales Sterbeverfügungsregister, das aber unter so strengem Datenschutz steht, dass das Gesundheitsministerium keine Zahlen herausgeben will. Ein großer Dammbruch dürfte aber ausgeblieben sein. Im ersten Quartal, so zeigte eine parlamentarische Anfrage der Neos, hatten nur zwei Menschen eine Sterbeverfügung errichtet.
Anwalt will abermals VfGH einschalten
Was auch an den Hürden liegen mag, die Sterbewilligen in den Weg gelegt werden, wenn es nach Wolfram Proksch geht. Der Anwalt, der die Sterbehilfe einst vor den VfGH gebracht hatte, sieht in der neuen Regelung "ein bürokratisches Monstrum" mehr, das sich nicht dazu eigne, Missbrauch zu verhindern, sehr wohl aber das vom Höchstgericht angeordnete "Jedermannsrecht" zu unterlaufen. Das fange dabei an, dass Werbe- und Gewinnverbot es Vereinen, die beim Suizid helfen wollen, schwer machen, und gehe bis zur Vorschreibung von Palliativmedizinerinnen und -medizinern. Diese seien häufig in kirchlichen Einrichtungen beschäftigt und würden daher oft kein Attest ausstellen, sagt Proksch – weil niemand verpflichtet sei, auch nur diese Attestierung vorzunehmen.
Gerade in der schwierigen Lage vieler Sterbewilliger sei das unangemessen, so der Anwalt. Er will die Regelung erneut vor den VfGH bringen.