In dem Buch nennen Sie Niki Lauda und Thomas Muster, die nach Rückschlägen ein Comeback gefeiert haben, als Vorbilder. Sehen Sie Parallelen zu sich?
SEBASTIAN KURZ: Ja, sicher. 2019 bin ich abgewählt worden, und wenige Monate danach kam die Wahl, wo wir 37 Prozent erreicht haben, nicht in die Höhen, in die Wolfgang Schüssel vorgedrungen ist, aber es war doch ein Moment, wo ich extrem dankbar war. Wenn es eine Anspielung darauf ist, ob ich eine Rückkehr plane? Definitiv nicht.
Kein Comeback? Sie lassen die ÖVP im Stich?
Nein. Ich habe immer gerne in der Politik gearbeitet, es ist wunderschön, dem eigenen Land zu dienen. Jetzt bin ich 36, war fast 20 Jahre lang politisch tätig. Ich genieße es sehr, etwas anderes zu sehen, zu lernen, meinen persönlichen Horizont zu erweitern. Im Moment bin ich sehr viel international tätig.
Sie haben die ÖVP in lichte Höhen geführt. Jetzt ist sie wieder dort, wo sie unter Mitterlehner war. Tragen Sie für die jetzige Situation nicht Mitverantwortung?
Es gibt immer Aufs und Abs in der Politik. In den letzten 50 Jahren hat die ÖVP einmal eine Wahl gewonnen, unter Wolfgang Schüssel 2002. Damals bin ich politisch sozialisiert worden. Ich habe 15 Jahre lang miterlebt, wie die ÖVP eine Wahl nach der anderen verloren hat. Ich bin dankbar, dass wir 2017 und 2019 zweimal hintereinander eine Wahl gewinnen konnten.
Sie haben in dem Buch mehr als 30 Mal gemeint, ein Politiker müsse immer politische Verantwortung übernehmen. Gilt das nur für Schönwetterperioden? Was ist mit den Chat-Vorwürfen? Die sind auch in Ihre Zeit gefallen.
Bei der Migrationkrise und der Coronapandemie kann man wohl nicht von Schönwetter reden! Was die Vorwürfe betrifft, habe ich mich darüber sehr geärgert. Das habe ich als ungerecht empfunden, es hat mich in meiner Tätigkeit behindert. Aufgeregt haben mich die falschen Vorwürfe und Anschuldigungen und dass zum Teil nur noch mit anonymen Anzeigen gearbeitet wird. Bis jetzt gab es nur Verfahrenseinstellungen, wie zuletzt bei einem Mitarbeiter des Finanzministeriums oder bei der ÖVP-Justizsprecherin. Und in meinem Verfahren haben mich mittlerweile zwei Dutzend Zeugen mit ihren Aussagen entlastet. Ich empfinde es als angenehm, dass das in meinem privatwirtschaftlichen Tun jetzt überhaupt keine Rolle mehr spielt. Ich freue mich auf den Tag, wo amtlich ist, dass diese Vorwürfe falsch waren.
Diese sind doch nicht aus der Luft gegriffen?
Es ist in Österreich eine Kultur entstanden, dass gegen unzählige Personen Vorwürfe erhoben werden, teils sogar mit anonymen Anzeigen gearbeitet wird, die sich in der Masse der Fälle als falsch herausstellen. Auch in meinem Verfahren sind über zwei Dutzend Zeugen einvernommen worden, die allesamt entlastende Aussagen getätigt haben. Ich sehe das mit viel Abstand und wenig Relevanz in meiner derzeitigen Tätigkeit sehr gelassen.
Die zweckwidrige Verwendung von Mitteln des Finanzministeriums für Kurz-Umfragen ist doch keine Lappalie?
Frau Beinschab ist mittlerweile Kronzeugin und hat selbst ausgesagt, dass sie mich in ihrem Leben nur gesehen hat, als ich bei ihr vorbeigegangen bin. Ich habe noch nie ein Gespräch mit ihr geführt, habe auch ihre Telefonnummer nicht.
Dann hätten Sie gar nicht zurücktreten müssen?
Es ist bei mir vieles zusammengekommen. Die Vorwürfe, mit denen ich mich dauernd beschäftigen musste, haben mit dir Freude und die Lust auf die Politik genommen. Als ich Vater werden durfte, habe ich gesehen, dass es auch andere Facetten im Leben gibt. Ich habe mich dafür entschieden, mich meinem nächsten Lebensabschnitt zu widmen. Das habe ich keinen einzigen Tag bereut.
Und dass die ÖVP nicht berauschend dasteht?
Lassen wir die Kirche im Dorf. Es gibt in jeder entwickelten Demokratie, in ganz Europa einen ständigen Wechsel an Personen, ein ständiges Auf und Ab. Karl Nehammer führt die Partei mit viel Umsicht. Die aktuelle Situation stellt für alle eine Herausforderung dar. Sie werden kaum eine Regierung finden, die es im Moment gerade leicht hat und ich sehe, dass die Regierung im Kampf gegen die Teuerung alles unternimmt.
Van der Bellen und Steinmeier haben gesagt, sie haben sich in Putin getäuscht. Haben Sie sich auch in Putin getäuscht?
Ich habe Wladimir Putin in allen Gesprächen immer als jemanden erlebt, der genau weiß, was er will, der sehr kühl ist, dem ich immer zugetraut habe, dass er kompromisslos agiert und bereit ist, rote Linien zu überschreiten. Dass er einen Angriffskrieg gegen die Ukraine wagt, hat mich überrascht und erschüttert. Ich habe nicht damit gerechnet.
Waren die Sanktionen alternativlos?
Es war notwendig, dass die EU darauf mit Sanktionen reagiert. Heute ist es dringend notwendig, alles zu tun, um eine Deeskalation zu erreichen. Ich verstehe jede Freude über ukrainische Erfolge. Putin ist jemand, für den eine Niederlage keine Option ist. Man kann nicht ausschließen, dass Putin, wenn er unter Druck ist, Atomwaffen einsetzt. Es muss alles versucht werden, um zur Deeskalation beizutragen.
Müssen sich die Ukrainer in Zurückhaltung üben?
Die Ukraine ist in einer so unfassbar schwierigen Situation, es wäre falsch, von außen Zurufe zu machen. Daher tue ich das nicht. Es gibt aber viele Staaten in und außerhalb Europas, die sich einbringen können.
War es ein Fehler, auf russisches Gas zu setzen?
Ich bin hier einmal vollkommen einer Meinung mit Angela Merkel. Es war für uns immer ein Wettbewerbsvorteil, Energie zu günstigen Preisen aus Russland zu bekommen. Unser wirtschaftlicher Erfolg wäre in diesem Ausmaß mit wesentlich höheren Energiekosten so nicht möglich gewesen. Jetzt zu diversifizieren und erneuerbare Energie zu setzen, ist absolut notwendig.
Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?
Weiterhin als Unternehmer in der Privatwirtschaft.