Vor einem Jahr trat Sebastian Kurz als Kanzler zurück. Seit Monaten untersuchen Sie seine Amtszeit für die Neos im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss, zuletzt war der frühere ÖVP-Chef auch als Auskunftsperson geladen. Was bleibt von Ex-Kanzler Kurz?
Stephanie Krisper: Abgesehen davon, dass die Justiz noch mit ihm und seiner Amtszeit beschäftigt ist, ist das Bild für uns klar: Unter der Ära Kurz wurde unser Land systematisch auf unterschiedlichste Wege als Selbstbedienungsladen missbraucht.
Haben Sie dafür konkrete Beispiele?
Die ÖVP hat sich für ihre Teilorganisationen aus dem NPO-Fonds Steuergeld gekrallt und das aus der Bundesparteizentrale heraus organisiert. Für die ÖVP relevante Personen wie die Investoren René Benko und Siegfried Wolf erhielten von unser aller Finanzministerium eine Vorzugsbehandlung, indem Kontakte zu den zuständigen Beamten hergestellt werden. Davon kann ein einfacher Bürger nur träumen.
Und die ÖVP hat ein mittlerweile perfektioniertes System der Postenkorruption, um die ihrigen an die relevanten Hebel zu bekommen. Beziehungsweise diese dann in der Verwaltung auch mit Beamtenstellen zu versorgen - obwohl sie keine entsprechenden Kompetenzen vorweisen. Das ist eine Verhöhnung jedes redlichen Beamten, der bei Bewerbungen keine Chance hat, weil er nicht parteinah ist.
Hier war der U-Ausschuss doch sehr erfolgreich: Es gibt ein neues Parteienfinanzierungsgesetz, die Regierung hat eine Reform des Medientransparenzgesetzes auf den Tisch gelegt und Justizministerin Alma Zadić arbeitet an einer unabhängigen Weisungsspitze für die Staatsanwaltschaften.
Der Untersuchungsausschuss hat sicher erfolgreich Diskussionen angestoßen. Unser Fokus liegt aber nicht nur auf der ÖVP, weil sie in der Vergangenheit den Machtmissbrauch perfektioniert hat, sondern weil sie jetzt auch die Partei ist, die in der Regierung die Verantwortung dafür trägt, wenn Reformen nicht stattfinden.
Stichwort Parteienfinanzierungsgesetz: Ja, da hat sich etwas bewegt. Aber die ÖVP hat sich wieder dafür entschieden, Schlupflöcher zu lassen, die genau den Missbrauch, den wir im U-Ausschuss aufgedeckt haben, weiter zulassen. Und andere Reformen sind ausständig. Es fehlen die Ressourcen für den Rechnungshof, um die Parteien auch zu kontrollieren, wir warten auf das Informationsfreiheitsgesetz und es mangelt in ÖVP- wie SPÖ-geführten Bundesländern an allen Ecken und Enden an Transparenz.
Für alle, die den U-Ausschuss verfolgt haben, ist das Problem klar. Und dank Rechnungshof und Antikorruptionsvolksbegehren ist auch klar, wo man ansetzen sollte, um Missstände zu beheben. Daher sollten wir die drei Monate, die wir für die Verlängerung des U-Ausschusses hätten, intensiv für die Umsetzung von Reformen nutzen.
Ohne die Stimmen der Neos kann der U-Ausschuss nicht verlängert werden. Das bedeutet, die letzte Auskunftsperson wird am 7. Dezember befragt werden?
Wir Neos werden eine weitere Verlängerung nicht unterstützen. Wir wissen mittlerweile genau, welche Reformen notwendig wären. Daher sollte man lieber diskutieren, wie man diese in die Gänge bringt, anstatt noch mehr Einzelfälle im U-Ausschuss abzuhandeln.
Wieso sollten Gespräche gerade jetzt Ergebnisse liefern?
Es gab zwischen den Parteien nie eine intensive Auseinandersetzung zum Thema saubere Politik. Es könnten etwa Auftragsvergaben, Postenbesetzungen, Korruptionsbekämpfung und Medientransparenz besprochen werden. Ich glaube, dieses Format wäre eines, das alle, die willens sind, für konstruktive Arbeit nutzen könnten.
Und die Basis ist so fruchtbar wie noch nie, weil wir neben Rechnungshofvorschlägen auch die Beweislage aus dem Ibiza- und dem ÖVP-U-Ausschuss haben. Das sind Akten, die immer wieder schockierende Einblicke in die unterschiedlichsten Wege der Korruption bieten. Dadurch kann die ÖVP die Faktenlage eigentlich nicht leugnen und muss in Gespräche gehen.
Hier stellt sich aber wieder die Frage, mit der auch der U-Ausschuss seit Beginn zu kämpfen hatte: Haben wir zwischen Krieg, Teuerung, Energiekrise und mangelnden Asylkapazitäten nicht größere Probleme, denen sich die Regierung zuwenden sollte?
Gerade Korruption verhindert, dass wir effizient und seriös in Krisenlagen agieren können. Wenn Sie Asyl sagen: Etwa im Innenministerium gelangten unter ÖVP-Ministern derart viele Personen rein aus Parteiinteressen an die wichtigsten Hebel, dass wir ein dysfunktionales Asylsystem haben. Diese Liste ließe sich vielfältig fortsetzen.
Wir Neos haben im jetzigen U-Ausschuss etwa Russland zum Thema gemacht. Auch da hat sich gezeigt, dass unter der türkisen ÖVP Entscheidungen getroffen wurden, die uns in die Abhängigkeit von Putins Gas getrieben haben. Natürlich kann man sagen, wir bräuchten einen Russland-Untersuchungsausschuss. Aber wie wir mit SPÖ und FPÖ einen schlagkräftigen Russland-Ausschuss zusammenbekommen, schaue ich mir an.
Was würden Sie Ihrer Fraktion raten, beim nächsten Ausschuss anders zu machen?
Wir sollten intensiver darauf drängen, dass länger an einem einzelnen Thema gearbeitet wird. Im ÖVP-U-Ausschuss poppen jede Woche enorm viele Themen auf. Dafür können wir nichts, das liegt an der ÖVP, die an allen möglichen Stellen missbräuchlich aktiv war. Aber man könnte dennoch länger an einem Thema arbeiten, bevor man sich dem nächsten zuwendet.
War es ein Fehler, beim Untersuchungsgegenstand derart in die Breite zu gehen?
Nein, das glaube ich nicht. In diesem Land können auch während eines U-Ausschusses noch Dinge passieren. Daher ist es gut, flexibel zu sein. Und das Thema Korruption hat es verdient, allumfassend behandelt zu werden. Aber man könnte es im Ausschuss seriöser und tiefgehender angehen. Ohnehin hätten wir am liebsten keinen ÖVP-, sondern einen Rechtsstaats-U-Ausschuss gehabt. Dann hätte man auch SPÖ und FPÖ abfragen können, ohne den Untersuchungsgegenstand zu verletzen.
Maximilian Miller