1. Der Bundespräsident hat rechtlich die Möglichkeit, die Regierung zu entlassen. Würden Sie davon Gebrauch machen?
Nein, das wäre der falsche Weg. Das würde nur für noch mehr Instabilität sorgen und Unsicherheit schüren. Ich würde einen Schritt vorher ansetzen, indem ich mir vor der Angelobung genau anschaue, wer sich da für das Ministeramt bewirbt und im Zweifelsfall sagen: Nein, da gibt es geeignetere Kandidat:innen. Das soll eine unabhängige und transparente Kommission machen. Für jeden Job in diesem Land muss man ein Bewerbungsverfahren durchlaufen, nur für ein Ministeramt nicht. Das wird der enormen Verantwortung, die diese Position mit sich bringt, nicht gerecht.
2. Nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos stimmte der Präsident der Entlassung von Herbert Kickl als Innenminister zu und stellte VfGH-Präsidentin Brigitte Bierlein als erste Bundeskanzlerin vor. Wie hätten Sie in dieser Situation gehandelt?
Ich hätte damals als Bundespräsident wahrscheinlich ähnlich gehandelt. Dass Korruption und Freunderlwirtschaft in Österreich kein Novum sind, war ja bereits vor der Veröffentlichung des Ibiza-Videos im Mai 2019 bekannt. Das Ibiza-Video war natürlich ein Punkt, wo eine Handlung gesetzt werden musste. Eine Expertenregierung war in dieser Situation die beste Option, um ruhig, unabhängig und fokussiert weiterarbeiten zu können.
3. Hätten auch Sie Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) damals wegen der fehlenden Akten an den U-Ausschuss den Richter ins Haus geschickt?
Ich hätte ihn im Vorfeld in einem persönlichen Gespräch dazu aufgefordert, umgehend alle geforderten Dokumente zu übermitteln. Wenn er dann durch sein Verhalten immer noch ein laufendes Verfahren behindert hätte, hätte ich ihm definitiv auch einen Richter vorbeigeschickt. Auch Minister haben sich an Gesetze zu halten und juristischen Aufforderungen nachkommen. Es kann nicht sein, dass Ermittlungen behindert werden. Das ist nicht nur ein Schlag ins Gesicht der unabhängigen Justiz, sondern auch der österreichischen Bevölkerung.
4. Wie hätten Sie sich als Präsident in die Corona-Politik der Regierung eingebracht?
Ich hätte mehr auf die Expert:innen gehört. Die haben sich monatelang den Mund fusselig geredet, dass Maßnahmen zu treffen sind, aber es wurde nur auf den eigenen Vorteil geschaut. Man hat bis zum nächsten Wahltermin und die Umfragewerte geschaut, anstatt kluge Entscheidungen zu treffen, die vielleicht unpopulär sind, aber langfristig helfen. Man hätte aus Fehlern lernen können. Es war für uns alle die erste Pandemie, aber es war auch für Laien abzusehen, dass im Herbst die nächste Welle kommt. Das hätte ich angesprochen.
5. Muss Österreich jetzt die Neutralität überdenken?
Ich finde gut, dass Österreich ein neutrales Land ist, keine Frage. Allerdings muss das Thema größer gedacht werden. Es wird immer auf der heiligen Kuh "Neutralität" herumgeritten, was aber fehlt, ist eine breite Sicherheitsdebatte. Dafür müssen Expert:innen einbezogen werden, um Antworten auf drängende Fragen zu finden. Man muss sich anschauen, wie die momentane Bedrohungslage ist. Ist Österreich überhaupt wehrfähig? Wer hilft uns, wenn wir in eine Notsituation geraten? Das sind Fragen, denen man sich stellen muss.