Aktuell
Herr Bundespräsident, die UNO-Generalversammlung ist das erste Treffen der Staatenchefs seit Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Aber nicht nur Wladimir Putin, sondern auch Chinas Präsident Xi Jinping und Indiens Premier Narendra Modi fehlen. Was bringt das dann?
Alexander Van der Bellen: Die Generalversammlung ist wichtig. Aber natürlich passiert Weltpolitik nicht ausschließlich in New York in dieser Woche. Zum Beispiel hatten die Vereinten Nationen wesentlichen Anteil daran, dass Getreideexporte aus der Ukraine per Schiff aus dem Schwarzen Meer möglich sind. Das ist ein Riesenerfolg, den es ohne die UNO nicht gegeben hätte.
"Die Welt ist in Gefahr, die UNO ist gelähmt", sagte UNO-Generalsekretär Guterres in seiner Rede. Sehen Sie das auch so düster?
Guterres hat sehr eindringlich darauf hingewiesen, dass große Fragen wie Klimawandel, Armut, Hunger oder die Benachteiligung von Frauen sich eher verschlechtert haben. Das ist natürlich höchst beunruhigend. Aber ich habe gelernt, dass der Hinweis auf eine Krise alleine nicht genügt. Man muss gleichzeitig den Mut und die Zuversicht ausstrahlen, dass Änderung möglich ist, wenn wir es alle versuchen.
Geschieht das? Stellt sich die Weltgemeinschaft immer noch so geschlossen gegen Russland und hinter die Ukraine, wie unmittelbar nach Kriegsbeginn?
Im Westen gibt es diese Geschlossenheit nach wie vor. Die Entschlossenheit, es nicht hinzunehmen, was Putin hier angerichtet hat und anrichtet. In manchen Ländern des globalen Südens wird der Krieg aber als europäischer Konflikt wahrgenommen, während im eigenen Land Hungerfragen oder Klimafragen dringlicher sind, als dieser Krieg.
Gibt es immer noch eine breite Front für die Sanktionen gegen Russland, oder beginnt die zu bröckeln?
Es gibt kein Bröckeln, ganz im Gegenteil. Die Empörung über diese Art von Krieg und Kriegsführung wächst.
Putin kommt nicht selber nach New York, sein Außenminister Lawrow kommt am Ende der Woche, wenn Sie und viele andere Staatschefs schon abgereist sind. Wie isoliert ist Russland derzeit?
Mehr als die russische Führung sich das erwartet hat. Indiens Premierminister Modi hat ihn doch auf offener Bühne bloß gestellt, indem er Putin öffentlich erklärt hat, Krieg ist nicht das, was die Welt braucht. Noch eine Woche vorher waren wir uns nicht so sicher, wie Indien auf diese Situation reagiert.
Sie treffen auch den türkischen Präsidenten Recep Erdogan. Worüber werden Sie mit ihm reden?
Es gibt ein paar bilaterale Themen wie etwa die gemeinsamen Übungen von Nato-Truppen und österreichischen Soldaten. Vor allem aber möchte ich Präsident Erdogans Sichtweise hören, wie er die Lage in Russland und der Ukraine beurteilt. Die Türkei war in den letzten Monaten ja immer wieder Ort von Zusammenkünften zwischen russischer und ukrainischer Seite, nicht zuletzt bei den Verhandlungen zu den so wichtigen Getreidelieferungen. Ich bin da eher pessimistisch, auch Präsident Erdogans hat in den letzten Tagen sehr klare Worte gegenüber Putin gefunden. Putin hat einen militärischen Angriff auf die Ukraine gestartet. Er hat uns allen gegenüber viele Versprechen gebrochen. Putins ideologische Fixierung auf ein "Großrussland" ist der Grund für diesen fürchterlichen Krieg. Die Ukraine wird keine Gebietsabtretungen akzeptieren.
Fürchten Sie, dass in Österreich im Herbst die Stimmung kippt?
Ich bin zuversichtlich, dass wir das über den Winter einigermaßen in den Griff kriegen, wir müssen den privaten Haushalten helfen und auch an Gewerbebetriebe, wie etwa Bäcker, oder an unsere Industrie und die Arbeitsplätze denken. Es ist unbestreitbar, dass es schwierige Zeiten sind, aber ich glaube schon, dass in Zusammenarbeit zwischen den Sozialpartnern, der Regierung und eine gute Einbindung der Oppositionsparteien eine Lösung machbar ist.
Natürlich höre und verstehe ich die besorgten Kommentare. Aber ich möchte daran erinnern, dass wir auch während der Covid-Krise in sehr kurzer Zeit für eine ganz schwierige Situation eine Lösung gefunden haben, nämlich in Form der Kurzarbeit, die Arbeitslosigkeit und großflächige Betriebsschließungen verhindert hat. Das können wir noch einmal schaffen, wenn wir miteinander und nicht gegeneinander handeln.
Fünf ihrer Herausforderer bei der Bundespräsidentenwahl sprechen sich für ein Ende der Sanktionen aus.
Da stelle ich die Gegenfrage: Ist die Preisentwicklung für Strom und Gas eine Folge der Sanktionen oder des Kriegs? Mit dem Krieg hat das alles begonnen, nicht mit den Sanktionen.
Wird die österreichische Sanktionen-Debatte hier in New York wahrgenommen?
Mich hat jedenfalls niemand darauf angesprochen.
Warum diskutieren Sie das nicht bei gemeinsamen Fernsehdebatten mit ihren Herausforderern?
Ich bin amtierender Bundespräsident, die Österreicherinnen und Österreicher kennen mich gut. Sie haben sich durch meine Amtsführung in den letzten Jahren ein klares Bild machen können. Die Zeiten waren und sind stürmisch und ich denke, dass ich durch meine Erfahrung und Unabhängigkeit dem Land auch in den nächsten Jahren gute Dienste leisten könnte. Ich hoffe auf das Vertrauen und das Zutrauen der Wählerinnen und Wähler. Und zwar in der Wahlkabine.
Veronika Dolna aus New York