Die Wogen gehen hoch, seit am späten Sonntagabend bekannt wurde, dass die Wien Energie – der wichtigste Energielieferant für Bewohner und Unternehmer in der Hauptstadt – Liquiditätsprobleme hat, und die Bundesregierung um finanzielle Unterstützung bat. Benötigt werden Garantien (Medienberichten zufolge in der Höhe von rund 1,7 Milliarden Euro), damit weiter an der Börse Gas eingekauft werden kann.
Doch laut einer Aussendung des Finanzministeriums dürfte die Wien Energie deutlich mehr Geld vom Staat brauchen. "Offenbar kann das Unternehmen zur Besicherung von künftigen Lieferverträgen die notwendige Summe von 1,75 Milliarden mithilfe der Stadt Wien noch aufbringen", heißt es dort. "Für weitere erwartete Finanzierungserfordernisse bedarf die Stadt Wien jedoch die Hilfe des Bundes. Von Finanzstadtrat Hanke wurde der akute Finanzierungsbedarf der Stadt zur Weiterreichung an die Wiener Stadtwerke GmbH bzw. die Wien Energie GmbH in einem Brief mit 6 Milliarden Euro beziffert."
Und: "Die Folge einer Nichtzahlung der Wien Energie würde ein recht unmittelbarer Ausschluss vom Börsenhandel sein." Zur Umsetzung möglicher Unterstützungsmaßnahmen denke man laut Ministerium auch über einen Kredit in Milliardenhöhe nach, der über die Österreichische Bundesfinanzierungsagentur abgewickelt wird.
Hanke (SPÖ): Bis zu 10 Milliarden könnten nötig sein
Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer betonte im Gespräch mit der Kleinen Zeitung, dass man "natürlich helfen" werde. Aber es sei „verwunderlich, dass die Stadt Wien seit drei Wochen vom Problem weiß und erst, wenn es Spitz auf Knopf steht, die Bundesregierung informiert". Laut Maurer "stellt sich hier die Frage des Verantwortungsbewusstseins.“
Der Eigentümervertreter der Wien Energie, Finanzstadtrat Peter Hanke (SPÖ), war am Montag indes um Beruhigung bemüht. Er erläuterte, dass man den Bund gebeten habe, einen "Schutzschirm" für die heimischen Versorger zu erstellen, da derzeit an der Börse "Mondpreise" für Strom verlangt würden. Die Wien Energie sei besonders betroffen, da die Eigenproduktion geringer sei. "Wir fordern seit Wochen Maßnahmen des Bundes, die andere Länder – beispielsweise Deutschland und die Schweiz – schon längst gesetzt haben."
Es handle sich bei der Wien Energie in jedem Fall um ein wirtschaftlich gesundes Unternehmen, das auch keinen Verlust schreibe. Die Stadt sei bereits selbst mit Garantien eingesprungen – über jene hinaus, die vom Unternehmen üblicherweise selbst aufgebracht würden. "Das sind keine verlorenen Summen", beteuerte er. Diese würden nach Abschluss des Geschäftes wieder zurückfließen. Das Schutznetz könne sogar bis zu 10 Mrd. Euro betragen. Denn auch andere Energieunternehmen könnten möglicherweise noch weiter Garantielinien brauchen.
Grundsätzlich ist es in Zeiten wie diesen nicht ungewöhnlich, dass Staaten Energieunternehmen, die derzeit mit sehr hohen Einkaufspreisen für Gas konfrontiert sind, finanziell unterstützen. In Deutschland hat etwa der Gasversorger Uniper einen Antrag auf Staatshilfen gestellt. Um einen Schutzschirm für Unternehmen zu finanzieren, wird in Deutschland an einer Gasumlage für alle gebastelt. Da die Wien Energie einen besonders hohen Gasanteil in ihrer Stromversorgung hat, ist sie im Gegensatz zu anderen Landesenergieversorgern überproportional von den hohen Preisen betroffen.
Stadtrat war eingeladen, kam aber nicht
Ungewöhnlich ist aber jedenfalls, wie die Dinge am Wochenende abgelaufen sind: Am Samstag trat Wien Energie an die Bundesregierung heran, und bat um Unterstützung. Beim Krisengipfel am Sonntag – bei dem es laut dem Wiener Grünen-Chef Peter Kraus "hauptsächlich um die Lage der Wien Energie" gegangen war – waren aber weder der Bürgermeister Michael Ludwig, noch der zuständige Wirtschaftsstadtrat Hanke (beide SPÖ) anwesend. Der Stadtrat sei eingeladen gewesen, habe auch zugesagt, sei dann aber nicht erschienen, berichten die Wiener Grünen. Im Büro von Stadtrat Hanke wird die Zusage bestätigt, aus "terminlichen Gründen" habe er aber nicht bei dem "Branchentreff" dabei sein können.
Am Sonntagabend sagte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) in der ZiB 2, dass die Wien Energie an die Regierung herangetreten sei "mit der Bitte, dass wir uns dringend treffen, weil sie in eine finanzielle Notlage geraten sind". Seitens der Wien Energie wird eine Zahlungssicherheit aber dementiert: "Nein, Wien Energie ist nicht insolvent", heißt es auf Anfrage.
"Stillschweigende Finanzspritzen"
Offen bleibt etwa die Frage, ob und wie viele Garantien die Stadt Wien, die auch alleinige Eigentümerin des Unternehmens ist, bereits gegeben hat. "Die Stadt hat offenbar bereits mehrmals mit Millionenbeträgen ausgeholfen, damit dürfte der finanzielle Spielraum ausgeschöpft gewesen sein", sagt Peter Kraus. Auch die Wiener ÖVP ist verärgert: "Gab es stillschweigend Finanzspritzen am zuständigen Ausschuss vorbei?", fragt am Montag der ÖVP-Landtagsabgeordnete Manfred Juraczka. Weder der Ausschuss, noch der Gemeinderat, noch der Stadtsenat wurden mit der Frage befasst. "Offenbar hat der Bürgermeister das in Notkompetenz gemacht", schlussfolgert Kraus. Das sei grundsätzlich zulässig. Für die Grünen ist es allerdings "Vertuschung und Verschleppung", dass man so lange gewartet hat, um auf die Regierung zuzugehen, "wenn das Problem offenbar schon länger bekannt ist".
Der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp forderte via Aussendung eine sofortige Erklärung von Bürgermeister Ludwig: "Wir haben das Recht zu erfahren, seit wann die rot-pinke Stadtregierung von den Liquiditätsproblemen und der drohenden Milliardenpleite des städtischen Unternehmens gewusst hat." FPÖ-Obmann Herbert Kickl hat am Montag eine Sondersitzung des Nationalrates zu den finanziellen Turbulenzen der Wien Energie verlangt. Für eine Einberufung einer Sondersitzung ist während der derzeitigen Sommerpause ein Drittel der Abgeordneten nötig. Da die FPÖ darüber nicht verfügt, appelliert Kickl an die anderen Fraktionen, den Antrag zu unterstützen.
Offene Fragen, politisches Nachspiel
Energieministerin Leonore Gewessler (Grüne) bestätigte unterdessen, dass Wien Energie die benötigte Hilfe bekommt. Allerdings seinen "noch offene Fragen mit der Eigentümerin" zu klären, die "in den nächsten Stunden" stattfinden.
Sind die Fragen geklärt, könnte die Sache trotzdem ein politisches Nachspiel haben. Sollte sich herausstellen, dass Missmanagement die Wien Energie in die aktuelle Lage gebracht habe, "dann ist das ein Grund, der Stadtregierung das Vertrauen zu entziehen", erklärt die ÖVP.
Tirol will nicht für Wien zahlen
Tirols ÖVP-Chef und Landtagswahl-Spitzenkandidat Anton Mattle hat am Montag hingegen wenig Verständnis für eine Finanzhilfe des Bundes an die Wien Energie gezeigt. Die Schieflage des Energieversorgers sei zwar "bedauerlich", sagte er zur APA. "Klar muss aber sein, dass nicht jene Bundesländer, deren Energieversorger umsichtig gewirtschaftet haben, für die Schwierigkeiten der Energieversorger im Osten aufkommen müssen", hielt Mattle fest.
Tirol habe seine "Hausaufgaben gemacht und massiv in den Ausbau der Wasserkraft investiert". Mattle: "Es kann und darf deshalb nicht sein, dass der Westen für Liquiditätsprobleme der Bundeshauptstadt bezahlen soll", erklärte er.