Vorgezogene Neuwahlen und der Tausch des Spitzenkandidaten knapp vor einer Wahl, das ist immer auch ein Akt der Verzweiflung? Wie ernst ist die Lage in der Tiroler ÖVP?

ANTON MATTLE: Ich glaube nicht, dass das Vorverlegen der Wahl oder der Obmannwechsel einer ganz speziellen Situation geschuldet sind. Die Umfragewerte sind definitiv nicht gut, die machen mir auch Sorgen. Landeshauptmann Günter Platter haben die letzten zwei Jahre zudem sehr zu schaffen gemacht. Und in dieser schwierigen Zeit braucht es einen Landeshauptmann, der mindestens eine volle Periode, sprich für fünf Jahre, zur Verfügung steht.

Bei der letzten Wahl 2018 gab es Rückenwind aus dem Bund, jetzt Gegenwind. Wie schwer wird das für Sie sein?

Das ist keine einfache Situation. Wir in Tirol waren immer die Schwarzen, im Bund sind es die Türkisen, in Summe sind wir die Volkspartei. Die Aufgabe wird für mich nicht einfacher, aber wir besetzen klar die Tiroler Themen. Ich bin zuversichtlich.

Die Tiroler ÖVP liegt in Umfragen bei katastrophalen 30 Prozent. Ist nur der Bund schuld?

Ich meine, es ist einer gewissen Politikverdrossenheit in der Gesellschaft und der Ablehnung des Establishments geschuldet, denn die Sehnsucht nach Veränderung ist immer das ganz große Thema. Sagen wir so: Der Bund hilft in der Wahl nicht besonders, aber die Menschen unterscheiden bei Wahlen auch durchaus zwischen Bundes- und Landesebene.

Was läuft schief im Bund?

Da sind Dinge vorgefallen wie etwa die Chat-Geschichten, die scharf zu verurteilen sind. Es gibt aber auch den Untersuchungsausschuss und die Vorverurteilungen. Wir in Tirol haben nichts zu verbergen. Ich bin immer dafür gestanden, dass die Dinge transparent sind und auch offengelegt werden.

Muss man bei der Parteienfinanzierung nachschärfen?

Wir haben uns hier in Tirol auf ein komplettes Spendenverbot geeinigt und ein Gesetzesentwurf ist in Vorbereitung.

Ein eingefleischter ÖVP-Anhänger kann nicht einmal 20 Euro spenden?

Nein, die öffentliche Parteienfinanzierung ist ausreichend. Dann gibt es auch noch die sozialen Medien, vor allem aber die direkte Begegnung mit den Menschen vor Ort, und die kostet ja nichts. Es braucht beim Gesetz dann eine praxistaugliche Lösung, die kontrollierbar ist und Vorverurteilungen unterbindet – davon haben die Menschen genug.

In der Steiermark, in Ober- und Niederösterreich, in Wien war der Obmannwechsel immer auch mit einem Wechsel an der Spitze des Landes verbunden. Haben Mikl-Leitner, Stelzer, Drexler, Ludwig einen Startvorteil Ihnen gegenüber?

Die Lage ist nicht vergleichbar, weil wir bereits in drei Monaten wählen. Platter kann sich den Regierungsgeschäften widmen und ich bin zuständig für die Wirtschaft und widme mich der Wahlbewegung für die Landtagswahl.

Was ist das Wahlziel?

Selbstverständlich mehr als 30 Prozent.

Und der Einzug als Landeshauptmann ins Landhaus?

Natürlich. Wenn wir wieder stärkste Kraft im Land werden, wovon ich ausgehe, stellen wir berechtigterweise auch wieder den Führungsanspruch. Wir haben die letzten 77 Jahre Tirol ganz wesentlich mitgestaltet. Dass eine Demokratie heute mit anderen Mehrheiten leben muss, hängt mit der Buntheit in der Parteienlandschaft zusammen.

Garantie gibt es keine, dass Sie Platter als Landeshauptmann beerben?

Das ist auch gut so, dass es in Demokratien keine solchen Garantien gibt. Jeder muss daran hart arbeiten. Ich hoffe, dass ich in dem Zusammenhang mit meiner Lebenserfahrung punkten kann, das hilft, um ein Land in Krisenzeiten souverän zu führen.

Sind die FPÖ oder die MFG mögliche Koalitionspartner?

Heute eine Koalitionsaussage zu machen, ist noch viel zu früh. Generell bin ich einer, der mit den Leuten reden kann. Ich darf aber schon festhalten, dass der politische Stil für mich auch eine wesentliche Rolle spielt.

Sie stellen auch den Klimaschutz an die Spitze der Prioritätenliste, Tirol hat allerdings keine Windräder. Wie passt das zusammen?

Nur mit der Energiewende werden wir auch den Klimaschutz weiter vorantreiben, in Tirol haben wir gute Voraussetzungen, weil wir jetzt schon hundert Prozent des elektrischen Stroms aus erneuerbaren Energien erzeugen. Wir haben noch Potenzial bei der Wasserkraft und der Fotovoltaik, ich denke hier beispielsweise an die 300 Sonnentage pro Jahr in Osttirol. Nur mit einem gemeinsamen Kraftakt und vor allem einem klaren Bekenntnis des zukünftigen Koalitionspartners kann Tirol energieautonom werden.

Ohne Windräder?

Die Topografie ist nicht ideal, denn böige Winde oder steile Hanglagen eignen sich nicht für Windräder. Nach der aktuellen Windkraftstudie würden außerdem 75 Prozent der Windräder in Landschaftsschutzgebieten stehen. Ich habe hier keine Berührungsängste, aber das Potenzial ist gering.

Was halten Sie von einem Preisdeckel?

Wir müssen schauen, dass wir in Europa gemeinsam Gas einkaufen. Nur so bringen wir den Preis unter Kontrolle. Wenn ich mir die Tiroler Situation anschaue, wäre ein Gaspreisdeckel das effizientere Mittel, denn der Gaspreis treibt bei uns auch den Strompreis in die Höhe. Ich würde beim Gas, nicht beim Strom ansetzen. Alle Haushalte, die von der Tiwag versorgt werden, haben gegenüber dem Vorjahr aktuell keine Strompreiserhöhung. Der Preis ist zwar um 14 Prozent gestiegen, durch die Verringerung der Elektrizitätsabgabe und den Wegfall der Ökostrom-Pauschale ist es ein Nullsummenspiel, das heißt, für die Tirolerinnen und Tiroler bleibt der Strom gleich teuer wie bisher und damit österreichweit fast am günstigsten. 

100.000 Tiroler haben eine Ölheizung. Wann erfolgt der Umbau?

Bis 2040 will Österreich raus aus Öl und Gas. Alles, was schneller ist, ist zu begrüßen, aber ich bin ein Realist. Wenn wir jetzt beginnen, 100.000 Ölheizungen und 18.000 Gasheizungen in Tirol auszutauschen, müssten wir täglich 50 Heizanlagen wechseln. Ich habe meine Zweifel, ob wir derzeit genügend Mitarbeiter und genügend Material haben, um das zu bewerkstelligen. Der Tausch ist eine gewaltige Herausforderung. Je schneller, desto besser.

Ich habe vernommen, dass Sie gern gendern. Werden Sie der erste Landeshauptmann sein, der das tut? 

Es gelingt mir bei Gott nicht immer, aber ich versuche es, denn Chancengleichheit für Frauen und Männer ist für mich eine Selbstverständlichkeit.

Wenn Sie die Wahl gewinnen, sind Sie dann Landeshauptmann oder Herr Landeshauptfrau?

Landeshauptmann.

Da gibt’s kein Gendern?

Wie auch? Ich bin ein Mann.

Letzte Frage: Die ÖVP hat keinen Kandidaten für die Bundespräsidentenwahl aufgestellt. Wissen Sie, wen Sie wählen werden?

Auch für den Spitzenkandidaten der Tiroler Volkspartei gilt das Wahlgeheimnis, ich habe aber durchaus Sympathien für den Tiroler Kandidaten (Anmerkung: Van der Bellen).