Ab heute steht das Parlament still, oder zumindest: der Nationalrat. Mit heute, 15. Juli, ist das angebrochen, was der Volksmund "Parlamentsferien" nennt. Technisch gesprochen heißt es "tagungsfreie Zeit" – die ist für den Nationalrat in Artikel 28 des Bundes-Verfassungsgesetzes von Mitte Juli bis Mitte September vorgeschrieben.

Das heißt freilich auch, dass die Abgeordneten sich diese Zeit nicht unmittelbar als "Urlaub" aussuchen – sondern dass die österreichische Verfassung vorsieht, dass der Nationalrat regelmäßig in dieser Zeit stillsteht. (Zumindest weitgehend; einige Sonderfunktionen wie der ständige Unterausschuss des Hauptausschusses, in dem alle Parteien vertreten sind, oder Untersuchungsausschüsse dürfen weiter zusammentreten).

Das hat zum einen organisatorische Gründe: Sowohl die Abgeordneten als auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Parlaments können so eine "ruhigere" Zeit für Urlaube einplanen.

1920 abgeschaffte Ferien kamen 1929 wieder

Zum anderen entspringt diese "tagungsfreie Zeit" aber einer historischen Machtfrage: Als in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der österreichische Parlamentarismus nach und nach seine Rechte erkämpfte, waren Kaiser Franz Joseph und seine Regierungen sehr darauf bedacht, das Parlament nicht zu mächtig werden zu lassen, erklärt Christoph Konrath, Abteilungsleiter in der Parlamentsdirektion, im Podcast des Parlaments: "Es gab sehr viele Mechanismen, um das Parlament in seinen Handlungen einzuschränken, und eines der wichtigsten war, dass die Parlamentsarbeit in Tagungen gegliedert war, und was man in einer Tagung nicht erledigt hat, war verfallen, also das musste man wieder von vorne anfangen. Und man konnte das auch vom Kaiser und seiner Regierung her ganz geschickt einsetzen, um zu steuern, wie oft das Parlament zusammenkommt oder nicht."

Nach dem Zusammenbruch der Monarchie eliminierten die Gründer der Republik diese tagungsfreie Zeit dann – in der Verfassung von 1920 fand sie sich nicht mehr wieder. In der ersten großen Verfassungsreform von 1929 kehrte sie aber wieder zurück. Deren Ziel war es – in einer Zeit tiefer Skepsis gegen den Parlamentarismus –, den Bundespräsidenten und die Bundesregierung gegenüber dem Nationalrat zu stärken. Und so führte man die tagungsfreie Zeit wieder ein.

Wiedereinberufung braucht den Bundespräsidenten

Das heißt allerdings nicht, dass Nationalratssitzungen zwischen 15. Juli und 15. September komplett ausgeschlossen sind – in den letzten beiden Jahren fanden trotzdem Sondersitzungen zu Korruption und Corona statt. Es braucht nur etwas mehr als unter dem Jahr, um sie einzuberufen.

Zuerst muss entweder die Bundesregierung, der Bundesrat (der keine tagungsfreie Zeit hat) oder ein Drittel der Nationalratsabgeordneten eine "außerordentliche Tagung" beantragen. Und dann – und deswegen die Neuerung 1929 – braucht es den Bundespräsidenten: Er muss den Nationalrat wie einst der Kaiser zu einer "außerordentlichen Tagung" einberufen.

Der Bundespräsident ist zwar verpflichtet dazu, das zu tun – trotzdem ist es ein Teil des republikanischen Gefüges von Österreich. "Es bringt natürlich ein Verständnis vom Verhältnis zwischen Parlament und Exekutive zum Ausdruck, weil eben das Parlament – also hier der Nationalrat – nicht selbst darüber entscheiden kann, wann er wieder zusammenkommt, sondern auf die Bundesregierung und den Bundespräsidenten angewiesen ist", so Konrath. Ambitionen, diese Struktur abzuändern, sind in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder im Sand verlaufen.

Ob auch heuer wieder eine solche "außerordentliche Tagung" notwendig wird, um die Abgeordneten zusammentreten zu lassen, ist offen – bisher ist keine Sondersitzung angekündigt.