Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) hatte keinen guten Einstand als Vorsitzender im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss. Der Niederösterreicher hatte die Tonanlage im Ausschusslokal so umprogrammieren lassen, dass er die Mikrofone der Abgeordneten per Knopfdruck an- und vor allem ausschalten konnte. Eine Maßnahme, die der Vorsitzende nach lautem Protest von Opposition und Grünen zurücknehmen musste.

Heute wurde Sobotka nicht als Vorsitzender, sondern als Auskunftsperson in die Mangel genommen - mehr als fünfeinhalb Stunden lang. Der Erkenntnisgewinn hielt sich aber in engen Grenzen: Der Nationalratspräsident beteuerte, dass in seinem Ministerium stets alles mit rechten Dingen vorgegangen sei und verwies in Detailfragen auf die zuständigen Fachabteilungen. Am Nachmittag war der interimistische Leiter des Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) zu Gast. Er zeigte vor allem auf, wie wenig Führungskräfte das BAK hat.

Keine Wahrnehmungen

Zuvor glänzte aber Sobotka: Dazu, ob Kickbackzahlungen nach Auftragsvergaben aus seinem Ministerium auch nur jemals Thema waren, hatte der frühere Innenminister "keine Wahrnehmung". Mit Inseraten habe er sich nicht beschäftigt, dafür sei die Fachabteilung zuständig gewesen. Inserate des Innenministeriums beim "Ybbstaler" - einem niederösterreichischen Regionalblatt - argumentierte der frühere Innenminister ebenfalls mit der Zuständigkeit der Fachabteilung, "sicherheitspolitischen Interessen" und "Hotspots, die dort aufgetreten sind".

Zum Projekt Ballhausplatz sagte der Kurz-Vertraute, er sei in die Erstellung nicht involviert gewesen. "Der Autor ist mir nicht bekannt." "Freunderlwirtschaft" in seiner Zeit als Innenminister habe es nicht gegeben, alle Bestellungen seien gesetzeskonform erfolgt, betonte Sobotka. Dass Einfluss auf Bestellungskommissionen genommen worden sei, könne er sich nicht erinnern. Er habe sich nie um die Zusammensetzung von derartigen Kommissionen gekümmert.

Wolfgang Sobotka auf dem Weg in den Ausschuss
Wolfgang Sobotka auf dem Weg in den Ausschuss © APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)

Kein Rückzug

Öffentlich gewordene Chats auf dem Handy von Michael Kloibmüller, Sobotkas früherem Kabinettschef im Innenministerium, hatten den nunmehrigen Nationalratspräsidenten weiter unter Druck gebracht. Alle Parteien außer der ÖVP forderten Sobotka daraufhin zum Rückzug als Vorsitzenden auf.

Dass er dies nicht tat und heute als Vorsitzender den Platz der Auskunftsperson annahm, ist für SPÖ-Fraktionschef eine "skurrile Situation", Neos-Fraktionsführerin Stephanie Krisper sieht einen "absurden Zustand". Im Verlangen zur Einsetzung des U-Ausschusses ist Sobotka siebenmal (einmal in einem Link) namentlich erwähnt.

ÖVP-Fraktionsführer Andreas Hanger hat damit naturgemäß kein Problem. Er ist mit der "objektiven Vorsitzführung" seines Parteikollegen zufrieden - im Gegensatz zu jener der zweiten Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ), die heute Vorsitz führte und vor allem im Laufe der Befragung Sobotkas lautstark von der ÖVP kritisiert wurde.

Verdächtigter Vorsitz

Seit Ende März geht die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gar einem Korruptionsverdacht gegen den Natioanalratspräsidenten nach. Bei einer Postenbesetzung aus dem Jahr 2017 soll Sobotka in seiner Zeit als Innenminister aus "unsachlichen, parteipolitischen Erwägungen" dafür gesorgt haben, dass Franz Eigner Wiener Vizelandespolizeipräsident wurde.

Der damalige Innenminister schrieb seinem Kabinettschef: "Wurde gebeten, ein gutes Wort für ihn einzulegen. Da er in der FCG recht fleißig ist, mach ich das gerne." Eine andere Bewerberin, der eine SPÖ-Nähe nachgesagt worden war, sei dadurch bewusst übergangen worden. Der zweithöchste Mann im Staat bestreitet den Vorwurf des Amtsmissbrauchs. Es gilt die Unschuldsvermutung.

"Macht es, wie es state of the art ist"

Sobotka betonte, dass bereits fünf Verfahren von falscher Zeugenaussage bis Amtsmissbrauchs gegen ihn eingestellt wurden - dieses aber noch nicht, da werde er noch als Beschuldigter geführt. Der Nationalratspräsident Machte dennoch nicht von seinem Entschlagungsrecht Gebrauch.

Er habe keine Wahrnehmung dazu, dass irgendein Bestellvorgang im Innenministerium "nicht lege artis" stattgefunden habe, so Sobotka. Dass ihm Kabinettschef Michael Kloibmüller zu der Postenbesetzung schrieb, es sei alles "eingehängt" und Sobotka mit "Ok" antwortete, sei als "Macht es so, wie es eben 'State of the Art' ist" zu verstehen. "Ich kann hier keine Unterstellungen gebrauchen", sagte Sobotka.

Zu "State of the Art" gehörte für Kloibmüller offenbar, "den Sozen" zu zeigen "wo der Hammer hängt". Sobotka teilt diese an ihn geschriebene Wortwahl seines früheren Kabinettchefs nicht, das sei nicht seine Formulierung. Zurückgewiesen hat er sie im Chatverlauf aber auch nicht. Man müsse das in einem größeren Zusammenhang sehen, beteuerte der Nationalratspräsident: Der Wiener Vizepolizeidirektor sei für ihn als Innenminister "keine zentrale Position" gewesen. Dass die Neos-Abgeordnete Stefanie Krisper darüber lachen musste, wollte sich der Präsident nicht gefallen lassen.

Schwarze Posten

Strafrechtlich nicht relevant, für den U-Ausschuss aber interessant dürfte auch ein anderer Chatverlauf sein: Demnach zeigte sich eine Mitarbeiterin besorgt, dass am Server der Kabinettsmitarbeiter "unter Herr Bundesminister Sobotka eine Liste liegt, die Interventionen heißt und noch dazu alle Interventionen mit Stand anführt".

Kloibmüller, Empfänger der Nachricht und Verfasser der Antwort "da muss i reden", konnte sich als Auskunftsperson an keine solche Liste erinnern. Er verstehe die mediale Berichterstattung aber so, dass der damalige Innenminister eine Art "Abarbeitungsliste" geführt habe, um Anliegen der Bevölkerung aufzulisten und abzuarbeiten, so der frühere Kabinettschef. Auch Sobotka betonte stets, es habe sich dabei um "Bürgeranfragen" gehandelt.

Ein konzentrierter Präsident
Ein konzentrierter Präsident © APA/HELMUT FOHRINGER (HELMUT FOHRINGER)

"Jeder ist an mich herangetreten"

Interventionen seien "im politischen Sprachgebrauch Wünsche und Anliegen der Bevölkerung an Politiker", so Sobotka auch im U-Ausschuss. "Die müssen gar nicht unbedingt grundsätzlich mit der Funktion zu tun haben". Eine derartige Liste habe den Sinn, ein Anliegen nicht nur zur Kenntnis zu nehmen, "sondern auch im Sinne eines Dienstleistungsgedanken zurückkommuniziert", bestätigte Sobotka hingegen die Existenz der Interventionsliste im Innenministerium.

Es habe aber keine zentrale Liste gegeben, "jeder Mitarbeiter hat das für sich selbst gemacht", die Ergebnisse seien dann in regelmäßigen Sitzungen auch besprochen worden, erklärte der nunmehrige Parlamentspräsident. Als Innenminister seien Wünsche und Anregungen von allen Parteien an ihn herangetragen worden, betonte Sobotka: "Jeder ist mit seinen Vorstellungen und Wünschen an mich herangetreten, ich habe sie dann weitergeleitet."

Dass der Nationalratspräsident im ÖVP-Korruptions-U-Ausschuss befragt werden sollte, stand aber schon lange vor Bekanntwerden der "Kloibmüller-Chats" fest. Immerhin stand das mittlerweile aufgelöste "Alois-Mock-Institut", dessen Präsident der Niederösterreicher lange war, bereits lange im Fokus der Abgeordneten. Er habe im Verein nie Finanzverantwortung gehabt, schob Sobotka Fragen zu Sponsorings niederösterreichischer Landesunternehmen an das Alois-Mock-Institut zur Seite.

Das Aktenwagerl der Opposition trägt denselben Schriftzug wie so meist - auf jenem der ÖVP steht ´heute nichts Neues´
Das Aktenwagerl der Opposition trägt denselben Schriftzug wie so meist - auf jenem der ÖVP steht ´heute nichts Neues´ © APA/HELMUT FOHRINGER

BAK unter der Lupe

Das Innenministerium blieb auch am Nachmittag im Fokus: Der geschäftsführende Direktor des Bundesamtes zur Korruptionsbekämpfung (BAK) wurde befragt - Erkenntnisse lieferte der Korruptionsjäger, der seine Behörde seit zwei Jahren interimistisch leitet, nur eher unfreiwillig.

Die Leitung des BAK wurde erst im März dieses Jahres neu ausgeschrieben, weil der frühere Direktor nach Vorwürfen der sexuellen Belästigung abgesetzt wurde und diesen Posten noch blockiert hatte. Gegen ihn läuft ein Disziplinarverfahren - ob dieses bereits abgeschlossen ist, weiß sein interimistischer Nachfolger nicht. Er habe aber vor Kurzem selbst als Zeuge ausgesagt.

Dünne Personaldecke

Die Personaldecke der Korruptionsjäger dürfte etwas dünn sein: Die Abteilung 1 besetzt der geschäftsführende Direktor plangemäß selbst, Abteilung 2 führt er ebenfalls interimistisch. Dass unter ihm die Summe der Vollzeitäquivalente im BAK sank, hält er für weniger relevant, als dass die Zahl der besetzten Planstellen stieg. Anders gesagt: Es arbeiten nun zwar mehr Korruptionsjäger, diese leisten aber weniger Stunden - außer an den obersten Führungsstellen, wo eben der interimistische Leiter die Arbeit von drei Personen macht.

Fragen zu konkreten Causen konnte er nicht beantworten. Ob das BAK bei Ermittlungen mit dem Bundeskriminalamt (BA) kooperiere, wisse er nicht. "Ich bin nicht soweit in den operativen Dienst eingebunden, dass ich diese Frage beantworten könnte", so der ruhige Beamte, dessen Befragung sich vor allem aufgrund seiner Antwortgeschwindigkeit zog.

Das BAK übernahm nicht nur die Ermittlungen, nachdem die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) der eigens nach der Veröffentlichung des Ibiza-Videos eingerichteten "SoKo Tape" das Vertrauen entzogen hatte, sondern hatte auch schon davor Erhebungen durchgeführt. Zudem wollen die Abgeordneten der Frage nachgehen, warum das BAK damals im Mai 2019 bei Beginn der Ermittlungen zugunsten der "Soko Tape" ausgebootet wurde.

Verfahrensanwältin wollte "ÖVP einen Vorteil gewähren"

Eine pensionierte Beamtin des BAK konnte ihre Wahrnehmungen zur sichtbaren Freude der ÖVP nicht mehr darlegen. Nicht nur, weil Sobotkas Befragung von ständigen Geschäftsordnungsdebatten geprägt war, sondern auch, weil der heutige Tag mit einer Verzögerung startete: Bei der Befragung des "Demox"-Geschäftsführers vor zwei Wochen hatte die SPÖ ihr zugespielte Dokumente vorgelegt.

Die ersten zwei Seiten wurden aber irrtümlich ausgeteilt - sie hätten womöglich auf die Identität des Informanten schließen können. Daher sammelte die SPÖ diese beiden Seiten prompt wieder ein. Die Verfahrensanwältin riss diese bei ihrer Kopie aber ab und übergab sie in einer folgenden Stehung an einen Abgeordneten der ÖVP.

Verfahrensrichter Pöschl hielt nun schriftlich fest: "Die Vorgangsweise der Verfahrensanwältin lässt erkennen, dass sie damit der ÖVP einen Vorteil gewähren wollte" und forderte "angemessene Konsequenzen". Opposition und Grüne fordern nun, dass die Verfahrensanwältin - die heute nicht anwesend ist - künftig nicht mehr im Ausschuss tätig sein soll. Die Verfahrensanwältin erklärte, sie sehe es als Frage der Fairness, "dass in das vorgelegte Dokument alle Ausschussmitglieder Einsicht haben".

Jetzt wisse man, warum die ÖVP so auf ihre Person gedrängt habe, sagt SPÖ-Fraktionsführer Krainer. Die Verfahrensanwältin kann nicht abgesetzt werden, sondern nur selbst zurücktreten. Krainer glaubt - auch weil sie bereits heute zum ersten Mal seit Beginn des U-Ausschusses fehlt -, dass sie das auch tun wird: "Wir gehen davon aus, dass wir sie zum letzten Mal in diesem Ausschuss gesehen haben."

Ein zweiter Aufreger wird erst morgen beschlossen: Der frühere Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, soll dem Ausschuss behördlich vorgeführt werden. Das werden die Abgeordneten am Donnerstag einstimmig beschließen.

ÖVP will "SPÖ-Beinschab-Tool" betrachten

Die ÖVP rund um Fraktionsführer Andreas Hanger erwartet sich aus den heutigen Befragungen keinen Erkenntnisgewinn. Das ist auch sein Fazit des bisherigen Ausschusses: In über 20 Befragungstagen und bei über 50 Auskunftspersonen sei der Erkenntnisgewinn "sehr bescheiden" gewesen, die Geladenen konnten meist keinen Beitrag zu dem Untersuchungsgegenstand leisten, findet Hanger.

Er freut sich schon auf den Herbst - dann will sich die Volkspartei im ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss die SPÖ vornehmen. Konkret soll das "SPÖ-Beinschab-Tool" unter die Lupe genommen werden - immerhin hatte die in der Umfragen-Affäre beschuldigte Sabine Beinschab bei einer ihrer Befragungen durch die Staatsanwaltschaft auch manipulierte Umfragen im Auftrag der SPÖ angesprochen.