Wirtschaftskammer- und Nationalbank-Präsident Harald Mahrer hat eine neue Funktion: Er ist jetzt auch noch Sprecher all jener Menschen, die die EU-Sanktionen gegen den russischen Aggressor am liebsten besser heute als morgen entsorgen würden.
Im "Kurier" erklärte Mahrer am Wochenende, die Sanktionen nach dem Einmarsch in der Ukraine seien "nur mit einer Gehirnhälfte" gedacht worden – "ich weiß nicht, ob es ein Fehler war. Ich weiß nur auch nicht, ob es fertig gedacht war". Im Ö1-Morgenjournal am Montag legte Mahrer noch einmal nach und erklärte, die Sanktionen seien ja "seit einem halben Jahr im Kämmerchen vorbereitet worden", aber man komme am Weg in die Wüste leider drauf, dass man nicht genug Sprit mitgenommen habe.
Jetzt betont der Präsident, es ginge ihm nur darum, dass EU und Bundesregierung schnell nachdenken sollten, wie sie aus dem Energiepreis-Schlamassel wieder herauskommen. Aber Mahrer ist ein gescheiter Mensch und als langjähriger Politfunktionär weiß er ganz genau, welche Botschaft er mit "mit halbem Hirn gedacht"-Sagern streut. An kommt da: Wir hätten das mit den Sanktionen lieber gleich lassen sollen.
Weder Gesinnungs- noch Verantwortungsethik
Mahrer strapaziert für diese Message den Unterschied zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Vereinfacht gesagt stellt der Gesinnungsethiker seine Ideologie (in dem Fall: den Aggressor für seinen Überfall auf die Ukraine zahlen zu lassen) über alles, der Verantwortungsethiker dagegen prüft vernünftig, was er für sich und die Seinen erreichen kann und richtet sein Handeln dann daran aus. Noch einfacher: Die Sanktionierer hätten sich halt mehr vom Bauchgefühl, als vom Hirn leiten lassen.
Das ist eine kurzsichtige Perspektive – und genau jene, mit der in Österreich (und ganz besonders in der Wirtschaftskammer) über Jahrzehnte Kritiker abgeschasselt worden sind, die davor gewarnt haben, das Land zu sehr von billiger russischer Energie abhängig zu machen.
Wer jetzt, nachdem das Putin-Regime wieder und wieder beweist, wie wenig es von einer stabilen europäischen Friedensordnung hält, das Lieferverträge als geopolitische Waffe einsetzt und Kriegsverbrechen verübt, noch immer auf eine "Normalisierung" der Geschäftsbeziehungen mit eben diesem Staat setzt, erfüllt auch nicht seinen Anspruch als Verantwortungsethiker.
Wenn uns die Geschichte etwas lehrt, dann dass Staaten, die ihre Nachbarn überfallen, keine stabilen Wirtschaftspartner sind. Mahrer hat mit einem Teil seiner Kritik recht: Die EU und Österreich müssen Antworten auf die Energiekrise finden, die Putin ausgelöst hat. Die Sanktionen aufzuheben und "sag'ma es war nix" zu spielen, wäre die falsche.
Georg Renner