Anders als letztes Jahr fallen die Coronazahlen heuer nicht mit den steigenden Temperaturen, im Gegenteil: Eine Sommerwelle droht. Heute meldete der nationale Krisenstab 6869 Neuinfektionen – das ist der höchste Wert seit einem Monat. In der Steiermark wurden seit gestern 662 neue Fälle gemeldet, in Kärnten 106. Die meisten Neuinfektionen gibt es in der Bundeshauptstadt: Seit gestern wurden 2664 neue Coronafälle in Wien gemeldet. Besonders stark steigen die Infektionen bei den 25- bis 34-Jährigen.
"Wir müssen in den kommenden Wochen mit weiter steigenden Zahlen bei Neuinfektionen rechnen", heißt es dazu aus dem Gesundheitsministerium. Die aktuellen Entwicklungen würden aber weitgehend den Prognosen entsprechen und würden vor allem an abnehmender Immunität und der höheren Ansteckungsrate durch die neuen Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 liegen, so das Ministerium, das einmal mehr für Verantwortung und Solidarität appelliert: "Beispielsweise indem wir die Maske tragen, wenn mehr Menschen auf engem Raum zusammenkommen."
Glaubt man dem Prognosekonsortium, dürften die Neuinfektionszahlen im Sommer stark ansteigen. Das liegt einerseits an den neuen Subvarianten, andererseits konnten die Expertinnen und Experten in den letzten Wochen einen "erhöhten Anteil an reiseassoziierten Fällen" beobachten. Auch Großveranstaltungen könnten einen merkbaren Beitrag zum Infektionsgeschehen leisten. Glaubt man der Prognose, könnten bis nächsten Mittwoch 6800 Neuinfektionen also nicht mehr die Ausnahme, sondern die Regel sein – Tendenz steigend: Bis Herbst könnte sich ein Plateau von bis zu 30.000 neuen Fällen pro Tag bilden, warnte der Komplexitätsforscher Peter Klimek Anfang des Monats.
Gecko: Höhepunkt der Sommerwelle im August/September möglich
In letzter Zeit war es still geworden um das Gremium, aber Gecko gibt es noch, und die Fachleute tagen auch. Auch sie beziehen sich in ihrem aktuellen "Executive Report" auf die neueste Prognose und sehen ähnliche Faktoren, die das Ansteigen der Fälle befeuern – nämlich die Subvarianten BA.4/BA.5. "In Österreich sehen wir eine nahezu wöchentliche Verdoppelung der Anteile von BA.5/BA.4 bei den Neuinfektionen", heißt es dazu im Report. Simulationsforscher Nikolas Popper stellte unterschiedliche Szenarien für die Entwicklung der kommenden Wochen vor. Im Fall, dass andere Varianten als BA.2 das Infektionsgeschehen dominieren, sei demnach von einem Höhepunkt der Welle vor dem Herbst auszugehen.
Tritt dieser Fall ein, werden die Fallzahlen bereits im Juni und Juli ansteigen und dann bereits im August oder September einen Peak erzeugen. Sollte dies so eintreten, dann werde die folgende "Herbstwelle" ein wenig später und weniger stark ausgeprägt stattfinden (sofern Kreuzimmunität besteht). Fix ist das freilich nicht: "Bei entsprechend schnellerer Verbreitung anderer (Sub-)Varianten können sich diese Prozesse noch weiter nach vorne verschieben", heißt es im Report.
Zu den Auswirkungen auf das Gesundheitssystem erklärte Popper in der Kommission, ein schneller hoher Peak könnte über einen kürzeren Zeitraum zu hohen Belagsständen auf den Intensivstationen und den Normalstationen führen. "Erhält man jedoch zunächst eine kleinere Welle im Frühherbst und danach eine reduzierte Welle im Winter, ist (je nach Virulenz der neuen dominanten Variante) gemäß Simulation, auch die Momentanbelastung im Spital vor allem auf den Intensivstationen geringer", so der Bericht.
Spitalszahlen noch stabil
Aufgrund der niedrigen Hospitalisierungsrate könne das Gesundheitssystem aber sehr gut mit einer Sommerwelle umgehen, heißt es aus dem Gesundheitsressort. Tatsächlich bleibt die Zahl der mit Covid-19-Patientinnen und -Patienten belegten Intensivbetten stabil: Aktuell werden 34 Personen in ganz Österreich intensivmedizinisch betreut, neun weniger als noch gestern. Genau neun Todesfälle an oder mit dem Virus wurden heute auch gemeldet.
511 Menschen werden mit Covid-19 im Spital behandelt. Laut Prognose könnte sich dieser Wert bis Monatsende aber fast verdoppeln. Auch die Belastung der Intensivbetten wird steigen – wenn auch langsamer und auf niedrigerem Niveau. So könnten bis Monatsende etwa 60 Covid-19-Patientinnen und -Patienten intensivmedizinisch betreut werden müssen.
Gesundheitsminister Johannes Rauch rechnete schon vorige Woche mit steigenden Zahlen im Sommer, das sei "keine Überraschung", sagte er gegenüber Journalistinnen und Journalisten. Ein Lockdown war aber für den Ressortchef dennoch nicht "in Blickweite", ebenso wie Schulschließungen, die es – "so lange es geht" – zu verhindern gelte, um Bildungsverluste zu verhindern. Auch außerhalb Wiens werde die Maske aber wohl im Herbst zurückkehren, "weil es das gelindeste Mittel ist". Auch damit werde man leben müssen, erklärte Rauch.
Neue Daten zur Mortalität
Wie sehr neben der Maske die Impfung vor einem schweren Verlauf schützt, zeigt eine neue Untersuchung der Impfeffektivität in Wien, auf welche sich Gecko in ihrem Bericht beruft. Eine Auswertung von (vorerst nicht validierten) Daten der Landessanitätsdirektion Wien zeigt, dass die Mortalität bei Ungeimpften über den Gesamtzeitraum der Pandemie konstant blieb (Erhebungszeitraum 26. Februar 2020 bis 7. April 2022). "Das heißt, die scheinbar geringere Mortalität der Delta- und Omikronvarianten ist ein Artefakt der Durchimpfung der Bevölkerung."
Auch könnte diese Untersuchung möglicherweise für die nächsten Entscheidungen des Nationalen Impfgremiums von Bedeutung sein. Denn die Impfeffektivität war hinsichtlich der Mortalität in der Omikron-Phase deutlich niedriger als in vorangegangenen Phasen – in Abhängigkeit vom Abstand zur dritten Impfung: Je nach Abstand zeigte sich für die Omikron-Phase ein Anstieg der Mortalität – und zwar in der Größenordnung von 30 Prozent pro Monat (nach dem Drittstich) bei Personen von 65 Jahren oder älter. Sobald die Daten validiert sind, könnte sich daraus "die Empfehlung ergeben, engmaschigere Auffrischung in bestimmten Personengruppen durchzuführen", so Gecko – die Ergebnisse werden in der nächsten Sitzung des Nationalen Impfgremiums (NIG) diskutiert werden.
Derzeit wird ein vierter Stich für Personen ab 80 Jahren vom NIG dezidiert empfohlen, für über 65-Jährige lautet die NIG-Vorgabe, dass eine solche Auffrischung erfolgen "kann". Für jüngere Personen ist sie nicht empfohlen, soll aber auf Wunsch auch "nicht vorenthalten werden".
Maximilian Miller