Ein Bundespräsident sei dazu da, den Horizont und den generellen Kurs des Schiffes, das große Ganze im Auge zu behalten – und nicht dazu, auf jede kleine Welle zu reagieren, die da auf dem Weg daherkommt. So zeichnete Alexander Van der Bellen, Bundespräsident und seit gestern offiziell auch Kandidat um eine zweite Amtszeit, sein Selbstbild von seinem Amtsverständnis in der Zeit im Bild 2 am Montagabend.
Aber bei all dem Gerede vom Meer sei die Anmerkung erlaubt: Die Zuseherinnen und Zuseher erlebten da einen Präsidenten, der stellenweise ordentlich ins Schwimmen gekommen ist.
"Wo war denn Ihr Mut?"
Schon die erste Frage von Moderator Martin Thür, wo man bei Van der Bellen, der 2016 "Mutig in die neuen Zeiten" gehen hatte wollen, in den vergangenen sechs Jahren denn diesen Mut bemerken hätte können, warf den Kandidaten merklich aus der Bahn.
Genauso wie die Frage nach den diversen Korruptionsskandalen der vergangenen Monate und Jahr: "Vieles wurde da übertrieben", Urteile gebe es wenige, was das Parlament im U-Ausschuss mache, sei seine Sache - mag alles sein, aber der eine oder andere Bürger hätte da vielleicht doch klarere Ansagen erwartet.
Als Nächstes verlor Van der Bellen bei seiner Nacherzählung des Ibiza-Videos – "was war nochmal der dritte Punkt" – den Faden. Und, was schlimmer war: Den Unterschied, warum bei diversen Vorwürfen rund um Exkanzler Sebastian Kurz für ihn die Unschuldsvermutung relevant sei, bei Heinz-Christian Strache nach dem Ibiza-Video aber nicht, vermochte Van der Bellen nicht zu erklären.
Erst in der zweiten Hälfte fand der Präsident die Spur
Fast hatte man den Eindruck, der Bundespräsident hätte in den vergangenen Jahren ein wenig an Schneid verloren – in der zweiten Hälfte des Interviews fing sich Van der Bellen aber dann wieder: Als er das Amt des Bundespräsidenten verteidigte etwa – oder als er vorgehalten bekam, nicht vor der Abhängigkeit von Russland gewarnt zu haben: "Ich bitte Sie. Seit 40 Jahren beschäftige ich mich mit den Auswirkungen der Klimakrise, seit 25 Jahren thematisiere ich sie in der Politik", fand Van der Bellen seine Form wieder.
Da war er wieder, der kämpferische Van der Bellen, der 2016 den Marathon-Wahlkampf ausgefochten hatte. Den wird es heuer wohl noch öfter brauchen, um seinen größten Konkurrenten zu besiegen – die Sorge vor einer niedrigen Wahlbeteiligung.
Georg Renner