Herr Minister, wann treten Sie der ÖVP bei?
MARTIN KOCHER: Das war nie ein Thema und ist nicht geplant.
Sie waren aber doch beim ÖVP-Parteitag in Graz. Die ÖVP stellt Sie auch sehr stark in den Vordergrund.
Ich war beim Parteitag, weil ich eingeladen war und weil es absolut üblich ist. Auch bei den grünen Parteitagen ist die parteifreie Staatssekretärin Andrea Mayer zu Gast. Das gebietet auch der Respekt vor dem Parteitag. Außerdem gehört der Informationsaustausch dazu.
Wie sehr können Sie sich mit der ÖVP identifizieren?
Ich hätte nicht ein Ticket in der Regierung angenommen, wenn ich mich nicht grundsätzlich mit der Ausrichtung der Partei identifizieren könnte. Für mich ist vor allem entscheidend, dass ich mich mit dem Regierungsprogramm identifizieren kann.
Sie sind neben ihren bisherigen Agenden bei der Arbeit künftig auch für den Bereich Wirtschaft zuständig. Die Rede ist schon vom „Superminister“.
Ich finde das übertrieben. Es gibt auch andere große Ministerien, jetzt und in der Vergangenheit. Es ist ein ganz normales Ministerium – mit einer zentralen Rolle angesichts der aktuellen Lage. Es gibt aber auch andere mit großen Herausforderungen.
Wie soll man Sie anreden? „Herr Wirtschaftsminister“? „Herr Arbeitsminister“?
Offiziell wird es das „Ministerium für Arbeit und Wirtschaft“ sein. Aber „Martin Kocher“ reicht auch.
Die Zusammenlegung von Wirtschaft und Arbeit hat zu viel Kritik vor allem von Gewerkschaft und Arbeiterkammer geführt. Diese sehen einen Interessenskonflikt.
Interessenskonflikte gibt es auch in anderen Ministerien. Mir ist wichtig, einen Interessensausgleich zu finden. Ich verbürge mich als Person dafür, dass alle Interessen berücksichtigt werden. Ich habe ja auch den Vorteil, dass ich aus keiner Interessenvertretung komme.
Eines Ihrer Projekte schon als Arbeitsminister war die Reform des Arbeitslosengeldes. Viel ist davon noch nichts zu sehen.
Ich möchte ein Gesamtpaket vorlegen. Wir halten an diesem Plan fest. Ich hoffe, dass wir das noch vor dem Sommer schaffen. Es soll um mehr gehen als nur eine Reform des Arbeitslosengeldes. Es geht um aktive Arbeitsmarktpolitik, es geht um Qualifizierung. Es geht um Zuverdienst. Da gibt es noch unterschiedliche Zugänge der beiden Parteien in der Regierung.
Sie überlegen ein degressives Arbeitslosengeld, das mit der Dauer des Bezuges sinkt. Derzeit sind 55 Prozent Nettoersatzrate die Untergrenze. Soll dieser Wert unterschritten werden?
Die Frage ist eigentlich komplexer. Es gibt Aufstockungen, Ergänzungsbeträge, Zuschläge. Die Notstandshilfe beträgt 51 bis 53 Prozent. Ich habe immer gesagt, Arbeitslosengeld und Notstandshilfe können nicht weit unter das jetzige Niveau sinken. Es geht um das Gesamtpaket. Ziel muss sein, dass jede Person, die Arbeit sucht, auch ein Angebot bekommt, entweder durch Vermittlung, Qualifizierung oder Unterstützung bei der Wiedereingliederung.
„Nicht viel“ bedeutet aber, dass das Arbeitslosengeld noch sinken kann. Was bedeutet „nicht viel“?
Es wird immer über diese Zahlen gesprochen. Ich persönlich halte Fragen wie Zuverdienst, Vermittlung und aktive Arbeitsmarktpolitik für wichtiger als möglicherweise ein, zwei oder fünf Prozent weniger Arbeitslosengeld. Ich möchte schauen, dass Menschen schnell in Beschäftigung kommen.
Sie wollen Zuverdienstmöglichkeiten einschränken?
Es ist notwendig, Zuverdienst einzuschränken. Wir wissen aus Studien, dass der Zuverdienst manchmal zu Verlängerung von Arbeitslosengeld führt. Das heißt aber nicht, dass in gewissen Bereichen der Zuverdienst nicht notwendig ist. Das heißt, wir werden differenzierte Lösungen finden müssen.
Der Wirtschafts- und Arbeitsminister ist auch mit der massiven Inflation konfrontiert. Mit welchen Ideen bekämpfen Sie dieses Problem?
Wir haben als Regierung schon wichtige Maßnahmen gesetzt. Wir brauchen aber auf jeden Fall mehr, was die Abfederung der Inflation betrifft. Wir diskutieren das mit dem Finanzminister. Da geht es um die Abwehr der „kalten Progression“. Mir ist auch das Thema Lohnnebenkosten wichtig. Das würde dazu führen, dass die Belastung des Faktors Arbeit sinkt. Wir werden über zeitliche Veränderungen bei der bereits beschlossenen Reform der Lohn- und Einkommenssteuer sprechen. Wir wollen ein Gesamtpaket, das dazu führt, dass wir entlasten und gleichzeitig strukturell besser aus dieser schwierigen Zeit herauskommen. Ein eigenes Problem sind die Energiepreise.
Gehen wir das Punkt für Punkt durch. Sie sprechen an das Vorziehen von Teilen der Steuerreform. Was ist konkret vorstellbar?
Es geht darum, wann bestimmte Maßnahmen in Kraft treten. Es ist aber ein Gesamtpaket, wo es schwer ist, einzelne Teile herauszunehmen.
Stichwort „kalte Progression“. Es gibt grundsätzlich zwei Zugänge, diese abzufedern: Entweder mit einem Automatismus oder immer wieder durch Eingriffe der Politik.
Ich glaube, dass eine Mischung sinnvoll ist, aus einem Automatismus und Einzelmaßnahmen. Das klingt abstrakt. Ein reiner Automatismus ist aber schwierig, erschwert Steuerstrukturreformen und den sozialen Ausgleich. Die Forderung, die „kalte Progression“ abzuschaffen, ist schwer umzusetzen, aber es ist wichtig, dass wir darüber angesichts der hohen Inflation diskutieren und zu Lösungen kommen. Die Staaten, die als Vorbilder genannt werden, haben auch sehr unterschiedliche Lösungen.
Läuft man bei so einer Mischform nicht Gefahr, dass das wie bei den Pensionsanpassungen endet, wo jedes Jahr Geschenke verteilt werden?
Es besteht immer eine gewisse Gefahr, dass auch kurzfristige Interessen und Entwicklungen eine große Rolle spielen. Andererseits haben wir ja jetzt schon sehr viele Einzelmaßnahmen im System, in dem alle paar Jahre eine Steuerreform im Einkommenssteuerbereich passiert.
Wann werden die Menschen das erste Mal in Ihren Geldbörsen etwas spüren, von dem, was Sie da ansprechen?
Das hängt davon ab, welche Maßnahmen getroffen werden. Wir werden in so einem Paket auch sicher Aspekte haben müssen, die rasch wirken.
Rasch heißt?
Die noch in diesem Jahr wirksam werden, weil die Belastung jetzt besonders hoch ist.
Bei all diesen Teuerungsgeschichten kam aus der Wirtschaft die Idee, die Co2-Bepreisung zu verschieben. Wie stehen Sie dazu?
Ich halte das im Moment nicht für die optimale Lösung, weil wir einen Einstieg in die Co2-Bepreisung brauchen. Bei allem Verständnis der Schwierigkeiten, die damit verbunden sind – wir haben ohnehin von Anfang an gesagt, es wird ein vorsichtiger Einstieg. Aber wenn sich die Lage verschlimmert, würde ich gar nichts ausschließen.
Über viele Jahrzehnte hat man gesagt – der österreichische Traum – auch als politisches Ziel ist es, dass man sich mit Arbeit ein kleines Vermögen aufbauen kann, vielleicht ein Haus baut, eine Familie zu erhalten. Das ist inzwischen praktisch unmöglich. Wie soll sich das in den nächsten Jahren entwickeln?
Ich glaube, dass es ein bisschen zu pessimistisch ist. Insgesamt ist Österreich in den letzten 20 bis 30 Jahren auf jeden Fall reicher geworden und ich glaube auch, dass Viele von dieser Entwicklung profitiert haben. Aber es stimmt, Immobilienbesitz und ein Eigenheim zu haben ist schwieriger geworden.
Das Problem kann sich in den nächsten Jahren noch potenzieren, da die Generation, die nach dem Krieg etwas aufgebaut hat, langsam abtritt. Es wird in den nächsten 20 Jahren sehr viele Erb-Fälle geben. Läuft man da nicht Gefahr, dass da eine Schere weiter aufgeht, zwischen denen, die Immobilien und ein kleines Vermögen erben und denen, die sich auch durch die Inflation mit mehr Arbeit weniger erarbeiten können?
Da müssen wir abwarten wie die Entwicklung in den nächsten Jahren ist. Die letzten Jahre haben es nicht gezeigt, aber es gibt eine Generation der Erben. Wir sehen das auch am Arbeitsmarkt, wo eine immer größere Gruppe sagt, wir müssen nicht Vollzeit arbeiten, es reichen auch 30 oder 35 Stunden Arbeitszeit. Man wird das weiter beobachten müssen.
Braucht es eine Erbschaftssteuer?
Die Erbschaftssteuer ist im Regierungsprogramm nicht vorgesehen und wird daher auch nicht kommen.
Aber bräuchte man sie?
Die Frage wird wohl bei der nächsten Wahl und bei der nächsten Regierungsbildung eine Rolle spielen. Eine Steuerstruktur kann nur in der Gesamtschau beurteilt werden. Mir geht es um die Reduktion der Belastung des Faktors Arbeit.
Hat es Sie als Ökonomen geschmerzt, als der Bundeskanzler eine Gewinnabschöpfung von Energieunternehmen verlangt hat?
Es ist eine berechtigte Frage, was man mit diesen windfall profits macht. Es geht darum, eine pragmatische Lösung zu finden, und darüber werden wir mit den Energiebetreibern sprechen.
Nehammer hat gesagt, er hat den Auftrag an die Wirtschaftsministerin und den Finanzminister gegeben, also damit übernehmen Sie jetzt diesen einen Part. In welche Richtung kann das „Abschöpfen“ der Gewinne gehen?
Wir haben im Bereich der Energieversorgung ohnehin eine sehr hohe Beteiligung der öffentlichen Hand in den meisten Bereichen. Irgendwann profitiert die öffentliche Hand davon, dass das in Form von Dividenden ausgeschüttet wird. Die Frage ist, muss man das zeitlich vorziehen oder nicht.
Vorziehen mit einer Art Sonder-Dividende?
Das macht keinen großen Unterschied, ob ich die Dividende jetzt oder in einem halben Jahr bekomme. Es geht eher darum, dass wir die unterstützen, die wirklich große Schwierigkeiten haben bei dieser Energiepreiserhöhung. Da geht es um Heizkostenzuschüsse und Einmal-Zahlungen, usw.
Sollte man diesen Energiekosten-Bonus noch einmal erhöhen?
Ich glaube, dass wir vor allem einen Fokus auf diejenigen legen müssen, die einen besonders großen Anteil ihres Einkommens für Energie und Lebensmittel ausgeben müssen. Jetzt weiß ich schon, dass durch die Entwicklung der Preise die Mitte der Gesellschaft stark belastet ist. Da geht es aber vor allem um die Entlastungen, über die wir zuerst gesprochen haben, kalte Progression, Lohnebenkosten und Aspekte, die strukturell und langfristig wirken und dazu beitragen, dass Österreich auch nach einer möglicherweise etwas schwierigen Phase in der nächsten Zeit danach wieder strukturelle Vorteile hat.
Sind Sie für die Deckelung der Strom- und Gaspreise?
Höchstpreise haben wir in der Geschichte gesehen, in den 1970er Jahren gab es Versuche in der Erdölkrise, Höchstpreise festzulegen, aber das führt in der Regel zu Versorgungsengpässen. Deswegen halte ich das nur in ganz großen Ausnahmefällen für gerechtfertigt und im Moment sehe ich diesen Ausnahmefall nicht.
Versorgungsschwierigkeiten ist ein gutes Stichwort. Viele Industriebetriebe haben Angst davor, dass das Gas ausfällt. Hat Österreich einen Plan?
Wir haben ja beschlossen, die Speicherkapazitäten aufzustocken. Das wird im Laufe des Sommers passieren. Es gibt die Vorbereitung auf alle Maßnahmen, die man brauchen würde, wenn so ein Fall eintritt. Der entscheidende Faktor wird sein, ob so ein Fall kurzfristig oder längerfristig ist. Wir hatten 2009 einmal einen Lieferstopp von drei Wochen, weil die Ukraine die Durchleitung gebremst hat, weil damals die Verträge mit Russland verhandelt wurden. Für eine kurze Zeit gab es eine pragmatische Lösung, und für kurze Zeit ist das alles leicht machbar. Die Details von Strategien sind letztlich auch eine strategische Frage im Konflikt mit Russland, deren Inhalte man nicht öffentlich machen sollte. Sonst wären wir erpressbar.
Das sind wir ja schon. Wenn wir im Sommer Reserven einlagern, stellen wir auch einen Milliardenscheck aus.
Dafür bekommen wir große Sicherheit für den Winter.
Wir wissen ja nicht, ob das Gas tatsächlich kommt.
Das Gas fließt derzeit, die Speicher füllen sich.
Aber der Speicher Haidach ist leer.
Die Bundesregierung wird sicher Maßnahmen setzen, um diesen Speicher füllen zu können.
Wenn Sie aber Haidach den Russen wegnehmen würden, brauchen Sie ausgerechnet das Gas von den Russen, um den Speicher zu befüllen.
Natürlich gibt es hier Interessenskonflikte. Aber Russland kann nicht bestimmen, wo welches Gas eingespeichert wird.
Jetzt haben Sie zwei Ministerien. Waren Sie bisher unterfordert? Und was machen Sie jetzt anders?
Ich war bisher nicht unterfordert. Andere Minister in der Vergangenheit hatten mehr Kompetenzen, als ich jetzt habe. Mein Ziel ist nach wie vor, in meinen Bereichen bestmöglich gestalten zu können. Die kurzfristig großen Vorhaben sind mit der Arbeitslosenversicherungsreform, der Inflationsbekämpfung und der Krisenbewältigung vorgegeben. Das Programm wird dichter.
Gecko-Chefin Raich hat Maskenpflicht für den Sommer gefordert. Sind Sie auch dieser Meinung oder läuft Ihnen der Handel davon?
Das ist grundsätzlich eine Entscheidung der Expertinnen und Experten im Gesundheitsbereich. Aber ich glaube, dass wir bei Einhaltung anderer Schutzmaßnahmen für die vielen betroffenen Handelsangestellten von der Maskenpflicht wegkommen können.
Wird die Europäische Zentralbank den Leitzins anheben?
Es ist realistisch, dass das in den nächsten Monaten passieren wird. Man muss das vorsichtig machen, damit es keine Verwerfungen bei den Kreditnehmern gibt. Aber angesichts der Inflation muss die EZB etwas unternehmen.
Warum ist Europa immer langsamer als die USA?
Die USA hatten im konkreten Fall tatsächlich größeren Handlungsbedarf. Während bei uns die Inflation importiert ist, ist die Teuerung in der USA höher als bei uns, obwohl die Energiepreise nicht so stark gestiegen sind. Die USA mussten also reagieren. Ansonsten ist der US-Markt homogener, die Fed kann schneller reagieren als die EZB.
Wir sind energetisch abhängig von Russland. Bei der Solarenergie sind wir von China abhängig, weil 90 Prozent der Solarpanele aus China kommen. Ist daran gedacht, die Produktion wieder nach Europa zu holen?
Da bin ich ein bisschen im Zwiespalt. Auf der einen Seite ist es wichtig, Schlüsseltechnologien nach Europa zurückzuholen, bei Halbleitern oder Medikamenten. Da waren wir als Österreich in den letzten Jahren auch sehr erfolgreich. Durch internationale Arbeitsteilung ist aber auch Wohlstand entstanden, und es ist manchmal gar nicht einfach, die Produktion zurückzuholen, weil uns dafür schlicht die Arbeitskräfte fehlen. Die strategische Bedeutung von Solarpanelen muss man sich genau ansehen.
Georg Renner