Die türkis-grüne Koalition hat am Donnerstag, zwei Tage vor dem ÖVP-Parteitag in Graz, die ersten Grundzüge einer großen Reform des Pflegebereichs vorgestellt. Folgende Eckpunkte haben Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und die Klubobleute Sigrid Maurer (Grüne) und August Wöginger (ÖVP) präsentiert:
- Mehr Gehalt für jede angestellte Pflegekraft: Im Schnitt soll das Gehalt um ein Monatsgehalt pro Jahr steigen. Reserviert dafür sind heuer und nächstes Jahr 520 Millionen Euro.
- Zwei Stunden Zeitguthaben für Nachtpfleger.
- Erleichterungen bei der Zuwanderung im Pflegebereich: Unter anderem sollen Deutschkenntnisse nur mehr vom Arbeitgeber eingeschätzt, nicht mehr extern überprüft werden.
- Mehr Kompetenzen für Pfleger: Künftig sollen Pfleger Spritzen geben und Infusionen anschließen dürfen, weil nicht immer ein Arzt verfügbar ist.
- Investitionen in die Ausbildung: Während der Ausbildung im Pflegeberuf soll man einen Zuschuss von 600 Euro im Monat erhalten. Neu- bzw. Wiedereinsteiger bekommen ein Pflegestipendium von mindestens 1400 Euro im Monat. Als Modellversuch wird eine Pflegelehre eingeführt.
- Ab dem 43. Lebensjahr steht Beschäftigten in der Pflege generell eine jährliche "Entlastungswoche" zu.
- Mehr Pflegegeld für die Pflege dementer Personen.
- Rechtsanspruch auf Pflegekarenz von einem auf drei Monate.
- Erhöhte Familienbeihilfe wird nicht mehr aufs Pflegegeld angerechnet.
- Geschaffen wird ein Angehörigenbonus von 1500 Euro jährlich für jene Familienmitglieder, die den größten Teil der Pflege zu Hause leisten und selbst- oder weiterversichert sind.
- Verbesserungen bei der 24-Stunden-Pflege sollen noch mit Sozialpartnern verhandelt werden.
"Ja, das ist ein großer Wurf"
In Summe kosten die Änderungen den Steuerzahler rund eine Milliarde Euro pro Jahr, Rauch sprach von einer "lang versprochenen Pflegemilliarde". Abgesichert ist diese allerdings vorerst nur für dieses und kommendes Jahr, Rauch verweist aber auf die anstehenden Budget- und Finanzausgleichsverhandlungen, in denen er gemeinsam mit den Ländern die Reform dauerhaft absichern will.
Der Minister sprach von einem "wichtigen Tag für die Zukunft der Pflege in Österreich". Er bedankte sich neben den Klubobleuten auch bei seinen Vorgängern Rudolf Anschober und Wolfgang Mückstein, die wichtige Vorarbeiten geleistet hätten. Auf die Frage, welcher Teil der Reform seine Handschrift trage, sagt Rauch: "Die Geschwindigkeit war mein Beitrag". Er habe persönlich Druck gemacht, das möglichst schnell hinzubekommen.
Wöginger, der sich seit Jahren für eine Pflegereform einsetzt, erklärte, "das ist ein großer Wurf". Maurer sprach von "der größten Reform seit Jahrzehnten" und einer langfristigen Absicherung des Pflegeberufs.
Die Reform soll nun in Begutachtung gehen, Teile sollen noch vor dem Sommer beschlossen werden, sagt Maurer.
Mit den Ländern, die weite Teile der Pflegekompetenzen verwalten, sei die Reform akkordiert. Eine komplette Vereinheitlichung hätte einer gesamthaften Bundesstaatsreform bedurft – eine solche auf den Weg zu bringen, "übersteigt meinen Wirkungsbereich", so Rauch. Mit 15a-Vereinbarungen zwischen Bund und Ländern habe man aber ein gutes Steuerungsinstrument.
Caritas: "Reform scheint tatsächlich großer Wurf zu sein"
Vorsichtiger Applaus für die Reform kommt von Pflegeanbietern. Man müsse zwar erst im Detail prüfen, aber die Reform scheine "tatsächlich ein großer Wurf zu sein", schreibt Caritas-Generalsekretär Klaus Schwertner in einer ersten Reaktion auf Twitter:
Weitgehend positiv fiel auch das Echo anderswo aus: Gewerkschaften, Sozialwirtschaft, Volkshilfe, Senioren- und Gemeindebund äußerten sich lobend, die SPÖ teilweise, Neos waren unzufrieden. Alle mahnten, dass dies nur ein erster Schritt sein könne. Die "große Reform" zur langfristigen Sicherstellung der Finanzierung in allen Bereichen müsse unter Einbindung aller Betroffenen rasch angegangen werden.
Applaus auch von Gewerkschaften
Vertreter von ÖGB, GPA, vida und younion zeigten sich am "Tag der Pflege" - unter Hinweis auf die heutigen Demonstrationen - überzeugt, dass das Paket ein Erfolg jahrelangen gewerkschaftlichen Drucks ist. "Diese Reform zeigt: Gewerkschaftliches Engagement zahlt sich aus", meinte Barbara Teiber, Vorsitzende der Gewerkschaft GPA. "Unser langjähriger Druck hat Wirkung gezeigt. Heute wurde in der Tat eines der größten Reformpakete der vergangenen Jahrzehnte auf den Weg gebracht", anerkannte Edgar Martin von der younion prinzipiell.
Inhaltlich bewerteten die Gewerkschafter die Reform großteils positiv, viele ihrer Forderungen (Lohnzuschüsse, mehr Urlaub) seien aufgegriffen worden. Jetzt komme es auf die Umsetzung an - und da will Ingrid Reischl, Leitende Sekretärin des ÖGB "genau hinschauen, damit alles tatsächlich im Sinne der Betroffenen umgesetzt wird". Klar sei allerdings, dass die präsentierten Pläne nicht ausreichen, merkten Sylvia Gassner und Gerald Mjka von der vida an: "Es müssen weitere Schritte und Investitionen für alle Bereiche des Gesundheitssystems folgen."
Seniorenbund-Präsidentin Ingrid Korosec sieht den "Start einer umfassenden Pflegeform, die auch eine nachhaltige Finanzierung und den Ausbau der mobilen Dienste mit einschließen wird'". Gemeindebund-Präsident Alfred Riedl würdigte ebenfalls den "ersten wichtigen Schritt für die Stärkung des Pflegesystems" und erwartete einen "weiteren großen Reformwurf" zur langfristigen Sicherung der Zukunftsfinanzierung.
SPÖ sieht "erste spürbare Schritte"
Nicht wirklich zufrieden war die Opposition. Wobei von SPÖ-Politikern unterschiedliche Reaktionen kamen: Wiens Sozialstadtrat Peter Hacker freute sich - unter Hinweis auf ein erwartetes "nächstes Verbesserungspaket" -, dass "erste spürbare Schritte zu einer Pflegereform gesetzt werden". Und er lobte, dass man "nach Jahren der Stagnation endlich wieder moderne sozialpolitische Töne aus dem Sozialministerium" höre. SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch anerkannte die Bemühungen von Minister Johannes Rauch (Grüne), aber kritisierte: Es gebe wieder nur "Ankündigungen, die erneut mehr Fragen aufwerfen, als die drängenden Probleme in der Pflege zu lösen".
Auch NEOS-Gesundheitssprecherin Fiona Fiedler konnte den großen Jubel über die angekündigte Reform nicht ganz nachvollziehen. "Strukturelle Probleme lassen sich nicht nur mit Geld zuschütten", verwies sie darauf, dass die Zersplitterung der Pflegefinanzierung genauso bestehen bleibe wie die mangelnde Anerkennung von Pflegeleistungen.
Georg Renner