Wenn eine Ära zu Ende geht, läuft das selten geordnet und nach Plan ab, und die ÖVP ist da keine Ausnahme. Aber immerhin gibt sich die Partei redlich Mühe, das Chaos zumindest im Nachhinein ein bisschen geplant wirken zu lassen.

Es ist Montagmorgen, und Bundeskanzler Karl Nehammer weiß schon, dass die ganze Woche im Zeichen des türkisen Parteitags stehen wird, der ihn Ende der Woche in Graz zum Parteichef wählen soll.
Glatt wird es nicht gehen, das zeichnet sich schon ab – nicht nur der Korruptionsvorwürfe wegen, mit denen die Volkspartei von Vorarlberg bis Wien konfrontiert ist, auch Nehammer selbst hat letztens Staub aufgewirbelt: Mit seinem unkoordinierten Vorschlag, die Gewinne (teil)staatlicher Energieversorger abzuschöpfen, hat er Ende vergangener Woche im wirtschaftsnahen Teil der Partei für Entsetzen gesorgt.

In diese Überlegungen platzt ein Anruf: Landwirtschaftsministerin Elisabeth Köstinger überrascht Nehammer mit der Ansage, dass sie heute noch zurücktreten wird – wenige Stunden bevor sie vor die Medien tritt. Den Vormittag über telefoniert sie ihre Regierungskollegen – Verteidigungsministerin Tanner erreicht sie mitten in der Nacht in den USA – und ihr (mit Ausnahme ihres Kabinettes ebenso überraschtes) Ministerium durch, um elf Uhr erklärt sie ihren Rücktritt.

Dass sie geht, war klar - aber nicht, wann

Dem Grunde nach hatte Nehammer gewusst, dass Köstinger amtsmüde ist – schon nach Kurz’ Rückzug habe man vereinbart, dass die Ministerin mittelfristig Abschied nehmen wird, zuvor aber noch einige Herzensprojekte fertigstellen würde – die neue EU-Agrarförderung etwa und die Herkunftskennzeichnung von Lebensmitteln. Aber wann genau sie sich zurückziehen würde, war offen – bis gestern früh eben.

Jetzt muss es schnell gehen: In Nehammers Team verständigt man sich schnell, auch einen weiteren geplanten Umbau im Regierungsteam noch vor dem Parteitag durchzuziehen. Tirols Landeshauptmann Günther Platter teilt Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck, die noch am Vormittag in einer Parteisitzung davon ausgegangen war, im Amt zu bleiben, mit, dass ihre Zeit um sei.

Die Partei steckt den Ärger über Köstingers Spontaneität schnell weg – und erklärt den Rückzug in der Parteitags-Woche postwendend zum Teil eines Nehammerschen Befreiungsschlags.

Wer tut sich das Ministeramt an?

Wie dieser aussehen wird, ist aber zu dem Zeitpunkt noch völlig unklar: Gute Ideen gäbe es viele, aber man brauche halt auch Leute, die bereit sind, sich den Job als Ministerin oder Minister anzutun, seufzen am Montag mehrere ÖVP-Politiker im Gespräch mit der Kleinen Zeitung. Zu Redaktionsschluss ist völlig offen, wen Nehammer heute oder morgen als Nachfolger für die Ministerinnen aus dem Hut zaubert.

Mit dem Rückzug Köstingers und Schramböcks fällt nun auch der letzte Vorhang für die Ära Sebastian Kurz. Zufall oder nicht, dass die beiden unmittelbar nach dem Versprechen Kurz’ den Hut nehmen, sich „für immer“ aus der Politik zurückzuziehen, ist an Symbolik kaum zu überbieten. Dass es auf den Tag genau sieben Monate nach Kurz’ Rücktritt als Kanzler passiert, ebenfalls nicht.

Loyalistin und Quereinsteigerin

Die scheidenden Ministerinnen stehen geradezu exemplarisch für die Kurz’sche Personalpolitik: Köstinger war eine enge Vertraute, die ein gutes Jahrzehnt lang zum engsten Kreis des nunmehrigen Ex-Politikers gehört hatte. Eine Nähe, dank derer sie in Kurz’ Windschatten zuerst zur Generalsekretärin der Partei, später zur Nationalratspräsidentin und Ministerin avancierte.

Schramböck war das genaue Gegenteil: Die ehemalige A1-Managerin war als eine von Kurz’ prominenten Quereinsteigerinnen und Quereinsteigern 2017 in die Politik gekommen – und mit einem handverlesenen Kabinett ins Ministerium geschickt worden. Eine eigene politische Basis, die Kurz lästig hätte werden können, hatte sie nicht.

Nehammer steht nun vor der Gretchenfrage, wie er seine Personalpolitik anlegt: Seine ersten Personalentscheidungen – der von der steirischen Landespartei favorisierte Martin Polaschek als Ersatz für Heinz Faßmann im Bildungsressort, Magnus Brunners aus Vorarlberg untertstützter Wechsel ins Finanzministerium und der Aufstieg Laura Sachslehners zur Generalsekretärin – hatten nun eine Rückkehr zum System der „alten“ ÖVP signalisiert: Von Ländern bzw. Bünden nominierte Kandidaten statt frei gewählten Spitzenpersonals.

Fix ist jedenfalls, dass die Verteilung der Zuständigkeiten der Ministerien abgeändert werden soll: Köstingers Landwirtschafts-, Tourismus- und Telekom-Ministerium dürfte wieder zum reinen Agrarressort schrumpfen.