Der Nationalrat kommt heute auf Verlangen der SPÖ zu einer Sondersitzung zusammen. Dabei wollen die Sozialdemokraten die "Teuerung auf Rekordniveau" debattieren und Lösungsvorschläge präsentieren. Erwartet wird eine "Dringliche Anfrage" bzw. ein "Dringlicher Antrag" an ÖVP-Bundeskanzler Karl Nehammer.
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner hatte zuletzt der türkis-grünen Regierung wiederholt Untätigkeit vorgeworfen. Aus Sicht der SPÖ seien als Gegenmaßnahmen zur Teuerung etwa eine Lohnsteuersenkung, eine Inflationsanpassung der Pensionen, Steuersenkungen auf Sprit, Gas und Strom und die Rücknahme der Richtwertmietenerhöhung nötig.
Entscheidung zwischen heizen, einkaufen und Miete
Pamela Rendi-Wagner beginnt ihre Rede mit dem Brief einer Mindestpensionistin, die sich das Heizen nicht mehr leisten kann. Viele Menschen würden der SPÖ schreiben, dass sie in der Wohnung Winterkleidung tragen würden, sagt Rendi-Wagner. "Diese Menschen müssen sich tagtäglich entscheiden, ob sie heizen, ob sie einkaufen oder ob sie die Miete zahlen können."
"Die Schlangen vor den Sozialmärkten werden immer länger. Ich will das nicht", sagt die SPÖ-Chefin und fordert die Regierung zum Handeln auf. Inmitten der Rekordinflation seien nun auch noch die Altbaumieten gestiegen, die Bundesregierung hätte es in der Hand gehabt, die Erhöhung auszusetzen, kritisiert Rendi-Wagner. Die SPÖ präsentiert eine Fünf-Punkte-Agenda: Die Steuern auf Arbeit sollen gesenkt, die Pensionen erhöht werden. Die Mehrwertsteuer auf Energie soll befristet ausgesetzt werden, die Mieterhöhung rückgängig gemacht und das Arbeitslosengeld auf 70 Prozent des Letzteinkommens erhöht werden.
"Die Preise gehen weiter durch die Decke, das ist für viele existenzbedrohend", sagt die SPÖ-Chefin. Vor allem Grundnahrungsmittel seien besonders stark betroffen: Butter ist etwa um 22 Prozent teurer geworden. "Mit milden Gaben kann man eine soziale Krise nicht verhindern", fordert die SPÖ-Chefin ein umfassendes Eingreifen. Die Maßnahmen der Regierung seien "zu wenig, zu spät" und sie kämen nicht an. Der 150-Euro-Gutschein "verpufft förmlich wie das Gas, mit dem ich heize", zitiert Rendi-Wagner einmal mehr die Mindestpensionistin, die ihr schrieb.
Kein Stopp für russisches Gas
"Jörg Haider hat es begonnen, Rendi-Wagner setzt es fort", beginnt Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) seine Rede mit einem Verweis auf die SPÖ-Fraktion, die Tafeln in den Nationalrat mitgebracht hat. "Sanktionen sollen sich immer nur gegen den richten, der sie verdient und nicht einen selbst treffen", schließt Nehammer einen Importstopp von russischem Gas aus.
Es sei der Krieg in der Ukraine, der die steigenden Preise mit begründen würde. Doch schon letztes Jahr hätten sich die Preissteigerungen angekündigt, daher habe die Regierung schon geholfen. "Im Gegensatz zur Frau Klubobfrau Rendi-Wagner brauche ich kein imaginäres Mail", er müsse nur mit seinem Klubobmann August Wöginger reden, um zu wissen, wie es armen Menschen gehe. So habe Wögingers Vater bereits den 150-Euro-Gutschein erhalten.
Die SPÖ-Abgeordnete Gabriele Heinisch-Hosek stellt richtig: Das Mail der Mindestpensionistin, das Rendi-Wagner vorgelesen hat, ist nicht imaginär. "Es ist für die ÖVP nicht vorstellbar, dass Pensionistinnen Mails an Abgeordnete schreiben. Die Realität ist offenbar, dass Kinder Briefe schreiben", sagt der steirische SPÖ-Abgeordnete Jörg Leichtfried mit Verweis auf mehrere offenbar sehr junge Fans von türkisen (Ex-)Regierungsmitgliedern.
Wiener Regionalpolitik im Nationalrat
"Es braucht ein bisschen mehr Robin Hood in der Wiener Stadtregierung", findet der oberösterreichische Abgeordnete und ÖVP-Klubchef August Wöginger. Er kritisiert Abgabenerhöhungen in der Hauptstadt und dass der Richtmietzins in Wiener Gemeindebauwohnungen nicht ausgesetzt wurde. Hier hätte die Stadt selbst handeln können, so Wöginger. Für eine österreichweite Aussetzung hätte es eine Mehrheit im Nationalrat gebraucht – und damit die Unterstützung der türkis-grünen Regierung.
Der türkise Klubobmann findet dann inhaltlich doch zurück in den Bund und verweist auf Erleichterungen des Bundes: "Wir helfen den Menschen in Österreich, diese Bundesregierung nimmt ihre Verantwortung wahr", ruft Wöginger ins Mikrofon und geht zurück.
FPÖ will mehr Glaubwürdigkeit
"Der Abgeordnete Wöginger hat soeben bewiesen, dass es nicht nur in Russland Politiker gibt, die Opfer ihrer eigenen Propaganda geworden sind", zeigt sich FPÖ-Chef Herbert Kickl davon überzeugt, dass das Gesagte Wögingers mit der Realität wenig eint. "Ihre Glaubwürdigkeit hat sich in Luft aufgelöst", sagt Kickl auch in Richtung Nehammer. Es sei daher kein Wunder, dass die Menschen einem anonymen Personenschützer mehr Glauben schenken würden als dem Kanzler.
"Wird denn in diesem Land wirklich alles getan, um die Bevölkerung zu entlasten?", fragt Kickl. Die Antwort sei "ganz einfach: Nein, wird es nicht", so der FPÖ-Chef. Da Energieanbieter wie der Verbund zu 51 Prozent dem Staat und zu 25 Prozent EVN und Wiener Stadtwerkengehört, wirft Kickl ÖVP und SPÖ vor, "Krisengewinnler" zu sein: "Sie profitieren davon, dass es den Menschen dreckig geht!"
Die Maßnahmen der Regierung gegen die Teuerung würden Maßnahmen vergangener Regierungen "in den Schatten" stellen, sagt die grüne Klubobfrau Sigrid Maurer. Sie könne sich nicht erinnern, dass während der Finanzkrise unter der SPÖ ähnlich starke Entlastungen stattgefunden hätten.
Nach Nehammer rechnet auch Maurer die Entlastung anhand konkreter Beispiele vor. Auch die Bundesländer, etwa die Stadt Wien, seien aufgerufen, sich an den Entlastungen zu beteiligen.
"Ein kleinliches, peinliches, parteiliches Hickhack" finde gerade statt, kritisiert Neos-Klubobfrau Beate Meinl-Reisinger ständig wiederkehrende Richtigstellungen. Das von der SPÖ vorgeschlagene Paket sei "billiger Bassena-Populismus", sagt der pinke Abgeordnete Gerald Loacker.
Österreich müsse die Preissteigerungen für jene abfedern, die besonders betroffen seien. Gerade die sozial Schwächsten würden unter höheren Energiepreisen und Nahrungsmittelkosten leiden, sagt die Neos-Chefin. Daher brauche es hier gezielte Maßnahmen. Gleichzeitig kritisiert sie die Politik von "koste es, was es wolle". Daher müsse der Staat selbst den Gürtel enger schnallen und etwa die kalte Progression abschaffen, so Meinl-Reisinger.
Der "Dringliche Antrag" der SPÖ, der Basis der Sondersitzung war, wurde mit breiter Mehrheit abgelehnt. Einzig die eigenen Abgeordneten schlossen sich der Initiative an. Ebenso fanden vier weitere oppositionelle Entschließungsanträge nicht die nötige Mehrheit.
Max Miller