PRO, von Andreas Khol
Aus freien Stücken hat im Jahr 1955 Österreich mit einem Bundesverfassungsgesetz seine immerwährende Neutralität beschlossen. Das war die politische Voraussetzung im damaligen Kalten Krieg für den Abzug der Nato und des Warschauer Pakts, dessen Führungsmacht die Sowjetunion war, aus Österreich. Österreich wurde frei und versprach keinen dieser beiden Blöcke zu begünstigen oder einem der Bündnisse beizutreten.
Aus freien Stücken beschloss Österreich im Jahr 1994 mit einem Bündel von Verfassungsgesetzen, der Europäischen Union beizutreten. Dies, und die Absicht, an der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik teilzunehmen, wurde den anderen Staaten formell mitgeteilt. Damit wurde die Neutralität widerspruchslos neu gestaltet. Dies wurde möglich, weil die Sowjetunion und der Warschauer Pakt sich kurz zuvor aufgelöst hatten.
Österreich zeigte der Staatengemeinschaft damit auch, dass das österreichische Volk allein über seine Neutralität verfügt. Anstelle des Kalten Krieges begann sich eine europäische Friedensordnung zu entwickeln. Das sichtbare Zeichen dieser Entwicklung: Die Russische Föderation wurde Mitglied der Nato-Partnerschaft für den Frieden.
Am 22. Februar 2022 begann die Russische Föderation ihren Angriffskrieg gegen die Ukraine. Die europäische Friedensordnung wurde als Illusion entlarvt und zerbrach. Die Zeitenwende begann: eine neue militärische Spaltung Europas und damit auch die Angst vor dem Krieg.
Zwei Erkenntnisse prägen die aktuelle Entwicklung: Die internationale Staatengemeinschaft kann einen Angriffskrieg einer Atommacht mit friedlichen Mitteln nicht beenden, die Furcht vor einem nuklearen Weltkrieg bestimmt das Tun. Und: Ein angegriffener bündnisloser oder neutraler Staat bleibt allein und wird zum Opfer. Geschützt wird nur ein Bündnis-Mitglied.
Bei den Neutralen und den Bündnislosen bricht die Angst aus: Wer ist das nächste ungeschützte Opfer? Auch Österreich muss dies zur Kenntnis nehmen: Die Neutralität schützt nicht mehr.
Österreich muss sich für den Nato-Betritt oder die Mitarbeit an einer europäischen Armee der EU entscheiden. Drei Viertel der Österreicher stehen jedoch fest hinter der Neutralität! Sie müssen erst von den Folgen der russischen Aggression informiert und von den neuen Notwendigkeiten des Schutzes überzeugt werden. Mit einem neuerlichen Verfassungsgesetz wird dann die Neutralität Geschichte sein.
KONTRA, von Pamela Rendi-Wagner
Die Welt befindet sich in einem Großmachtkonflikt zwischen den USA, China und Russland. Der Kampf um Einflusszonen erinnert an den Kalten Krieg. Der russische Präsident Wladimir Putin glaubt, seinen Einfluss mit Krieg sichern zu müssen. Im Kalten Krieg gab es viele dieser Versuche, die alle scheiterten, wie der Angriff Nordkoreas auf den Süden oder die sowjetische Invasion in Afghanistan.
In Europa standen sich die schwer bewaffneten Bündnisse Nato und Warschauer Pakt gegenüber. Die neutralen Staaten bildeten die Ausnahme der gefährlichen Blockbildung und konnten dennoch wichtige Funktionen übernehmen wie die Vermittlerrolle in der einstigen KSZE (und heutigen OSZE, die in Wien beheimatet ist) oder auch als Gastgeber für Gipfeltreffen und Ort internationaler Organisationen. Diese Rolle wurde von den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion respektiert und auch gewünscht.
Wir sehen auch jetzt globale Bündnisbildungen. Neutrale Staaten wie Österreich dürfen jedoch nicht militärischer Teil dieser globalen und regionalen Auseinandersetzung sein. Unsere Neutralität stellt sicher, dass Österreich nicht gezwungen werden kann, die Positionen von Großmächten oder militärischen Bündnissen zu übernehmen. Neutrale Staaten können und müssen aber Stellung beziehen und Diplomatie und Vermittlung anbieten. Österreich war nie gesinnungsneutral und darf es auch in diesem Angriffskrieg auf die Ukraine nicht sein. Im Gegenteil: Engagierte Neutralität bedeutet, Stellung zu beziehen zu Menschenrechtsverletzungen, Völkerrechtsbrüchen und Krieg.
Für Österreich bedeutet Neutralität eben "nicht Passivität oder Abstinenz", wie schon Bruno Kreisky betonte, sondern das aktive Setzen friedenspolitischer Akzente. Österreich engagiert sich in den Vereinten Nationen, in der Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik und bei Friedensmissionen, die von der UNO autorisiert worden sind. Österreich erlaubt aber Großmächten nicht, auf seinem Territorium Stützpunkte zu errichten, wie das Bündnisstaaten tun. Es stellt auch für deren Kriege keine Soldaten zur Verfügung.
Die Neutralität stärkt als Eckpfeiler der österreichischen Außenpolitik unsere Sicherheit. Engagierte Neutralität ist das Gegenteil von Abseitsstehen. Neutrale Staaten sind aber auch nicht Teil von Blöcken und beteiligen sich nicht an fremden Kriegen. Dieses Grundprinzip unserer Neutralität hat unsere Sicherheit in der Vergangenheit gestärkt und wird es auch in Zukunft tun.