Während sich der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zuspitzt, wird auch in Österreich über das weitere nationale Vorgehen im Umgang mit der Krise beraten. Dazu berief Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) für heute, Dienstag, erneut das Krisenkabinett der Bundesregierung ein. Um 9 Uhr hatte man sich zusammengesetzt, um weitere Schritte zu besprechen.

"Es ist leider eingetreten, was wir seit Tagen befürchtet und wovor wir gewarnt haben", erklärt der Kanzler im Vorfeld. "Die Russische Föderation hat die gegebenen Zusagen eines Truppenabzugs nicht eingehalten." Dass Russlands Präsident Wladimir Putin angekündigt hat, die Unabhängigkeit der selbst ernannten "Volksrepubliken" in Donezk und Luhansk in der Ostukraine anerkennen zu wollen, werde von der Bundesregierung "verurteilt", heißt es.

Betroffene Unternehmen könnten entschädigt werden

Laut Nehammer werde die EU "geschlossen und geeint" agieren, erklärte dieser im Anschluss an die Beratungen. Man unterstütze "einen stufenweisen Ansatz", der erste Sanktionen vorsieht. Eine Beschlussfassung der Außenminister erfolge bereits heute Nachmittag. Details wollte der Kanzler hier noch nicht nennen, Einzelpersonen und der Rohstoff-Bereich könnten ein Ziel sein. Die Beratungen dazu seien noch im Gange.

Nehammer dementierte jedoch Berichte, wonach sich Österreich und Deutschland gegen Sanktionen stellen würden. Das Vorgehen sei mit Brüssel akkordiert. Angesichts wirtschaftlicher Folgen werde man im Wirtschaftsministerium auf betroffene Unternehmen zugehen, auch mögliche Kompensierungen stellte der Kanzler in Aussicht.

"Die Situation ist tatsächlich ernst"

Man beobachte die Lage in der Ukraine genau, Österreich habe angeboten, noch mehr OSZE-Beobachter zu schicken. "Österreich ist neutral, dazu bekennen wir uns auch." Dennoch "haben wir eine klare Meinung, wenn das Völkerrecht verletzt wird", so Nehammer. Als kleines Land habe Österreich in der EU "Stimme und Gewicht", man wisse aber auch, dass "nicht das Recht des Stärkeren zu Politik führen darf". Krieg schaffe auf beiden Seiten immer "viele Verlierer". Österreich setze sich deshalb für eine Wiederbelebung des Dialoges ein, man biete sich "immer" für Gespräche an.

Das geschaffene Krisenkabinett habe sich zusammengesetzt, laut Energieministerin sei die Versorgung von Gas, "selbst wenn morgen der Hahn zugedreht wird", gesichert. Angesichts möglicher steigender Preise beobachte man den Markt "ganz genau". Sollte es zu Engpässen kommen, werde die Versorgung von Privathaushalten immer bevorzugt.

Nehammer rechnet nicht mit Flüchtlingsströmen nach Österreich

Zudem habe man "über eine mögliche Evakuierung von österreichischen Staatsangehörigen in der Ukraine" gesprochen. Das Außenministerium sei mit ihnen in Verbindung, man könnte rasch reagieren, sollte das notwendig sein. 150 Landsleute sollen aktuell vor Ort sein. Zudem beobachte man mögliche Flüchtlingsströme, hier rechne Nehammer aber mit anderen Ländern, die eher betroffen sein dürften. In Österreich sei die ukrainische Community klein. Zusammenfassend erklärte er: "Die Situation ist tatsächlich ernst."

Van der Bellen verurteilt Putins Einmarschbefehl

Bundespräsident Alexander Van der Bellen kritisiert in einer Aussendung die von Putin angeordnete Entsendung russischer Truppen nach Donezk und Luhansk als eklatante Verletzung der Souveränität und territorialen Integrität der Ukraine. Putin überschreite "eine rote Linie, indem er der Ukraine ihre Eigenständigkeit abspricht und sein eigenes Volk auf einen Krieg vorzubereiten scheint". Der Präsident riskiere damit auch, die Bemühungen um Diplomatie und Dialog zu zerstören.

Van der Bellen betont zudem, dass die Souveränität und das Selbstbestimmungsrecht eines jeden Landes unantastbar sei. "Dies gilt für unseren europäischen Nachbarn Ukraine ebenso wie für alle anderen Staaten. Eine Ausweitung des menschlichen Leids in der Ostukraine muss verhindert werden. Ich appelliere an Präsident Putin, seine Entscheidung zu revidieren und den Weg des Dialogs statt der Konfrontation zu gehen."

Grüne fordern Ende von Nord Stream 2

Die Grünen sehen in der Anerkennung der umkämpften ukrainischen Regionen einen "Bruch des Völkerrechts und des Minsker Abkommens". Diese lasse "keinen Zweifel daran, dass Putin hier als Aggressor auftritt", erklärt Michel Reimon, EU-Sprecher der Grünen, per Aussendung. Nun sei "eine deutliche Antwort" in Form von "ökonomischen Sanktionen" notwendig. "Das Pipeline-Projekt Nord Stream 2 muss von EU-Seite sofort und endgültig abgesagt werden."

Nehammer erklärte dazu, dass von den Sanktionen auch die Gaspipeline umfasst sein werde. Doch er fügte hinzu, dass das Großprojekt noch nicht zertifiziert sei, weshalb dies noch kein zentrales Thema sei.

Kritik von Neos und SPÖ, FPÖ zeigt Verständnis

SPÖ-Partei- und -Klubvorsitzende Pamela Rendi-Wagner fordert angesichts der Situation in der Ukraine einen sofortigen EU-Sondergipfel. "Wir dürfen keine Zeit verlieren." Rendi-Wagner beruft außerdem eine Sitzung des Außenpolitischen Ausschusses im Nationalrat ein, die in den nächsten Tagen stattfinden soll.

FPÖ-Parteichef Herbert Kickl kritisierte hingegen, dass sich Österreich nicht seiner neutralen Rolle gemäß verhalte. Nehammer schlage stattdessen eine martialische Rhetorik an und verhalte sich wie ein Sprecher der Nato. Auch über das aus Regierungsmitgliedern gebildete Kriegskrisenkabinett machte sich Kickl lustig: "Das sind dieselben, die zu blöd dafür sind, ihre eigene Erfindung einer Impflotterie interministeriell zu koordinieren."

Ein entschlossenes und geeintes Vorgehen der EU fordert Neos-Außenpolitiksprecher Helmut Brandstätter: "Was Putin gemacht hat, ist ein klarer Bruch des Völkerrechts, der sofortige Sanktionen gegen Russland verlangt – Finanzsanktionen, aber auch absolute Reiseverbote für alle Regimeunterstützer sowie deren Familien, Beschlagnahme des Vermögens dieser Familien im Westen, strenge Sanktionen gegen Oligarchen und deren Unternehmen, Handelssanktionen und natürlich ein Ende für das Lizenzierungsverfahren von Nord Stream 2."