Die Corona-Pandemie hat schwere Folgen für die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen: Mehr als die Hälfte der jungen Menschen in Österreich kämpft nun mit depressiven Symptomen, sechs von zehn haben Essstörungen, 47 Prozent leiden unter Schlafstörungen, 16 Prozent haben wiederholt Suizidgedanken, beschrieb Jugendstaatssekretärin Claudia Plakolm (ÖVP) heute. Das Projekt "Gesund aus der Krise" soll nun "über die begrenzten Kapazitäten der Regelversorgung hinaus Unterstützungsmöglichkeiten für junge Menschen bieten", so Gesundheitsminister Wolfgang Mückstein (Grüne).
"Man kann mit Recht sagen: Es brennt an allen Ecken und Enden", betonte Plakolm. "Mit dem Paket beginnen wir an einem Ende zu löschen, nämlich konkret im Bereich des Zugangs zur Psychotherapie für junge Menschen bis 21 Jahre, indem wir einen One-Stop-Shop schaffen, der von der Erstberatung bis zur tatsächlichen Therapie jungen Menschen hilft."
Diese müssten sich weder selbst um einen Therapieplatz umschauen, noch um Kostenerstattung kümmern, Hilfe soll schnell und unkompliziert erfolgen. Es werde eine einzige Hotline geben, von der man an die Beratungs- und Behandlungsstellen weiter verwiesen wird, ergänzte Mückstein. Insgesamt sollen bis zu 7600 Kinder und Jugendliche im Bedarfsfall niederschwelligen und kostenlosen Zugang zu psychologischer Betreuung erhalten.
Hotline ab Ende März geplant
In das Projekt sind der Bundesverband für Psychotherapie und der Berufsverband österreichischer Psychologinnen und Psychologen eingebunden, und auch mit Schulpsychologinnen und -psychologen soll zusammengearbeitet werden. Rund 400 Organisationen sollen als bereits bestehende Anlaufstellen für Kinder und Jugendliche auf das Projekt sensibilisiert werden, "damit wir alle gemeinsam besser hinschauen", erklärte die Psychologin Beate Wimmer-Puchinger.
Konkret soll es ab Ende März möglich sein, bei einer Hotline anzurufen und dort über die Servicestelle einen kostenlosen Therapie- oder Beratungsplatz vermittelt zu bekommen. "Kinder und Jugendliche erhalten auch einen Gutschein, damit sie wissen, sie haben jetzt ein Recht darauf", erklärte Wimmer-Puchinger. Die Präsidentin des Berufsverbandes der österreichischen Psychologinnen hofft, dass durch das Projekt seelische Not entstigmatisiert wird.
Die Pandemie und deren Bekämpfung haben zu einer "zusätzlichen Belastung von Kindern und Jugendlichen in einer wichtigen Entwicklungsphase geführt", sagte Mückstein. Man habe deutlich gesehen, dass bestehende Hilfsangebote angesichts dieser Faktoren mehr als nur ausgereizt sind. "Alle Schülerinnen und Schüler, die Hilfe benötigen, sollen sie auch bekommen", betonte Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP).
"Tropfen auf dem heißen Stein"
Mit dem neuen Projekt sei ein erster Schritt getan, sagte Plakolm, "wir werden aber auch im Bereich der Prävention Maßnahmen setzen müssen". Die Bundesjugendvertretung (BJV) sieht aber schon bei den Therapieplätzen einen deutlich höheren Bedarf. "Dass Kinder und Jugendliche in Krisensituationen monatelang auf ein Erstgespräch warten müssen oder Minderjährige in der Erwachsenenpsychiatrie betreut werden, gehört leider schon lange zur Tagesordnung. Das heute von der Regierung präsentierte Projekt ist daher ein wichtiger Schritt, aber lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein", so BJV-Vorsitzende Fiona Herzog.
Sie verweist auf Organisationen wie SOS-Kinderdorf, die die aktuelle Lücke auf rund 70.000 Therapieplätze schätzen. Teile der 750 Millionen Euro schweren, abgesagten Impflotterie könnten in die psychische Gesundheit junger Menschen investiert werden, schlägt die Bundesjugendvertretung vor.
Auch selbst SOS-Kinderdorf, das etwa den Notruf 147 - Rat auf Draht mitbetreut, sieht die Maßnahmen zu kurz gegriffen. Das Ziel, 7600 Betroffene zu erreichen, sei "zu klein gesteckt, damit kann die seit Jahren bestehende massive Unterversorgung im Bereich psychischer Gesundheitsleistungen bei Kinder und Jugendlichen nicht ausgeglichen werden", so Christian Moser, Geschäftsführer von SOS-Kinderdorf. Es brauche eine engagierte Ausbaustrategie.
Das sieht auch Andreas Huss, Dienstnehmer-Vertreter in der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) so. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter fordert er Kontinuität und einen multidiziplinären Ansatz:
"Was ist mit dem Rest?"
"Zu wenig, zu spät und auch an den wirklich akuten Problemen junger Menschen vorbei" geht das Projekt aus Sicht von SPÖ-Kinder und Jugendsprecherin Eva-Maria Holzleitner. Zahlen zur stark belasteten psychischen Gesundheit von jungen Menschen würden seit April 2020 vorliegen, so Holzinger: "Man stelle sich vor, Wirtschaftshilfen wären erst zwei Jahre nach Beginn der Pandemie ausgeschüttet worden." 7600 Therapieplätze seien eine "kosmetische Dosierung" und würden nur 10 Prozent des errechneten Bedarfs vor der Pandemie decken.
"Nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein" sind die heute präsentierten Maßnahmen auch für FPÖ-Jugendsprecher Michael Schnedlitz. Der FPÖ-Generalsekretär ortet die Ursache der psychischen Probleme von Kindern und Jugendlichen in den Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. Um den Jüngsten psychisch zu helfen, fordert Schnedlitz, sämtliche Corona-Maßnahmen für Kinder und Jugendliche sofort aufzuheben. In einer Studie der Donau-Universität-Krems aus dem Dezember, wurde aber festgehalten, dass Schulöffnungen und Lockdowns nicht direkt mit der psychischen Gesundheit von Schülerinnen und Schülern in Zusammenhang stehen dürfte.
Neos-Jugendsprecher Yannick Shetty findet es "gut, dass die Bundesregierung nach zwei Jahren Pandemie endlich erkennt, dass sie etwas tun muss, um die Kinder und Jugendlichen zu entlasten". Sie agiere aber wieder einmal zu wenig ambitioniert, psychische Gesundheit dürfe kein einmaliges Förderprojekt sein, so Shetty. 7600 Kinder und Jugendliche seien 0,4 Prozent der Bevölkerung unter 20, rechnet der Neos-Jugendsprecher vor: "Was ist mit dem Rest?" Statt einem "projektbasierten Fördertopf" brauche es langfristige Zusammenarbeit mit den Krankenkassen, fordert Shetty.
Auch Martin Schenk, Sozielexperte der Armutskonferenz, fordert "nachhaltige, kassenfinanzierte Psychotherapieplätze flächendeckend in Österreich". Jede Maßnahme, die Kinder mit psychosozialer Versorgung erreiche, sei gut, so Schenk, doch ohne bessere regionale Versorgung am Land und niederschwellige Angebote wie Teams, Gemeinschaftspraxen oder spezialisierte Therapieplätze werde es nicht gehen.
13 Millionen Euro sind vom Ministerrat bereits im vergangenen Jahr für die psychosoziale Versorgung von Kindern und Jugendlichen zur Bewältigung der psychischen Folgen der Pandemie beschlossen worden. 12,2 Millionen Euro gehen an das neue Projekt "Gesund aus der Krise", 800.000 Euro an die Arbeitsgemeinschaft Frauengesundheitszentren, "damit die psychologische und psychotherapeutische Behandlung für Mädchen und junge Frauen verbessert wird", erläuterte Mückstein.