PRO, von Wilfried Haslauer
Die Impfpflicht ist unter anderen Voraussetzungen, nämlich unter dem Eindruck der „Delta Variante“ im November, beschlossen worden. Da war die Situation eine andere, es gab eine dramatische Situation der Überlastung in den Spitälern, speziell in Intensivstationen. Dann kam „Omikron“, es hat sich glücklicherweise herausgestellt, dass trotz hoher Infektionszahlen unsere Krankenhausinfrastruktur nicht mehr in Gefahr ist und nach derzeitiger Einschätzung keine Überlastung zu erwarten ist.
Daher ist die Frage zu stellen, ob die Impfpflicht noch notwendig ist. Sie ist ein Grundrechtseingriff, welcher nur zulässig ist, wenn er in Abwägung von unterschiedlichen Schutzgütern unbedingt erforderlich und die Verhältnismäßigkeit gegeben ist. Dieses Schutzgut ist die Aufrechterhaltung des Gesundheitssystems, das scheinbar – so auch die Einschätzung von Experten – durch Omikron nicht gefährdet ist. Wenn es um Grundrechtseingriffe geht, bin ich äußerst sensibel, denn die Freiheit ist eines der höchsten Güter unserer Demokratie. Im Herbst war die Impfpflicht als „ultima ratio“ richtig und argumentierbar, weil diese zur Aufrechterhaltung unseres Gesundheitssystems unbedingt erforderlich erschien. Nun haben wir eine andere Situation. Das Gesetz beinhaltet den klugen Passus, dass sich eine Experten-Kommission damit auseinanderzusetzen hat, ob diese Pflicht unter den jetzigen Bedingungen noch aufrecht zu halten ist. Ich betrachte das Gesetz als eine Art „Werkzeugkoffer“, welchen ich öffnen kann, um das passende Werkzeug anzuwenden, sobald es notwendig ist. Eine Impfpflicht auf Verdacht für ein ungewisses und unvorhersehbares Ereignis im Herbst zu erlassen, ist aus meiner Sicht problematisch.
Leider schlägt die Pandemie immer wieder Haken. Letzten Sommer sah keiner, dass „Delta“ und „Omikron“ kommen. Die Politik muss auf geänderte Bedingungen reagieren, leider gibt das Virus das Tempo vor. Ich hoffe, dass wir die Bevölkerung nicht mehr mit weiteren Hakenschlägen der Pandemie in Anspruch nehmen müssen.
Fest steht, dass Omikron die „Spielregeln“ geändert hat, darauf muss die Politik angemessen reagieren. Daher ist es mir besonders wichtig, dass die Expertenkommission zeitnah eingesetzt wird, um eine Evaluierung der Impfpflicht durchzuführen und vor dem 15. März zu einem Ergebnis zu kommen, damit es Klarheit für die Bevölkerung gibt. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, vor dem „Scharfstellen“ des Gesetzes dieses noch einmal auf die Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit zu überprüfen.
KONTRA, von Sigrid Maurer
Die Corona-Pandemie prägt unseren Alltag seit fast zwei Jahren. In dieser Zeit haben wir viel über diese Krankheit gelernt. Vor allem, dass sich die Dynamik ihrer Ausbreitung immer wieder verändert. Auf Phasen der Entspannung folgten neue Wellen und neue Virus-Varianten, die unser Gesundheitssystem an seine Belastungsgrenze brachten. Erst im vergangenen Herbst waren wir in einer solchen ernsten Situation. Und das, nachdem die Pandemie bereits einmal für beendet erklärt wurde – vorschnell, wie wir heute alle wissen. Dieser Fehler darf jetzt nicht wiederholt werden.
Wir haben die Impfpflicht mit einem klaren Ziel auf den Weg gebracht: Bereits jetzt dafür zu sorgen, dass im Herbst so viele Menschen wie möglich immunisiert sind. Damit wir vor einer drohenden nächsten Welle rechtzeitig geschützt sind. Damit wir wieder ein normales Leben führen können – ohne Lockdowns, ohne Einschränkungen, ohne Gefährdung unseres Gesundheitssystems. Damit sich der letzte Herbst nicht wiederholt. Dafür wurde die Impfpflicht mit großer Mehrheit im Parlament beschlossen. Diese breite Zustimmung kam deshalb zustande, weil unter der Federführung von Gesundheitsminister Mückstein und Verfassungsministerin Edtstadler ein ausgewogenes Gesetz formuliert wurde, das die wechselnde Dynamik dieser Pandemie mitdenkt.
Wir müssen unsere Entscheidungen weiterhin auf Basis wissenschaftlicher Evidenz treffen und langfristig planen. Ein zentraler Kontrollmechanismus ist im Gesetz verankert: Es wird laufend evaluiert, ob die Impfpflicht noch notwendig und verhältnismäßig ist – aufgrund der jeweils aktuellen Situation und mit Blick auf die kommenden Wochen und Monate. Dafür wird eine Kommission aus medizinischen und juristischen Expertinnen und Experten eingesetzt, die in den nächsten Tagen ihre Arbeit aufnehmen wird. Ihren Einschätzungen haben wir als politische Entscheidungstragenden nicht vorzugreifen, indem wir bereits über ein Aussetzen der Impfpflicht spekulieren.
Politische Schnellschüsse Einzelner, die nur auf Bauchentscheidungen und kurzsichtigen Momentaufnahmen beruhen, sind genau der falsche Weg. Im Gegenteil: Wir müssen diese Maßnahme auf Basis der wissenschaftlichen Erkenntnisse laufend überprüfen – und dann wohldurchdachte Entscheidungen treffen. Das Gesetz, das gerade in Kraft getreten ist, regelt genau das. Diese langfristige Strategie zugunsten von planlosen Hauruck-Entscheidungen aufzugeben, bringt uns bei der Bewältigung dieser Pandemie nicht weiter.