Der rot-pink geführten Stadt Wien ist der Geduldsfaden gerissen: Nach fast einem halben Jahr, in dem Aktivisten die Baustelle der „Stadtstraße“ besetzt haben, hat die Stadt die Polizei beauftragt, das Areal zu räumen – und am selben Tag mit weiteren Arbeiten, etwa der Rodung hunderter Bäume begonnen.
Aktivisten und ihre grünen Unterstützer versuchen das jetzt – im Windschatten starker Bilder angeketteter Jugendlicher, die von Polizisten weggetragen werden – als Sündenfall der SPÖ gegen Klima und Zivilgesellschaft in Szene zu setzen.
Da gilt es zu differenzieren. Zum einen in der Sache: Die „Stadtstraße“ – Euphemismus für einen drei Kilometer langen, vierspurigen Autobahnzubringer, der neue Viertel Transdanubiens (etwa die „Seestadt“) an die Tangente anbinden soll –ist für die einen ikonischer Klimakiller, für die anderen ein zwingend nötiges Stück Infrastruktur der wachsenden Stadt.
Beide Seiten argumentieren hier übermäßig dogmatisch: Nein, das Weltklima (und auch nicht Österreichs Beitrag dazu) wird sich nicht an einigen tausend Metern in der Donaustadt entscheiden; man könnte sogar den Punkt machen, dass der Individualverkehr mit dem Aufstieg des E-Autos in den kommenden Jahren noch der am einfachsten zu dekarbonisierende Sektor sein wird.
Dennoch ist es eine stadtplanerische Niederlage, wenn heute mitten in einer Weltstadt, quasi in Sichtweite von U-Bahn-Stationen kilometerweise zuasphaltiert wird. Die SPÖ, wohl noch getrieben von der „Auto ist Wohlstand“-Ideologie der 60er und 70er, agiert hier stur und visionslos. Gescheiter wäre es, dafür zu sorgen, dass niemand, auch in den Massenvierteln jenseits der Donau, noch ein Auto braucht, statt so den Autobesitz dort zu fördern.
Die andere Frage, die sich mit dem fotogerechten Protest und seiner Räumung auftut, ist jene nach den Grenzen des Demonstrationsrechts – eine auch an anderen Fronten, Stichwort Covid-Proteste, hochaktuelle Frage. Eine pauschale Antwort kann es darauf nicht geben.
Das Recht der Bürger, sich frei zu versammeln und sich Gehör zu verschaffen, hat in unserer Verfassung zurecht einen hohen Stellenwert. So hoch, dass Interessen anderer – etwa jene von Geschäftsleuten, die der Demos wegen um ihren Umsatz fürchten – daneben das Nachsehen haben.
Dieses Recht endet dort, wo andere durch seine mutwillige Überausübung in ihren Rechten beschnitten werden. Bei Übergriffen ist das der Fall – aber eben auch, wenn durch Protest einiger Dutzend Aktivisten der Bau einer ordentlich beschlossenen und genehmigten Straße monatelang verzögert wird.
Man kann den Bau dieser Straße mit Recht für unnötig halten – aber die Orte, diese Entscheidung zu treffen, sind (bzw. waren) das Rathaus, der UVP-Verhandlungstisch und letztlich die Wahlurne. An der Baustelle kann man noch einmal ein Zeichen setzen, was man davon hält – dass die Stadt sich davon nun nicht mehr abhalten lässt, ist nachvollziehbar.
Georg Renner