Wilde Szenen spielten sich rund um die Holzpyramide beim Lobau-Protestcamp ab. Zwei Aktivisten hatten sich mit in die Erde einzementierten Rohren an die Konstruktion fixiert. Stundenlangwar die Polizei daher nicht in der Lage, das Camp vollständig zu räumen.
Während Bagger den Rest des Lagers in seine Einzelteile zerlegten versammelten sich hunderte Sympathisanten. Sie skandierten "Du bist nicht allein" und spielten im eisigen Wind "Gekommen um zu bleiben" der deutschen Band "Wir sind Helden". Erst nach mehreren Stunden gelang es der Polizei am frühen Nachmittag, die beiden Aktivisten im Camp zu entketten. Prompt wurde auch das Herzstück des Camps "Wüste" bei der Hausfeldstraße in Wien mit einem Kran zerstört.
Die Polizei hatte mit der Räumung des Camps bereits in der Früh begonnen. Aktivisten gegen den abgesagten Lobautunnel und die von der Stadt Wien weiter geplante Stadtstraße nutzten die Zeit für eine spontane Solidaritätskundgebung rund um das Camp. Die Proteste liefen friedlich ab.
48 Festnahmen
Unübersichtlich wurde die Situation, als zwei Aktivisten die Handschellen angelegt wurden. Mehrere Menschen stürmten daraufhin über den Bauzaun der Polizei zur Pyramide. Einige wurden am Boden fixiert. Festnahmen gab es im Laufe des Vormittags gleich mehrere: Neben einigen der ursprünglichen 12 Besetzern wurden auch die festgenommen, die den Bauzaun erstürmten. Wer allerdings kooperiere, werde nur angezeigt, so Polizei-Pressesprecher Markus Dittrich.
Am frühen Nachmittag bestätigte die Landespolizeidirektion Wien auf dem Kurznachrichtendienst Twitter, dass das Protestcamp vollständig geräumt werden konnte. Die längste Zeit konzentrierte sich die Polizeiaktion auf die Pyramide, wo sich Aktivisten "technisch fixiert" hatten. Die zwei Männer sollen sich über mit Zement in der Erde fixierte Rohre angekettet haben. Insgesamt wurden 48 Personen vorläufig festgenommen, teilte die Polizei am Abend in einer Aussendung mit: "Ein Großteil davon nach dem Verwaltungsstrafgesetz, insbesondere, weil die Identität der Angehaltenen nicht festgestellt werden konnte, dies aber für die Anzeigenerstattung unumgänglich ist und weil in der strafbaren Handlung verharrt wurde. Fünf wurden wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt festgenommen."
Pfefferspray und Handschellen
Die Sympathisanten strömten großteils in die Nähe der Pyramide. Am Vormittag rissen sie auch Sperrgitter nieder und skandierten "Lasst sie frei." Die Polizeibeamten setzten Pfefferspray ein, laut Aktivisten seien auch Schlagstöcke eingesetzt worden. "Es wurden junge Menschen am Boden fixiert, Handschellen angelegt und hier in den Polizeiautos festgehalten. Wir wissen nicht, ob die weggebracht werden sollen oder nicht, aber wenn dann wird das verhindert werden", schilderte Lucia Steinwender, Sprecherin von "LobauBleibt" und "System Change not Climate Change" im APA-Gespräch.
Auch die Umweltschutzorganisationen Global 2000 und Greenpeace zeigten sich solidarisch mit den Besetzenden. "Die Räumung stand jetzt schon seit einigen Tagen im Raum, das heißt wir waren bereit", sagte Agnes Zauner, Geschäftsführerin von Global 2000 zur Kleinen Zeitung. "Es ist noch nicht so spät", richtete sie sich an Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ): "Die Kehrtwende ist jederzeit möglich und ich wünschte, die SPÖ würde ihre Betonpolitik aus dem vorigen Jahrhundert aufgeben und in die Zukunft schauen."
Aufräumarbeiten beginnen bereits
Ein paar Aktivisten wollten gegen Mittag die Sperre nicht akzeptieren und liefen aus Richtung der U-Bahn-Station ins Camp. Nach einem kurzen Sprintduell wurden aber auch sie im Camp von der Polizei festgesetzt. Anders als noch am Vormittag zückten die Beamten gegenüber den circa 200 friedlich Demonstrierenden deshalb aber nicht mehr das Pfefferspray.
"Pressefreiheit ist unser höchstes Gut! Lasst die Presse rein!", skandierten daraufhin die Demonstranten vor dem Lager. Der Zugang zum Camp blieb aber für alle außer Einsatzkräfte gesperrt.
Während des Polizeieinsatzes erfolgten bereits die ersten Aufräumarbeiten im Protestcamp. Bagger begannen, ein Nebengebäude der Pyramide abzureißen, ein Camping-Anhänger wurde abtransportiert.
Kritik seitens der Politiker
Kurz nach 11 Uhr tauchte FPÖ-Gemeinderat Toni Mahdalik beim Protestcamp auf. Mahdalik war mit dem Fahrrad gekommen und stellte sich lautstark gegen die Demonstranten. Beim Versuch des ORF, den FPÖ-Politiker zu interviewen, wurde er von lautstarkem Kreischen der Menge übertönt. Zur Erinnerung: Mahdalik ist bei den Klimaaktivisten nicht sonderlich beliebt. Beim seinem "Spatenstich" für die Stadtstraße knallten Aktivisten dem Freiheitlichen eine Torte ins Gesicht.
Die Wiener Grünen sind mit der nicht-amtsführenden Stadträtin Judith Pühringer und dem Wiener Klubobmann David Ellensohn bei der Demo. "Es ist ein trauriger Tag für den Klimaschutz und für die Zivilgesellschaft, die sich hier mit vollem Engagement einsetzt. Es ist aber vor allem ein trauriger Tag für die SPÖ, die es nicht geschafft hat, hier alle an einen Tisch zu bringen", kritistert Pühringer, dass die SPÖ nicht versucht habe, einen Kompromiss mit den Aktivisten zu finden. Es wäre auch angesichts der Klimaziele an der Zeit, "jetzt zu beginnen über Alternativen nachzudenken bei Projekten, die wir vor 20 Jahren geplant haben." Dass es einen Anschluss an die Seestadt brauche, sei klar, so Pühringer, "aber muss der wirklich eine vierspurige Autobahn sein?"
Verkehrsstadträtin Uli Sima (SPÖ) erneuerte am heutigen Dienstag ihr Gesprächsangebot. In einen an die Aktivistin Lena Schilling adressierten - der APA vorliegenden - Brief bedauerte sie, dass die Bemühungen um eine friedliche Lösung "leider ohne Ergebnis" gelieben seien. "Ich möchte noch einmal betonen, dass der Bau dieser 3,2 Kilometer langen Gemeindestraße für die Stadt Wien unumgänglich ist - denn sie stellt den Schlüssel für die klimafreundliche Stadtentwicklung dar", hielt sie fest. Einmal mehr verwies sie darauf, dass es sich um eine behördliche Auflage für den Bau der Seestadt Aspern und weiterer Stadtentwicklungsgebiete handle.
"Mir ist es wichtig, über das Thema der Stadtstraße hinaus mit Ihnen im Dialog zu bleiben", beteuerte die Ressortchefin in dem Schreiben. Denn sie sei sich sicher, "dass wir in vielen Bereichen nicht weit auseinanderliegen." Klimaschutz sei auch der Stadt ein zentrales Anliegen. Gerade im Bereich Mobilität würden große Schritte - wie den Ausbau des Öffi-Netzes - gesetzt.
Zustrom von Sympathisanten
Der Bereich wurde großräumig abgesperrt, außerdem waren zunächst sämtliche Öffentlichen Verkehrsmittel rund um die Baustelle unterbrochen. Den Unterstützern wurde die Anreise dadurch zwar deutlich erschwert - was sie aber nicht davon abhielt, dem Aufruf zahlreicher NGOs über diverse (Social Media-)Kanäle zu folgen, nach- und zum Ort des Geschehens zu kommen, wie ein APA-Lokalaugenschein zeigte.
Zwei junge Männer und eine junge Frauen erzählten etwa, dass sie gerade in der Arbeit bzw. in der Schule gewesen seien, als sie in ihren Social-Media-Gruppen vom Polizeieinsatz erfahren hätten. Sie hätten sich sofort zusammengepackt, in ein Auto gesetzt und seien Richtung Camp aufgebrochen. Den letzten Kilometer seien sie zu Fuß gegangen.
Zwei andere Sympathisanten haben sich vis-à-vis, auf der anderen Straßenseite auf ein Baufahrzeug gesetzt, weitere saßen in Bäumen, um deren mögliche Rodung zu verhindern. Manche hielten Transparente mit Slogans wie "One struggle, one fight" oder "Lobau bleibt", andere skandierten: "Wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut."
Demo um 18 Uhr bei SPÖ-Zentrale
Die Demonstration soll laut Stimmen von vor Ort um 18 Uhr vor der SPÖ-Zentrale in der Löwelstraße weitergehen. "Ich glaube, es dauert noch länger bis die Pyramide wirklich weg ist", sagte eine Aktivistin am Vormittag - sie sollte recht behalten. Gleichzeitig rief sie die Anwesenden auf, Freunde und Bekannte zur Demonstration beim Lager und um 18 Uhr zu einer Demo bei der SPÖ-Parteizentrale zu lotsen.
Gegenüber des Camps wurde spontan ein Kran besetzt und Aktivisten kletterten in die Bäume des kleinen Waldstücks, das der geplanten Stadtstraße im Weg steht. Davor bildete sich eine kleine Kundgebung, die jedoch im Laufe des Vormittags aufgelöst wurde. Das Waldstück wurde zwar von den Einsatzkräften abgesperrt, der Kran blieb jedoch besetzt. Als das Gerät gegen Mittag von den Demonstrierenden befreit wurde, konnte es seine Arbeit fortsetzen - und vor den Augen der Aktivisten Bäume ausreißen.
Parallel dazu wurden auch weitere Bäume entlang der Stadtstraßen-Trasse gefällt. Es müssen insgesamt 380 weichen, wie der Leiter der Straßenbauabteilung MA 28, Thomas Keller, im APA-Gespräch sagte. Diese müssten gemäß UVP-Bescheid gerodet werden, hieß es. Es sei jedoch geplant, eine Ersatzpflanzung von insgesamt 1.000 Bäumen vorzunehmen - unter anderem in den neuen Stadtteilen, die dort errichtet würden.
Öffis hielten nicht mehr an
Den potenziellen Teilnehmern von Solidaritätskundgebungen wurde die Anreise deutlich erschwert. Die umliegenden Öffi-Stationen waren von der Sperre betroffen, so wurde unter anderem die dem Camp nahe gelegene U2-Station Hausfeldstraße nicht angefahren, wie die Wiener Linien der APA bestätigten. Weiters betroffen waren die Bimlinien 25 und 26 sowie die Buslinien 85 A, 95 B, 97A. Im Laufe des Vormittages wurde die Sperre aber aufgehoben.
So schnell aufgeben wollen die Aktivisten aber scheinbar nicht, wie Lena Schilling vom Jugendrat und Sprecherin von LobauBleibt gegenüber der APA ankündigte: „Wir wollen auf jeden Fall passiven Widerstand leisten.“ Auch Schilling rief zu einer Solidaritätskundgebung auf. „Wir versuchen jetzt alles, was geht hinzumobilisieren.“ Dem Aufruf schloss sich unter anderem die Umweltschutzorganisation Global 2000 an, zeitgleich wurde die Räumung massiv kritisiert.
Die Polizei sah sich jedenfalls gut aufgestellt, wie Dittrich der APA sagte: „Es sind ausreichen Polizeikräfte im Einsatz und wir sind natürlich so aufgestellt, dass wir das Ganze auch zu einem Ende bringen können, wenn zahlreiche Sympathisanten eintreffen würden.“ Gar so viele Demonstrierende wurden es nicht, eine genaue Zahl an Einsatzkräften wollte Dittrich aber auch am Abend nicht nennen. Weit über 100 Beamte seien es gewesen - eine sehr konservative Schätzung, wie er selbst zugab.
Man habe aber nicht nur ein großes Areal absichern müssen, sondern auch mit einer langen Einsatzzeit gerechnet. Um dann auch noch frisches Personal zur Verfügung zu haben, wurden auch Ersatzpolizisten mit beordert. Sie kamen etwa am Abend zum Einsatz als sich der Protest in die Wiener Löwelstraße verlagerte: Vor der SPÖ-Parteizentrale demonstrierten ab 18 Uhr erneut hunderte Menschen gegen die geplante Stadtstraße.
Die MA 28 als Projektbetreiber will nach der Räumung rasch mit den Bauarbeiten fortfahren, kündigte sie in einer Aussendung an: "Wir haben als Stadt Wien auf sämtlichen Ebenen seit Oktober versucht, in Gespräche mit den Besetzerinnen und Besetzern zu kommen. Es gab dazu unzählige Angebote, leider ohne Erfolg. Auch wir hätten uns eine friedliche Lösung gewünscht", meinte Thomas Keller, Abteilungsleiter der für den Straßenbau zuständigen MA 28. Die Räumung sei nun "unausweichlich, da der Bau an behördliche Auflagen gebunden ist".