Sebastian Kurz brach im Frühsommer 2017 Neuwahlen vom Zaun mit dem Versprechen, er wolle mit dem großkoalitionären Gemauschel, dem unerträglichen Hickhack, brechen und einen „neuen Stil“ in der Politik etablieren. „Zeit für Neues“ war der Slogan, der dem frischgebackenen ÖVP-Chef in Verbindung mit der Neupositionierung in der Migrationspolitik und der Ankündigung, den Mittelstand ordentlich zu entlasten, einen fulminanten Wahlsieg beschert hat.
Nun haben Papiere das Tageslicht erblickt, die belegen, dass Türkis in Personalfragen nahtlos an die alte Politik des „Postenschachers“ angeknüpft hat bzw. sich die jeweiligen Koalitionspartner wie eh und je die Ämter streng nach Parteifarbe aufgeteilt haben: im Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof, im ORF, der Nationalbank, den ÖBB, bei der Asfinag in den EU-Institutionen. Den türkis-blauen „Sideletter“ übermittelte FPÖ-Klubdirektor Norbert Nemeth im Zuge der Einvernahme der Korruptionsstaatsanwaltschaft, das türkis-grüne Papier poppte plötzlich auf – offenkundig, um der ÖVP die Basis für einen Entlastungsangriff zu liefern: „Das ist ein völlig normaler Vorgang“, relativierte Kanzler Karl Nehammer gestern die Enthüllungen. „Solche Festlegungen hat jede Regierung in der Zweiten Republik getroffen.“
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So haben ÖVP und FPÖ Ende 2017 in einem umfangreichen Sideletter, wo jede einzelne Seite die Unterschrift der beiden Parteichefs Kurz und Heinz-Christian Strache trägt, vereinbart, dass Brigitte Bierlein auf einem FPÖ-Ticket bis Ende 2019 den Verfassungsgerichtshof (VfGH) leitet, ehe sie von ihrem Stellvertreter, dem ÖVP-nahen Christoph Grabenwarter abgelöst wird. An Grabenwarters Stelle sollte der FPÖ-Mann Andreas Hauer treten. Da aber Ibiza dazwischenkam und der Juniorpartner wechselte, konnten sich die Grünen mit Verena Madner den Posten sichern. 2018 sollte auch „Krone“-Kolumnist Tassilo Wallentin als Höchstrichter in den VfGH einziehen, das Rennen machte allerdings FPÖ-Anwalt Michael Rami. Bei der Nationalbank wurden die Spitzenjobs ebenso nach Proporz besetzt: Gouverneur wurde der FPÖ-nahe Robert Holzmann, zum Präsidenten stieg Harald Mahrer auf. Sollten beim Verwaltungsgerichtshof die Chefsessel vakant werden, hätte die ÖVP das Nominierungsrecht für den Präsidenten, der Juniorpartner jenes (FPÖ, ab 2020 die Grünen) für den Vize.
Akribisch wurden 2017 auch die wichtigsten EU-Posten aufgeteilt. Die ÖVP hatte Anspruch auf den EU-Kommissar (Johannes Hahn), den EuGH-Richter (Andreas Kumin), die FPÖ auf den EU-Rechnungshof – die Wahl fiel auf die einstige Kabinettschefin von Susanne Riess und spätere Chefin der Budgetsektion Helga Berger. Im türkis-grünen Sideletter wird festgehalten, dass die Grünen nicht nur beim Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg, der EU-Investitionsbank und beim EU-Gerichtshof den Zuschlag erhalten, sondern auch bei der Nationalbank, der FMA und den Staatsbeteiligungen.
Besonders pikant sind die türkis-blauen Vereinbarungen zum ORF. So wurde niedergeschrieben, dass die GIS-Gebühren abgeschafft werden, sofern es budgetpolitisch machbar sei. Laut „profil“ verständigte man sich in einem Zusatzpapier auf ein vierköpfiges ORF-Kuratorium mit je zwei ÖVP- und FPÖ-Leuten, den Generaldirektor sollte die ÖVP stellen. Außerdem sollten neun Leitungsfunktionen eingerichtet werden, beigefügt ist eine Liste mit ORF-Namen. Grünen-Chef Werner Kogler meinte gestern, eine solche Vereinbarung sei nötig, damit die ÖVP nicht „alle Positionen besetzt“.