Sowohl Kanzer Karl Nehammer (ÖVP) als auch Grünen-Chef Werner Kogler (Grüne) haben am Samstag den sogenannten Sideletter zum Koalitionsvertrag verteidigt, in dem auch Personalentscheidungen detailliert vereinbart wurden. Kogler meinte, eine Vereinbarung sei nötig, damit die ÖVP nicht „alle Positionen besetzt“. Der Kanzler betonte, entsprechende Festlegungen habe es noch in jeder Regierung der Zweiten Republik gegeben. Dies sei „völlig normal“.
„Wir waren zwar neu in der Regierung, aber nicht naiv. Wenn man verhindern will, dass die türkise ÖVP alle Positionen besetzt, braucht man als kleinerer Koalitionspartner eine Vereinbarung, wie die Vorgangsweise ist“, erklärte Kogler in einer Stellungnahme gegenüber der APA.„Ich habe das ja nie verheimlicht und halte das für wichtig und notwendig. Wir sind ja in Verantwortung gewählt und auch dafür notwendige Personalentscheidungen zu treffen“, betonte der Vizekanzler. Es gehe "ja auch um Kontrolle im Sinne des öffentlichen Eigentümers. Da kann und soll nicht einer alles in der Hand haben."
Kogler erläuterte die Vereinbarung: Für Bestellungen, die laut Gesetz durch die Regierung erfolgen müssen und ministerratspflichtig sind, gelte abwechselndes Vorschlagsrecht je nach Institution. Für die Beteiligungen des Bundes, gelte ein Vorschlagsrecht für ein Drittel der Aufsichtsratspositionen für jene Partei, die nicht selbst den zuständigen Minister bzw. die zuständige Ministerin stellt. Hintergrund für diese Regelung sei das Prinzip der gegenseitigen Kontrolle. Das bedeutet, dass für die Beteiligungen, für die der Finanzminister zuständig ist, ein Drittel der Aufsichtsräte von den Grünen vorgeschlagen wird. Umgekehrt gilt für die Beteiligungen in der Zuständigkeit der Klimaministerin, dass ein Drittel der Aufsichtsräte von der ÖVP vorgeschlagen wird. Vereinbarungen über die Besetzung von Vorständen in Aktiengesellschaften gebe es keine, stellt Kogler klar.
Nehammer sieht mit solchen Sidelettern Fixierungen, um effizient zusammenarbeiten zu können. Dies sei ein System, das es in allen Koalitionen der Zweiten Republik gegeben habe. Der Kanzler kritisierte daher eine „Kultur der Aufgeregtheit“. Auch ÖVP-Klubobmann August Wöginger sprach in einer Aussendung von einer „gekünstelten Aufregung“, die „völlig realitiätsfremd“ sei. Vereinbarungen zwischen Koalitionspartnern seien „eine übliche und legitime Vorgangsweise und für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen Regierungsparteien absolut essenziell“, betont der ÖVP-Klubobmann.
Für SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch wird damit hingegen „einmal mehr das Selbstverständnis des türkisen Systems deutlich, die geliehene Macht ausschließlich für parteipolitische Zwecke zu missbrauchen“. Besonders deutlich werde dieses zweifelhafte Politikverständnis bei den türkis-blauen Umbauplänen zum ORF. Deutsch forderte dazu in einer Aussendung eine klare Stellungnahme von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP).
NEOS-Generalsekretär Douglas Hoyos sieht in den Sidelettern „zutiefst ungustiöses Machtdenken“ und „das genaue Gegenteil von sauberer und anständiger Politik“. Hoyos sprach von „Postenschacher in Reinkultur. Österreich leidet schwer an der Krankheit Korruption“.
Heikle Personalfragen
Mit dem „Sideletter“haben ÖVP und Grüne schon beim Abschluss der Koalition vorab auch heikle Personalfragen vereinbart. So halten die Koalitionäre unter anderem fest, dass die ÖVP den Präsidenten des Verwaltungsgerichtshofes nominieren darf, sofern der Job vakant ist. Beim Vizepräsidenten, so das Papier, wären die Grünen dran. Bereits vollzogen ist die im „Sideletter“ beschriebene Aufteilung am Verfassungsgerichtshof: Christoph Grabenwarter ist dort als Präsident vermerkt, das Nominierungsrecht für den Vize-Chef lag bei den Grünen.
Festgelegt haben Türkis und Grün auch bereits, dass die ÖVP 2024 den EU-Kommissar auswählen darf, die Grünen dafür bei Rochaden am Europäischen Gerichtshof und am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2023 den Vorzug erhalten sollen. Ebenfalls schon vereinbart wurde, dass die ÖVP im Generalrat der Oesterreichischen Nationalbank den Präsidenten und die Grünen den Vizepräsidenten stellen. Die zwei Vorstände der Finanzmarktaufsicht teilen sich Türkis und Grün auf.
Aber nicht nur die jetzige türkis-grüne Regierung, sondern auch die frühere türkis-blaue Koalition hatte eine solche Nebenvereinbarung, in der es auch Personalabsprachen gab. Auch damals ging es unter anderem um wichtige Posten in der Justiz, wie beim Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof. Und auch die ÖBAG und die FMA waren damals schon Teil der Absprachen, ebenso der ORF.