Die Demonstranten, die sich seit dem frühen Morgen im Wiener Regierungsviertel aufhielten, mussten lange ausharren, bevor ihr Thema im Parlament behandelt wurde. Erst fünf Stunden nach Beginn der Nationalratssitzung stand die Debatte zur Impfpflicht auf der Tagesordnung. Weitere fünf Stunden später hat der Nationalrat mit 137 Stimmen nach heftiger Debatte die Impfpflicht beschlossen. Bei der ÖVP haben alle Abgeordneten zugestimmt.
Bei der SPÖ gab es einzelne Abweichler. Als Wackelkandidat galt etwa Baugewerkschafter Josef Muchitsch. Zwei niederösterreichische Abgeordnete ließen sich bei der Sitzung am Donnerstag entschuldigen. Bei den NEOS votierten mehrere Mandatare, darunter Gerald Loacker, gegen die Impfpflicht. Seitens der Freiheitlichen gab es geschlossene Ablehnung.
Die Grünen müssen auf die Unterstützung einer Abgeordneten beim Beschluss der Impfpflicht verzichten: Ewa Ernst-Dziedzic ist der heutigen Sitzung des Nationalrats ferngeblieben, weil sie der Vorlage nicht zustimmen will. Eine entsprechende Ankündigung der Mandatarin war in der einer Klubsitzung am Mittwoch erfolgt.
In der Debatte trat als erster Redner FPÖ-Chef Herbert Kickl ans Rednerpult, der heftige Kritik an der Corona-Politik der Regierung übte. Er kritisierte aber auch SPÖ und Neos, die mehrheitlich für die Regierung stimmen wollten. Abschließend kündigte Kickl an, bei der Impfpflicht einen Rechtsbruch zu begehen: „Ich werde weiterhin ungeimpft bleiben.“
„Letztklassig und zynisch“ nannte die Grüne Klubobfrau Sigrid Maurer ihren Vorredner Kickl. Man brauche eine hohe Impfquote, um wieder normal leben zu können – ohne die Impfpflicht sei das nicht erreicht worden. „Leider gibt es eine mobilisierende Kraft, die die Leute davon abbringt, sich impfen zu lassen“, so Maurer in Richtung FPÖ.
SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner vermied in ihrer Wortmeldung den Ausdruck „Impfpflicht“. Sie sprach stattdessen von einer „verpflichtenden Schutzimpfung“, die nötig sei, weil niemand wissen könne, was nach Omikron kommt.
Auch Neos-Chefin Beate Meinl-Reisiger begründete ihre Zustimmung zum Gesetz, um für einen breiten Konsens zu sorgen. Sie übte aber gleichzeitig Kritik an der Regierung: Die Impflotterie am Tag der Impfpflicht-Abstimmung zu präsentieren, sei „skurril“ und die Verlängerung des Lockdowns für Ungeimpfte halte sie für nicht gerechtfertigt. Die Versäumnisse der Regierung seien laut Meinl-Reisinger ein Grund für die niedrige Impfquote, genau wie „die Agitation der FPÖ gegen die Impfung“.
Werner Saxinger von der ÖVP fühlte sich durch die Redebeiträge der Freiheitlichen an das Jugendwort des vergangenen Jahres erinnert, wie er sagte: Cringe. Dieses sei ein Ausdruck fürs Fremdschämen, erklärte er. Er habe viel Verständnis für die Ängste der Menschen, beteuerte der Mediziner. Man habe aber mittlerweile 14.000 Covid-Tote „und das ist sehr traurig“. In der öffentlichen Debatte würden Hausverstand und Wissenschaft als Konkurrenten dargestellt, obwohl dies nicht vergleichbar sei. Es würden sich auch oft Widersprüche ergeben, „aber die Wissenschaft lügt nicht“ so Saxinger.
Die Abstimmung über das Gesetz fand auf Verlangen der FPÖ übrigens namentlich statt – also mit personalisierten Stimmkarten. Im Protokoll wird das Abstimmungsverhalten jedes und jeder einzelnen Abgeordneten dokumentiert.
Milliardenschwerer Impfanreiz für die Bevölkerung
Zumindest finanziell wollen Regierung und Opposition die Impfpflicht der Bevölkerung. Im Vorfeld der heutigen Plenardebatte zu dem kontroversen Vorhaben des Impfpflichtgesetzes traten Bundeskanzler Karl Nehammer, Vizekanzler Werner Kogler und SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner um acht Uhr früh vor die Öffentlichkeit, um ein Bündel an finanziellen Impfanreizen der Öffentlichkeit vorzustellen.
Die wichtigsten Fragen zur Impflotterie
In Summe ist das Paket über eine Milliarde Euro schwer. „Für Belohnung und Anreiz haben wir uns ein Volumen von bis zu einer Milliarde Euro vorgenommen. Das ist vollkommen gerechtfertigt, das hat einen positiven Mehrwert für die Wirtschaft, die Gutscheine sollen den kleinen Unternehmerinnen und Unternehmern im Land zugutekommen. Dazu kommen 75 Millionen für die Gemeinden“, fasst der Kanzler die Maßnahmen zusammen. Eine Impflotterie startet am 15. März.
Besonders die SPÖ, insbesondere die Gewerkschafter haben immer wieder auf solche Anreize gedrängt. Parteichefin Pamela Rendi-Wagner hatte vor Weihnachten einen Gutschein in Höhe von 500 Euro ins Spiel gebracht. Einige Gewerkschafter sollen ihre Zustimmung zum Gesetz von solchen Anreizen abhängig gemacht haben. Nun kommen ÖVP und Grüne der roten Parteichefin in dieser Frage entgegen – ein politisch bemerkenswertes Manöver, um im Parlament eine breite Zustimmung zur Impfpflicht zu erhalten. Nur die FPÖ ist dagegen. Ähnliche Überlegungen hatte übrigens auch der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer angestellt, der einen Bonus in von 100 Euro gefordert hatte.
500 Euro-Gutscheine als Mini-Konjunkturpaket
Dem Vernehmen nach war man von der Idee, dass jeder Geimpfte einen Gutschein erhält, abgerückt. Nun wurde eine Lotterie für Geimpfte eingeführt, wo Gutscheine in Höhe von 500 Euro zu gewinnen sind, die im Handel, in der Gastronomie, im Tourismus, auch bei Kulturveranstaltungen einzulösen wären. So gesehen, kommt die Impflotterie einem Mini-Konjunkturprogramm für die notleidende Wirtschaft und Kulturszene gleich.
Im Schatten der Impfpflicht befasste sich der Nationalrat zunächst mit einem der Prestigeprojekte der Koalition. Zur Debatte stand die öko-soziale Steuerreform, die den Einstieg in die CO₂-Bepreisung bringt, aber auch eine Senkung von Körperschafts- und Einkommenssteuer. Während die Koalition in Superlativen schwelgte, fand die Opposition so einiges auszusetzen.
Von der Systematik her bedeutendster Schritt ist die CO₂-Bepreisung. Als Ausgleichsmaßnahme ist ein regionaler Klimabonus vorgesehen. Dieser beträgt je nach Region zwischen 100 und 200 Euro pro Kopf. Die zweite Einkommenssteuer-Tarifstufe wird von 35 Prozent auf 30 Prozent gesenkt, auch die Körperschaftsteuer sinkt, und zwar stufenweise von 25 auf 24 Prozent im Jahr 2023 bzw. auf 23 Prozent ab dem Jahr 2024.
Letzterer Punkt war jener, der die SPÖ an der Reform am meisten störte. Finanzsprecher Jan Krainer fragte: „Warum machen sie die Welt schlimmer?“ Mit der Senkung der Konzernsteuer bekämen zwei Prozent der größten Betriebe 80 Prozent des Entlastungsvolumens: „Sie machen Politik für die ganz großen Konzerne.“ Würde es der Koalition um die Kleinen gehen, würde sie die Mindest-KÖSt senken.
VP-Klubobmann August Wöginger wies diese Kritik zurück. Seiner Ansicht nach geht es bei der Maßnahme darum, über eine Unterstützung für Leitbetriebe 100.000e Arbeitsplätze zu sichern. Lieber feierte er ohnehin die „größte Steuerentlastung der Zweiten Republik“, speziell für Familien, verbunden mit einer neuen Systematik mit Ökologisierung: „Eine breite Entlastung für alle plus Klimaschutz mit Hausverstand.“
Dem schloss sich Ex-Finanzstaatssekretär Hubert Fuchs (FPÖ) nicht an. Mehrfach prangerte er die CO₂-„Strafsteuer“ an, die 2025 dann bereits 13 bzw. 14,8 Cent pro Liter betragen werde. Dazu komme noch ein „Bürokratiemonster“ bei der Abwicklung des Klimabonus, das auch von NEOS-Mandatar Gerald Loacker angeprangert wurde. Für Fuchs wird das ganze System durch die Reform komplizierter und ungerechter.
Wieder einmal vermisst wurde von NEOS-Budgetsprecherin Karin Doppelbauer die Abschaffung der „kalten Progression“. Immerhin begrüßte sie wie auch die anderen Oppositionsvertreter die Senkung der Lohnsteuer. „Missglückt“ ist für Doppelbauer der Klimabonus und es werde auch der notwendige Umschwung in Sachen CO₂-Emissionen sicher nicht erreicht werden.
Natürlich könne man über die Höhe des Einstiegspreises bei der CO₂-Bepreisung sprechen, doch: „Wir schaffen die grüne Transformation nicht gegen den Menschen“, argumentierte Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) und ergänzte, die Menschen am Land seien nun einmal mehr auf das Auto angewiesen. Zum Ziel der Abschaffung der „kalten Progression“ stand Brunner, nun habe man aber andere Schwerpunkte gesetzt.
Der Finanzminister meinte, normal kein Freund von Superlativen zu sein: „Aber das ist schon gewaltig, eine unglaubliche Steuerreform.“ Gemeinsam mit ökologischen Anreizen werde die heimische Wirtschaft um 18 Milliarden entlastet, eine sechsmal höhere Entlastung, als sie in Deutschland geplant sei.
Nicht weniger begeistert war Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), der ein „großes Werk“ geschaffen sah. Einzig dass man bei der Körperschaftssteuer als Grüne alleine anders vorgegangen wäre, gestand er zu. Grünen-Klubchefin Sigrid Maurer sah das Versprechen der Grünen, mit dem Regierungseintritt auf das Klima aufzupassen, erfüllt. Erstmals bekomme klimaschädliches Verhalten ein Preisschild. Dazu sei die Verteilungsbilanz bei den Entlastungen besser als bei vorangegangenen Reformen unter roten Kanzlern, richtete sie der SPÖ aus.