Sie ist, sagt er, Sonne und Erdung zugleich. Klingt nach ein wenig Pathos, ist aber eher eine nüchterne Analyse. Miriam, 24 Jahre alt und eines jener Kinder, die das 21. Chromosom dreimal hat, nickt begeistert und lacht herzhaft, wenn er erzählt, dass sie vor einigen Tagen heimlich gekocht hat. Oder wenn er sie Minuten später als „Spaziergangverweigerin“ bezeichnet. „Ich mag keine Spaziergänge, ich tanze lieber“, erzählt sie.
Ein Mädchen, das mit ihrer Lebenslust, Lebenskraft und Unbekümmertheit vieles relativiert. Nicht nur im Leben des Werner Kogler mit 14- bis 16-Stunden-Tagen, Delta- und Omikron-Krisenstäben, der Atemlosigkeit des Politikbetriebes. Es relativiert vieles auch bei jenen, die immer noch ein verzerrt falsches Bild von Menschen mit Down-Syndrom haben. Da werde, klagen Mütter, die Diagnose oft wie ein Todesurteil mit der unausgesprochenen Erwartungshaltung überbracht, das Kind nicht zu bekommen. „Verschwommene Gedankenlosigkeit“ hat Tobias Moretti, ein Kämpfer für das Lebensrecht von ungeborenem behinderten Leben, einmal Umgang und Einstellung gegenüber Behinderten bezeichnet. Das größte Manko der Gesellschaft sei, meine betroffenen Mütter, das Anderssein nicht verstehen zu können.
Sabine Jungwirth, Lebenspartnerin von Werner Kogler und Bundessprecherin der Grünen Wirtschaft, kennt diese Geschichten mit all ihren Schattierungen. Sie selbst wusste bis zur Geburt nicht, dass bei ihrem dritten Kind das 21. Chromosom dreifach vorhanden sein wird. Nach der Hausgeburt wurde ihr im Spital verschnörkelt die Diagnose erklärt. „Ganz gleich wie sich Eltern entscheiden, es ist immer ein Zaudern und Zerrissensein. Arg ist aber, wenn auf Eltern Druck ausgeübt wird, weil geglaubt wird, diese Menschen hätten keinen Wert für die Gesellschaft. Ich habe vieles von Miriam gelernt, ich habe gelernt, geduldig zu werden, einen Gang zurückzuschalten.“ Miriam hört zu und wirft energisch ein, dass die Mutter bei der Übertragung von Nationalratssitzungen sich oft so ärgert, dass sie „ausflippen kann“. „Kochprinzessin“, ruft Werner Kogler Miriam zu.
Die 24-Jährige ist einer der Ankerpunkte in seinem Leben. „Sie hat eine sonnige Ausstrahlung. Da kommt man herunter“, sagt er. Wie am 24. Dezember, wenn er zu Mittag für Licht ins Dunkel im ORF telefoniert, um dann am frühen Abend nach Graz zu kommen.
Ein Leben auf einer Hochschaubahn mit Vollbremsung, wenn er mit Miriam in der Küche über die Zusammensetzung des Sugos diskutiert. Er kennt zwar Kochbücher und von früher auch viele Kochsendungen fast auswendig, aber kochen kann er dennoch nicht. Sabine Jungwirth korrigiert: „Mittlerweile kann er Risotto und Sugo.“
Wie er den Dauerstress seit Ausbruch der Pandemie bewältigt? Er wehrt ab. „Nicht erst seit der Pandemie, die Rüttelstrecke hat bereits 2017 begonnen, als wir aus dem Parlament geworfen wurden und Millionenschulden umverteilen und zurückzahlen mussten. Insofern erschüttert mich nichts mehr.“
Im Gegensatz zu Rudolf Anschober dürfte er die nötige Elefantenhaut und Gelassenheit haben, um den Covid-Krisenmodus durchzuhalten. Er würde viel mit Humor und Schmäh bewältigen, meinen seine Mitstreiter. Er lächelt amüsiert: „Ja, sagt man.“ Miriam nickt: „Schmäh hat er viel.“
Wie viel Politik im Haus Kogler und Jungwirth zugelassen ist? „Natürlich reden wir über Politik, aber weniger als man glaubt. Es gibt auch noch ein anderes Leben“, sagt Sabine Jungwirth. „Faultag“ wirft Miriam ein. Eines ihrer Lieblingsworte für die Weihnachtsfeiertage, an denen selbst Werner Kogler einmal seinen verlängerten Arm, das Handy, nicht wie an Wochenenden nur für drei, vier Stunden ablegt. Der 25. Dezember sei, sagt er, die Luxusvariante der Erholung. Ob Politik, wie einmal ein langjähriger deutscher Politikjournalist geschrieben hat, eine Droge sei, von der Politiker nicht mehr loskommen, weil sie irgendwann beginnen, die Politik mit der Wirklichkeit zu verwechseln und sich selbst mit ihrer öffentlichen Rolle? Er überlegt kurz und meint, diese Gefahr bestehe. Bei sich selbst sieht er sie weniger. Schon deshalb, weil er sich als Teamplayer nie in die erste Reihe gedrängt habe.
Als Teamplayer spielt er nun mit Karl Nehammer, seinem dritten Kanzler, in einer neuen Liga. Es hätte sich doch, meint er, niemand erwartet, dass einmal die Grünen die stabile Kraft dieser Regierung sein würden. Stabilität erwartet er sich nun auch von Nehammer. Er habe ihn bei den Regierungsverhandlungen als anderen Typ kennengelernt, als der er in der Öffentlichkeit erschienen ist. „Er ist lange unterschätzt worden und bringt sicher bei unseren türkisen Partnern, die jetzt wieder lieber schwarz sein wollen, Stabilität hinein. Er ist von hoher Aufrichtigkeit, hat Handschlagqualität und ist einer, der sich rhetorisch nicht verstellt.“ Er überlegt kurz und fügt hinzu, dass Nehammer auch in Bleiberechtsfragen „anders gewickelt“ sei. Immerhin hätte es noch nie so viele positive Bleiberechtsfälle gegeben. Als Kritik an Kurz will er sein Lob allerdings nicht verstanden wissen. „Ich bin keiner, der jetzt Steine hinterherwirft. Sebastian Kurz hat mehr Qualitäten, als ihm viele zugestehen wollen. Aber es war eine sehr kleine, auf sich selbst bezogene Gruppe, die von Meinungsumfragen getrieben war.“
Was er von Neuwahlen und neuen Ampelkonstellationen hält? Er winkt ab: „Was ich da an Zurufen bekomme. Die Pandemie geht weiter. Da braucht man an nicht viel anderes denken. Das wäre verantwortungslos.“
Wie er damit umgeht, dass Kickl ihn und andere als Hochverräter bezeichnet? Er winkt ab. Neu sei da nur, dass nicht nur die Grünen attackiert würden. „Da kann ich nur sagen: Welcome to the club!“ Wirkliche Sorgen bereiten ihm Rechtsextreme, die bei den Demonstrationen ebenfalls mitmarschieren. „Wenn ein Prozent radikalisiert ist, können die das ganze Land terrorisieren.“
Ein Vollblutpolitiker, der wieder in die Politik gehen würde, wenn er heute 30 Jahre alt wäre? „Ja, würde ich. Da geht es um Feuer und Energie, etwas verbessern zu wollen. Und wenn man die nicht mehr hat, sollte man aufhören.“ Dass er im Schaufenster steht und sogar ein Foto über ihn mit einem Burger in der Hand für Empörung sorgte, kann ihn nicht aus der Ruhe bringen. „Da hat es geheißen, der frisst Burger und redet anders, obwohl ich nie dem Veganismus das Wort geredet habe. Abgesehen davon mag ich Burger gar nicht so.“
Am Christtag wird er den Kopf bei einem langen Spaziergang in Andritz einmal ordentlich „durchlüften“ und Delta, Omikron und die düsteren Szenarien der Krisenstäbe für einen Tag in die zweite Reihe verbannen. Einen Tipp zum weihnachtlichen Entspannen hat auch Miriam, eine begeisterte Malerin, für den Vizekanzler. „Beim Malen“, rät sie, „wird der Kopf frei.“ Sie schaut ihn an und sagt energisch: „Werner, ich bin ein Stadtmensch.“ Er nickt und meint lachend: „Ja, das sagst du, weil du nicht spazieren gehen willst.“