Die Innsbrucker Staatsanwaltschaft hat die strafrechtlichen Ermittlungen in der Causa Ischgl eingestellt. "Es kommt zu keiner Anklage", teilte die Behörde am Mittwoch mit. Es gebe keine Beweise dafür, "dass jemand schuldhaft etwas getan oder unterlassen hätte, das zu einer Erhöhung der Ansteckungsgefahr geführt hätte", hieß es in der Begründung.
Das Ermittlungsergebnis der Anklagebehörde - das bereits Ende Mai 2021 feststand - sei nun auch durch die Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck, das Justizministerium und vom Weisungsrat geprüft worden. Im Verfahren wurden fünf Personen als Beschuldigte geführt. Dem Vernehmen nach handelte es sich dabei um Landesamtsdirektor Herbert Forster, den Landecker Bezirkshauptmann Markus Maaß, den Ischgler Bürgermeister Werner Kurz sowie zwei Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft.
15.000 Seiten Akt
Der Akt umfasste 15.000 Seiten, insgesamt wurden 27 Personen durch die Staatsanwaltschaft vernommen. Geprüft worden seien "insbesondere die Maßnahmen nach Bekanntwerden der ersten Infektionsfälle, die Erlassung und Umsetzung von Verordnungen über Schließung von Lokalen, des Skibetriebes und die weiteren Verkehrsbeschränkungen in Ischgl bzw. die Quarantäne im Paznauntal".
Der vielfach getätigte Vorwurf der "Vertuschung" erhärtete sich laut Einstellungsbegründung nicht. Vielmehr sei auf "sämtliche Hinweise reagiert" und auch in Presseaussendungen kommuniziert worden. "Eine derartige 'Vertuschung' wäre unter Berücksichtigung des oben dargestellten Ablaufs (Anzeigepflicht, Test durch 'Screening Team' oder Amtsarzt) auch kaum möglich gewesen", hieß es weiter.
Chaotische Abreise nicht strafrechtlich fassbar
Zudem wurde nicht festgestellt, dass Maßnahmen aus wirtschaftlichen Interessen hintangehalten worden seien. Denn der Großteil der Urlauber-Anreisen sei "(auch) in Ischgl zwischen 06.03.2020 und 08.03.2020, somit vor bzw. binnen 24 Stunden nach der positiven Testung des Barkeepers (des Kitzloch, Anm.), der tatsächlich der erste positiv Getestete in Ischgl war" erfolgt. Dass das Ansteckungsrisiko von Tourismusverbänden, Gemeinden, Land Tirol und Tirol Werbung als "gering" bezeichnet wurde, habe den "damaligen Kenntnisstand" wiedergegeben. Die Behörde verwies hier auf Einschätzungen des deutschen Robert-Koch-Institutes.
Ebenfalls nicht strafrechtlich fassbar - trotz festgestellter Kommunikations- und Informationsfehler - seien die teils chaotischen Zustände bei der Abreise aus dem Paznauntal kurz nach der Verkündung der Quarantäne bei einer Pressekonferenz durch die Bundesregierung am 13. März 2020. "Der oftmals geäußerten Kritik, dass die ausländischen Gäste ungetestet abgereist sind, ist entgegenzuhalten, dass dies bei den damaligen Testkapazitäten der Virologie in Innsbruck zumindest mehrere Wochen in Anspruch genommen hätte." Nach den damaligen Contact Tracing-Vorgaben sei dies auch nicht vorgesehen gewesen.
Kolba: "Einstellung falsch"
Peter Kolba, Obmann des Verbraucherschutzvereins (VSV), der im Namen von Betroffenen auf zivilrechtlichem Wege Klagen eingereicht hat, kritisierte die Entscheidung der Staatsanwaltschaft in einer Aussendung. "Wir halten diese Einstellung des strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens für falsch und werden zunächst eine Begründung verlangen und nach Prüfung dieser Begründung gegebenenfalls fristgerecht einen Fortführungsantrag einbringen", kündigte er an. "Gravierende Behördenfehler" würden sich "lückenlos nachweisen" lassen, meinte er.
Die Staatsanwaltschaft habe Fehler auf Ebene der Bundesregierung offenbar außer Acht gelassen, er verwies auf das "chaotische Abreisen Tausender Gäste" am 13. März 2020. Die damaligen Mitglieder der Bundesregierung hätten als Zeugen gehört werden müssen, sagte Kolba. "Ich habe den Eindruck, dass hier ein Behördenskandal weitgehend vertuscht werden soll", übte er Kritik an der Entscheidung der Justiz.
Die Verhandlungen auf zivilgerichtlicher Ebene wegen der Amtshaftungsklage gegen die Republik sind aufgrund des Lockdowns in Österreich vertagt worden, informierte der VSV zudem am Mittwoch. Die nächsten mündlichen Tagsatzungen in der Causa waren für den 1. Dezember beim Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien (ZRS Wien) anberaumt. Nun hat das Gericht die Termine wegen der Pandemie auf 14. März 2022 verschoben. Weitere Verschiebungen könnten laut VSV folgen.
Einvernahmen abgewiesen
Für den VSV sind diese Verschiebungen nicht nachvollziehbar. Bisher seien alle Zivilverhandlungen nach Abwicklung weniger Formalitäten geschlossen worden. Beweissicherungsanträge - etwa die Einvernahme von Ex-Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), Ex-Gesundheitsminister Rudolf Anschober (Grüne), Innenminister Karl Nehammer (ÖVP) und Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) - wurden von den Gerichten abgewiesen. "Eine solche Formal-Verhandlung könnte ohne weiteres - in Pandemie-Zeiten - auch über Online-Plattformen abgehalten werden, geht es doch gerade nicht darum, etwa Zeugen persönlich zu hören", ärgerte sich Kolba. "Wir werden daher nun - statt der Verschiebung - Verhandlungen via Online-Plattform beantragen."
In dem Tiroler Wintersportort Ischgl war es zu Beginn der Pandemie zu einem größeren Ausbruch des Coronavirus SARS-CoV-2 gekommen. Die ersten Fälle wurden Anfang März 2020 bekannt, die Ansteckungen sollen vor allem in Apres-Ski-Lokalen passiert sein. Den Behörden war vorgeworfen worden, zu spät und nicht umfassend genug reagiert zu haben. Ein bereits präsentierter Expertenbericht sah kein Versagen, aber Fehleinschätzungen der Behörden. Druck aus der Tourismuswirtschaft auf Entscheidungsträger wurde nicht festgestellt.