Mehr als sechs Stunden wurde Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wegen mutmaßlicher Falschaussage im Ibiza-Untersuchungsausschuss zu ÖBAG-Causa Anfang September von einem Richter - in Anwesenheit eines Oberstaatsanwalts der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKSTA) - einvernommen. Am Mittwoch hatte das Bundeskanzleramt das Datum enthüllt. Am Freitag fand das 151 Seiten lange Protokoll der Einvernahme den Weg in mehrere Medien, darunter Presse, Krone, Kurier.
Der Kanzler reagierte bei dem Termin bisweilen genervt und patzig auf die Fragen des Richters. Immer wieder eskalierte die Einvernahme, kam es zu Wortgefechten, am Schluss entschuldigte sich der Kanzler.
Für SPÖ-Bundesgeschäftsführer Christian Deutsch ist die Einvernahme für Kurz "katastrophal" verlaufen: "Dass er sogar bei seiner eigenen Einvernahme Attacken auf die Justiz reitet, zeigt die hohe Nervosität des Beschuldigten. Kurz dürfte das Wasser bis zum Hals stehen", so Deutsch. Auch die Neos kritisieren den Verlauf der Befragung. Sie zeige "einmal mehr Kurz’ fehlenden Respekt vor den Institutionen, aber keinen Willen zur Aufklärung“, so Generalsekretär Douglas Hoyos. Für FPÖ-Abgeordneten Christian Hafenecker zeigt das Protokoll eine für Kurz "charakteristische Mischung aus Überheblichkeit und Wehleidigkeit" und skizziere "einmal mehr das Sittenbild einer durch und durch verlotterten türkisen „Familie“."
Ganz anders lautete erwartungsgemäß die Interpretation der ÖVP, die erneut die Korruptionsstaatsanwaltschaft kritisierte: Es zeige sich einmal mehr, "dass die WKStA in ihren Ermittlungen leider parteiisch agiert und ihrer Verpflichtung zur Objektivität nicht nachkommt", meinte Andreas Hanger, Fraktionsführer der Türkisen im U-Ausschuss, in einer Pressemitteilung. Kurz habe bei der Einvernahme "alle falschen Vorwürfe der WKStA entkräften" können, zeigte sich Hanger überzeugt. Damit hätten sich nun "alle ungerechtfertigten Beschuldigungen" "in Luft aufgelöst".
"Ich bin kein Vollidiot"
Laut Protokoll wurde Kurz während der Einvernahme mehrmals emotional. So meinte Kurz voller Entrüstung: „Ich weiß nicht, wie Sie mich einschätzen, aber ich bin kein Vollidiot. Wenn ich weiß, dass Sie all diese SMS haben, wäre es ja nahezu absurd, absichtlich etwas davon Abweichendes zu sagen.“ Später blaffte er den Richter an: „Was wäre ich für ein Würschtel als Bundeskanzler, wenn ich den Sigi Wolf will, und der wird es nicht“.
"Nein, jetzt rede ich!"
Im Detail wurde die Deutung des SMS besprochen, die der spätere Öbag-Vorstand Thomas Schmid, der damals im Finanzministerium arbeitete, nach einer Budgetsteigerung für das Außenministerium an Kurz schrieb, der damals Außenminister war. "Du schuldest mir was :)))" ließ Schmid Kurz damals wissen. Als Kurz erfahren habe, dass die WKStA sich damit beschäftigt, sei er "fast explodiert", gab er zu Protokoll. Er habe "ehrlich gesagt fast meinen Glauben an den Rechtsstaat verloren." Es sei überhaupt nicht das Thema, dass das Außenministerium vor fünf Jahren mehr Geld bekommen hat: "Aber im Hirn der WKStA ist das das Thema, weil die haben einen eigenen Akt dazu angefertigt", schießt Kurz gegen die Staatsanwaltschaft.
Mehrfach wurde die Wortwahl kräftiger, wiederholt bat der Richter um Contenance. „Nein, jetzt rede ich kurz", so der Richter. "Wenn ich hier kurz einhaken kann: Ich verstehe, dass das Ganze emotional wird ... Aber ich muss jetzt schon an der Stelle sagen, bitte mit dem Sprachgebrauch sich ein bisschen einzuschränken."
"Sie drehen mir das Wort im Mund um"
Als der Oberstaatsanwalt der WKStA einige Fragen stellte wollte, wurde es besonders heftig. Kurz sichtlich aufgebracht: „Sie drehen mir schon wieder jedes Wort im Mund um, das ist unglaublich. Ich würde jetzt gern wirklich einen Punkt machen. Das funktioniert nicht so gut zwischen uns.“ Zum Schluss entschuldigte er sich allerdings: "Wenn ich kurz ausführen darf, ich möchte mich in aller Form entschuldigen, ich wollte wirklich nicht unfreundlich und nicht respektlos sein. Ich kenne Ihre Rolle und ich kenne meine."
Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft ermittelt wegen des Verdachts, den Ibiza-Untersuchungsausschuss in mehreren Punkten falsch informiert zu haben. Im Kern geht es um die Frage, wie intensiv Kurz unter Türkis-Blau in die Reform der Staatsholding ÖBAG involviert war. Im Ausschuss hatte der Kanzler seine Rolle heruntergespielt. Später aufgetauchte Chatprotokolle legten eine andere Auslegung nahe. Dass die Befragung durch einen Richter und nicht durch die WKStA erfolgte, war ein Anliegen von Kurz' Anwalt Werner Suppan