Eigentlich war alles anders geplant. Als das erste Mal unter Aktivistinnen und Aktivisten die Idee einer Besetzung aufkam, war stets von der Lobau die Rede. Jener Nationalpark, der im Rahmen der Wiener Nordostumfahrung für einen Autobahnbau untertunnelt werden soll. Die Ankündigung von Klimaministerin Leonore Gewessler (Grüne), alle geplanten Autobahnprojekte zu evaluieren, wollten sie nützen, um mit einer Besetzung öffentlichen Druck zu erzeugen. Jetzt stehen seit bald zwei Wochen dutzende Zelte rund fünf Kilometer von der Lobau entfernt in Hirschstetten.
"Als wir mitbekommen haben, dass Vorarbeiten für die Stadtstraße begonnen haben, haben wir schnell umdisponiert und diese Baustellen besetzt", erzählt Lena Schilling, Mit-Initiatorin der Besetzung und seit Beginn im Dauereinsatz, "denn ohne Lobau-Autobahn ergibt die Stadtstraße wenig Sinn und umgekehrt." Die Stadtstraße soll die Tangente mit der geplanten Lobau-Autobahn verbinden und dabei das Stadtentwicklungsgebiet Seestadt Aspern entlasten. Die Anschlussstelle in der Seestadt gehört aber zum Bauabschnitt der Autobahn. Eine Studie der TU kam 2018 zum Ergebnis, dass diese Entlastung aber nur kurzweilig ist. Die neuen Straßen würden mehr Autos anlocken. Ein Ausbau des öffentlichen Verkehrs würde gemeinsam mit konsequenter Parkraumbewirtschaftung das Gebiet in ähnlichem Ausmaß, dafür nachhaltig entlasten.
Küchen- und Hausaufgabenzelt
Die Aktivisten haben sich auf mehrere Standorte verteilt. Zwei Baustellen sind besetzt, dazwischen haben sie das sogenannte Klimacamp eingerichtet. Rund 40 Menschen seien regelmäßig bei den Morgentreffen, über den Tag verteilt würden an die 100 Menschen zumindest vorbeikommen, schätzt Schilling. Einige schlafen hier und gehen vom Camp in die Arbeit, für die Studenten unter hat das Semester noch nicht begonnen, Pensionisten aus der Nachbarschaft verbringen hier Zeit und viele Schüler, die vergangene Woche noch ganztägig dort waren, kommen jetzt eben nachmittags. Der Schulanfang hat das Camp zwar etwas dezimiert, die Aktivisten schaffen aber Abhilfe. Neben dem Küchenzelt, dem Technikzelt und dem Erste-Hilfe-Zelt soll bald auch eines für Hausaufgaben stehen. Nächste Woche soll auch eine Art Elternabend stattfinden.
Eine der besetzten Baustellen, dort wo die Tangente zur S2 wird, soll einmal eine Autobahnabfahrt zur Stadtstraße werden. Dort ist derzeit nicht viel los, erzählt eine Aktivistin, die gerade von dort ins Zeltlager zurückkommt. Etliche Zelte und Holzkonstruktionen aber keine Bauarbeiter sind dort zu finden. Es gehe hauptsächlich darum, nicht wegzugehen, erzählt sie: "Es darf einfach nicht passieren, dass diese Straße gebaut wird."
Da ist sie sich mit Werner Schandl einig. Der Hirschstettener protestiert seit bald neun Jahren gegen die Stadtstraße und ist einer jener, die täglich im Camp vorbeikommen. Angefangen hat es mit einer Probebohrung im Herbst 2012. Dann habe er zu recherchieren begonnen und die Bürgerinitiative "Hirschstetten-retten" gegründet. Mit und für seine Kinder, wie er erzählt: "Die Stadt hat es verabsäumt, rechtzeitig die Öffis auszubauen und die Taktfrequenz zu erhöhen. Ich will den Kindern eine Stimme geben, die diese toxische Suppe auslöffeln müssen." Schandl hat sich wohl schon oft den Mund fusselig geredet, aus dem Stegreif hat er eine Reihe an Zahlen parat, die die Notwendigkeit der Straße widerlegen. Wie viele Autos dann durch Hirschstetten fahren würden, wie viel lauter das für die Anrainer ist, insbesondere Kindergartenkinder und welche Entlastung mehr Straßenbahnen bringen würden. Er glaubt fest daran, dass die Aktivisten Erfolg haben werden: "Es gibt jetzt die Möglichkeit für die Politik, ohne Gesichtsverlust einen Rückzieher zu machen."
Gekommen, um zu bleiben
Anders als in der Lobau gibt es in Hirschstetten keine endlosen Wälder, keine Aulandschaft, keinen Nationalparkstatus. Das ist auch ein Problem für die Aktivisten: "Hirschstetten ist so weit weg von den Köpfen", sagt Lena Schilling. Aufmerksamkeit für die Stadtstraße zu bekommen sei daher schwierig. Nicht zuletzt deshalb hoffen sie, noch das Ergebnis von Gewesslers Evaluierung abwarten zu können. Entgegen der demonstrativen Ruhe von Seiten der Behörden und der Asfinag wird jederzeit eine Räumung befürchtet. Am Donnerstag ist ein Konzert geplant und langsam wollen die Aktivistinnen und Aktivisten das Camp wetterfester machen. Sie wollen nun doch länger bleiben als geplant.
Peter Schöggl