Ein grauer Stahlzaun, auf dem sich in der Sonne schimmernder Nato-Draht spannt, trennt einen Abschnitt grüner Wiese Litauens von jener Weißrusslands. In wenigen Monaten soll sich ein solcher Zaun über 550 Kilometer der 680 Kilometer langen Grenze spannen. Denn wo sich vor wenigen Monaten noch vorrangig Wildtiere getummelt hatten, passieren seit Monaten Tausende Flüchtlinge und Migranten die Grenze. Allein seit Mai kam es zu 4100 illegalen Übertritten, im gesamten Vorjahr waren es noch 81 gewesen. Ein Großteil von ihnen kommt aus dem Irak. Im baltischen EU-Land hat sich das frühere Randthema Migration seither zum beherrschenden entwickelt.
An diesem Nachmittag stehen Innenminister Karl Nehammer und Außenminister Alexander Schallenberg (beide ÖVP) am weniger als 30 Kilometer von der litauischen Hauptstadt Vilnius entfernten Zaun und blicken auf die weißrussische Seite. Es brauche diese Barriere, denn eine natürliche Grenze wie in Österreich gebe es hier nicht, erklärt ihnen Litauens Außenminister Gabrielius Landsbergis. „Wir können euch ein paar Berge liefern“, scherzt Schallenberg, die drei Minister lachen kurz. Als sie über die Ursache der ungewöhnlich hohen Zahl an Grenzübertritten sprechen, werden sie wieder erst.
Lukaschenko "instrumentalisiert" Migranten
Die „Ursache“ heißt Alexander Lukaschenko, Präsident des benachbarten Weißrussland. Er soll die Migranten laut Berichten gezielt an die litauische Grenze bringen lassen, um so Druck auf die EU auszuüben. Ein Vorgehen, das der Machthaber des als letzte Diktatur Europas geltenden Landes bereits zuvor mehrfach in Aussicht gestellt hatte – als Reaktion auf die verschärften Sanktionen gegen sein isoliertes Land. Man werde die Migranten nicht mehr an der Weiterreise in die Union hindern, denn die EU bezahle nicht mehr für den Schutz der Grenze, hatte er erklärt. Die EU warf Lukaschenko daraufhin vor, Migranten für seine Zwecke zu „instrumentalisieren“.
Nun versucht zum zweiten Mal ein Drittstaat mit Erpressung und Migranten, Druck auf die EU auszuüben, um ihre Politik zu ändern“, erklärt auch Innenminister Nehammer wenig später in einem Ausbildungszentrum für Grenzschutz, unweit ebendieser Grenze. Die EU müsse endlich aufhören, Geld in Aufnahmelager statt in den Grenzschutz zu stecken. Das sende „die falschen Signale“.
"Akt des Zynismus"
Von einem „unglaublichen Akt des Zynismus eines Drittstaates“ spricht Außenminister Schallenberg. „Migranten werden quasi als Waffe eingesetzt.“ Die EU müsse jetzt dringend handeln, „und nicht erst, wenn die Menschen mit falschen Erwartungen an der EU-Außengrenze stehen“.
Die in Grenznähe lebenden Litauer haben mit diesen Neuankömmlingen keine Freude. In manchen Dörfern leben inzwischen mehr Migranten als Einwohner. Diese werden von der Regierung derzeit in dunkelgrünen Zelten und blauen Containern in provisorischen Lagern untergebracht. Verlassen dürfen sie diese nicht. Auch Österreich schickte vor Kurzem 50 zusätzliche Container. Denn die Winter in Litauen sind kalt.
Bei dem Bau dieser Lager legten sich Bewohner der angrenzenden Dörfer immer wieder aus Protest auf die staubige Straße, um Lkw mit Baumaterial an der Zufahrt zu den Arealen zu hindern. Gebaut wurden die Lager dennoch.
„Österreich hat uns als erstes Land Unterstützung und Hilfe angeboten“, erinnert sich der litauische Außenminister Landsbergis, der sich dafür immer wieder bedankt. Es gehe um eine klare Botschaft, sagt der Minister: „Jeder, der illegal in die EU schleichen will, wird zurückgeschickt.“
"Wir haben auf Facebook gelesen, dass die Grenze offen ist"
Eine Botschaft, die inzwischen auch Abdul zu Ohren gekommen sein dürfte. Der Syrer lebt in einem Lager im Grenzort Padvarionys. Er erzählt, dass er aus Saudi-Arabien über Moskau und Weißrussland nach Litauen gekommen ist. Und er bestätigt, dass ihn die weißrussischen Behörden daran nicht gehindert haben. „Wir haben zudem in Facebook-Gruppen gelesen, dass die Grenze zur EU hier offen ist. Weil es politische Probleme gibt.“ Das hat auch viele andere im Lager Lebende die Reise nach Litauen antreten lassen.
Der Beschluss für die Verlängerung des grauen Stahlzauns, vor dem Nehammer und Schallenberg an diesem Nachmittag in der litauischen Sonne stehen, war erst am Montag durch die Regierung erfolgt. 150 Millionen Euro soll dieser kosten, Geld von der EU gibt es dafür nicht. Zwar flossen 36,7 Millionen für den Grenzschutz in das Land, das Geld darf aber nicht für den Zaunbau verwendet werden, hielt die EU-Kommission fest. 35 Beamte der EU-Grenzschutzbehörde Frontex sollen zusätzlich unterstützen.
Österreich als Zielland
Österreich hat 13 Cobra-Beamte in die Grenzregion geschickt. „Denn Litauen sichert durch seinen Grenzschutz nicht nur die litauische Grenze, sondern auch jene von Österreich“, sagt Nehammer. Denn laut den Behörden geben zahlreiche Menschen in den Lagern neben Deutschland auch Österreich als Zielland für ihre geplante Weiterreise an.
Seitdem Litauen Grenzschutz und Zurückweisungen hochgefahren hat, geht die Zahl der illegalen Übertritte wieder leicht zurück. Vertrauen will man diesem Frieden in Vilnius nicht. Innerhalb eines Jahres soll der Zaun zu Weißrussland stehen.