Für den Fall, dass irgendjemandem die Haltung der ÖVP zu Asyl nach Afghanistan unklar sein sollte, hier eine kleine Übersicht über die Wortmeldungen der vergangenen Tage: Am Mittwochabend vergangener Woche setzt Innenminister Karl Nehammer via Twitter den Ton. Die Lage in Afghanistan sei zwar dramatisch, aber: „Die Migrationskrise von 2015 darf sich auf keinen Fall wiederholen“, und Österreich habe gemessen an der Bevölkerung schon jetzt die zweitgrößte afghanische Community der EU. „Klar ist: Österreich schiebt weiter Afghanen nach europarechtlichen Vorgaben ab“, so Nehammer, und: „Dort, wo die Europäische Menschenrechtskonvention Grenzen setzt, muss es Alternativen geben.“
Nehammer am Montag im Ö1-Morgenjournal: „Wir müssen jetzt Hilfe vor Ort leisten. Aber wir dürfen nicht das Signal senden, dass wir Menschen nach Europa holen.“ Man könne mit UNHCR vulnerable Personen in der Region unterbringen. Er übt zudem scharfe Kritik an EU-Innenkommissarin Ylva Johansson. Die EU-Innenminister hätten Johannson extra aufgefordert, keine falschen Signale zu senden sondern klare Kommunikation, Hilfe vor Ort zu leisten, und nicht verwaschene Botschaften zu senden. Sie habe stattdessen von sicheren Fluchtrouten gesprochen, was „das total falsche Signal ist.“
Am Samstag meldet sich Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) aus dem Urlaub zurück – in Sachen Afghanistan gleich doppelt. Einerseits per Vorabmeldung zum puls4-Sommergespräch am Sonntagabend, wo Kurz festhält, „ich bin dagegen, dass wir freiwillig mehr Menschen aufnehmen“ – solange er Kanzler sei, werde das nicht passieren. Zum anderen verstärkt der Kanzler per Aussendung noch einmal die türkise Message: „Wir dürfen die Fehler von 2015 nicht wiederholen.“
Eine Botschaft, die Kurz auch auf seinen Social Media-Kanälen trommelt.
"EU-Kommission agiert kurzsichtig und fehlgeleitet"
Am Sonntagvormittag ist dann wieder Nehammer an der Reihe: Der EU-Kommission – Präsidentin Ursula Von der Leyen hatte die Mitgliedstaaten aufgerufen, schutzbedürftige Afghanen aufzunehmen – attestiert er „eine sehr kurzsichtige und ideologisch fehlgeleitete Politik“, denn: „Es kann nicht unser Ziel sein, abertausende Afghanen nach Europa zu holen! Das ist keine Lösung, sondern schafft viel mehr neue Probleme“, so der Innenminister.
Die harte Linie der Volkspartei mag in der türkis-grünen Koalition für manche Unstimmigkeiten sorgen – der grüne Asylsprecher Georg Bürstmayer spricht auf Twitter von der „schrittweisen Einübung in die absolute Grausamkeit“, die ehemalige Wiener Vizebürgermeisterin Birgit Hebein hat der Koalition wegen ihren Austritt aus der Partei bekanntgegeben –, dürfte aber nicht zuletzt auch mit dem ORF-„Sommergespräch" mit FPÖ-Chef Herbert Kickl am Montag zu tun haben.
"Kickl kann nichts mehr sagen, was Kurz nicht schon gesagt hat"
„Das ist eine ganz bewusste Strategie“, analysiert Politikwissenschaftler Peter Filzmaier im Gespräch mit der Kleinen Zeitung: Die ÖVP bemühe sich, der FPÖ bei dem Thema Migration und Asyl, das diese über lange Zeit praktisch allein besetzt hatte, keinen Platz zum Überholen zu lassen. „Kickl kann heute Abend praktisch nichts mehr sagen, was nicht Kurz schon vor ihm gesagt hätte“, so Filzmaier: Ob Abschiebungen, die Ablehnung der EU-Vorschläge oder die Referenz auf die Massenmigration 2015: Praktisch alle Schlagworte zu dem Thema seien bereits abgedeckt.
Für Filzmaier geht es in dieser Auseinandersetzung um rund eine halbe Million Stimmen – rund 265.000, die bei der Nationalratswahl 2019 von der ÖVP zur FPÖ gewechselt sind, und rund 230.000, die 2017 ihr Kreuz bei den Freiheitlichen gemacht hatten, 2019 aber nicht gewählt haben. Die langfristige Strategie der Volkspartei unter Kurz sei, diese Stimmen zu binden – oder zumindest ein Wiedererstarken der FPÖ zu verhindern.
Für Kickl böte sich dagegen an, verstärkt auf Kritik an den Covid-Maßnahmen zu setzen, so der Politikwissenschaftler: „Da hat die FPÖ heute tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal“, sagt Filzmaier: Während die ÖVP das Migrationsthema abdecke, könne sie als Regierungspartei – Kurz hatte sich am Wochenende für eine 1G-Regel in Discos eingesetzt, sollten die Covid-Zahlen weiter steigen – nicht auf Corona-Leugner und Maßnahmen-Kritiker eingehen. Für die Freiheitlichen dagegen sei ein Fokus auf diese Gruppen eine Möglichkeit, ihr Wählerpotenzial auszuweiten – insofern seien kantige Ansagen Kickls in Sachen Corona zu erwarten.
Kommentar
Georg Renner