Europa sollte eine führende Rolle einnehmen, um zur Stabilisierung und Konfliktlösung in Afghanistan beizutragen, fordert SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner. Österreich könnte dabei eine zentrale Funktion zukommen, stattdessen verheddere sich die Regierung im Streit über die theoretische Frage, ob noch Abschiebungen durchgeführt werden sollen.

Innenminister Karl Nehammer gab eine Pressekonferenz zum Auftakt des Sonderrates der EU-Innenminister. Das Innenministerium wartete vor allem mit konkreten Zahlen zu den Afghanen in Österreich auf: Österreich sei der Staat mit den im Verhältnis zur Bevölkerung zweitmeisten Afghanen, 474 pro 100.000 Österreichern, nach Schweden mit 569 pro 100.000 und vor Deutschland mit 327 pro 100.000 Einwohnern. In den Nachbarländern seien noch wesentlich weniger Flüchtlinge aus Afghanistan aufhältig, in Usbekistan etwa 3, in Tadschikistan 74 pro 100.000 Einwohnern, so Nehammer.

Unterstützung für Nachbarländer

Das ist allerdings ohnehin nicht Thema, sondern Thema ist die finanzielle Unterstützung dieser Nachbarländer, damit diese jetzt mehr Flüchtlinge aufnehmen können. Nehammer kündigte an, dass die bisher zugesagten drei Millionen für die Nachbarstaaten erst der Anfang und noch nicht das Ende seien.

Bei der heutigen Konferenz der Innenminister werde es in erster Linie darum gehen, wie die nachbarschaftliche Hilfe aufgestellt werden kann. "Wir müssen die Menschen in der Region halten." Die UNHCR werde der Garant dafür sein, dass in den Auffanglagern in den Nachbarländern die Menschenrechte gewahrt seien.

In zweiter, aber wichtiger Linie um Abschiebezentren und Anlandeplattformen in den Nachbarländern Afghanistans, "denn das Signal ist: Wir werden auf jeden Fall weiter abschieben, nach negativem Asylbescheid oder wenn Asylwerber kriminell werden". Dieses Signal sei wichtig, um die Schlepper-Aktivitäten krimineller Organisationen zu bekämpfen, um nicht eine Situation wie 2015 zu provozieren. "Wir müssen wissen, wer ins Land kommt, daher müssen wir uns auch um den Außengrenzschutz kümmern, damit Terroristen nicht die Chance ergreifen, unterzutauchen und Unheil nach Europa zu bringen."

Die Fragen, in welchem der Nachbarländer Afghanistans frei denkende afghanische Frauen sicher wären, beantwortete Nehammer mit einer Gegenfrage: "Wollen Sie den Exodus der ganzen Region?

Mehr Geld, eine Stimme, Konferenz

Das Tempo der Entwicklung in Afghanistan habe alle überrascht, so SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner: "Die Taliban haben gewonnen, das müssen wir zur Kenntnis nehmen". Jetzt sei rasches Handeln gefragt. Die Eckpunkte:

  • Die EU müsse einen EU-Sonderbeauftragten für Afghanistan ernennen, der im Namen die Gespräche mit den Nachbarländern Afghanistans aber auch mit den Taliban führe. "Das muss eine angesehen politische Persönlichkeit sein, zum Beispiel ein ehemaliger europäischer Regierungschef oder Außenminister", so Rendi-Wagner.
  • Es müsse darauf hingewirkt werden, dass es zu einer stabilen Übergangsregierung in Afghanistan kommt, die inklusiv ist, die repräsentativ ist, die sich auch Frauen gegenüber öffent bzw. Frauen als Regierungsmitglieder akzeptiert.
  • Diese Regierung müsse dann auch anerkannt werden, denn es gebe keine Alternative, aber im Gegenzug seien alle westlichen Wirtschaftshilfen an entsprechende Bedingungen zu knüpfen. "Das ist der einzige Hebel, der uns bleibt."
  • Österreich könne aktiv werden und sich als neutraler Ort für eine Afghanistan-Sicherheitskonferenz anbieten. Es müsse einen Gleichklang innerhalb Europas geben, mit der UNO an Bord.
  • Die sich abzeichnende humanitäre Krise, eine Flüchtlingskrise müsse mit aller Kraft verhindert werden, man dürfe den Kopf nicht in den Sand stecken und die Menschen einfach kriminellen Schlepperbanden zu überlassen. "Das ist im ganz großen Interesse Europas." Die Nachbarländer müssten finanziell unterstützt werden, und Österreich leiste mit bisher drei Millionen Euro einen beschämend niedrigen Beitrag. "Allein Dänemark, mit der Hälfte der österreichischen Bevölkerung, stellt fünfmal so viel, 13,4 Millionen Euro zur Verfügung."
  • Das große Ziel sei eine Vereinbarung mit Afghanistans Nachbarländern nach dem Muster des Türkei-Deals: "Der hat, bei aller Kritik daran, bis heute gehalten." Im Wege dieses Deals müsse verhindert werden, dass sich die Menschen auf einen unsicheren Weg machen, in die Hände gefährlicher Schlepperbanden begeben, ihr Leben und das ihrer Kinder riskieren, um dann womöglich erst recht an einer Außengrenze zurückgeschoben zu werden. Und außerdem müssten auch die Millionen Menschen, die bereits auf der Flucht seien, in den Nachbarländern Afghanistans versorgt werden.

Die Sicherheitskonferenz ist Rendi-Wagner ein besonderes Anliegen: Nur so könne ein Beitrag zu dauerhafter Stabilität und zum Frieden in der Region geleistet werden, sodass die flüchtenden Menschen auch eine Perspektive auf eine Rückkehr haben. Es dürfe keine "einmalige Show-Konferenz" sind, sondern eine ernsthafte Konferenz, die aus mehreren Dialogen bestehe, in die die UNO, die Nachbarländer in der Region und Afghanistan selbst eingebunden sind.

Die Evakuierung der 25 Österreicher und auch jener afghanischen Menschen, die mit europäischen Institutionen vor Ort zusammengearbeitet haben, der sogenannten "Ortskräfte", sei schnellstens in die Wege zu leiten. Es sei "unfassbar", dass die österreichische Regierung dies verabsäumt habe zu einem Zeitpunkt, wo es noch gegangen wäre, und auch noch am Sonntag, am Tag, an dem Kabul gefallen sei, nur über Abschiebungen disktuiert habe. "Das ist skurril und verantwortungslos."