Sie tragen Namen wie Sumpfbinse, Schlammkraut oder Zweizahn. Glaubt man verschiedenen Umweltorganisationen, sind sie in Wien bald nicht mehr zu finden. Pflanzen wie diese fühlen sich in feuchten Gebieten wohl, die zeitweise auch austrocknen. Die Lobau ist ein solches Gebiet. Am Rande ihrer Altarme, um ihre dutzenden Tümpel und Lacken schlägt der Zweizahn feste Wurzeln. Durch den Bau des Lobautunnels könnte der Grundwasserspiegel derart absinken, dass vielen gefährdeten Tieren und Pflanzen die Lebensgrundlage in der Lobau entzogen wird, warnt etwa Global2000.
Die Asfinag glaubt den Umweltorganisationen nicht. Sie sieht im Lobautunnel "einen Tunnel für Mensch und Umwelt". 2005 präsentierte die Autobahngesellschaft erste Pläne der Streckenführung, spätestens seitdem wird in Wien über die Sinnhaftigkeit des Tunnels diskutiert. Aus Sicht des Straßennetzes liegen die Vorteile auf der Hand. Rund 200 Kilometer ist der Autobahnring um die Bundeshauptstadt lang, etwa 18 Kilometer fehlen noch, zwischen dem Knoten Schwechat und Süßenbrunn im Nordosten. Die Umfahrung, deren Teil der Lobautunnel ist, würde diese Lücke schließen und Österreichs meistbefahrene Straße, die Südost-Tangente A23, massiv entlasten, argumentieren Befürworter.
Kommentar von Günter Pilch
Dem nicht genug, auch die Stadtentwicklung hängt an dem Projekt. Wie die Wiener Verkehrsstadträtin Ulrike Sima (SPÖ) erst kürzlich betonte, könnten ohne die Lobauautobahn und die daran anknüpfende Stadtstraße neue Stadtteile um die Seestadt Aspern nicht realisiert werden. Wohnungen für 60.000 Menschen könnten nicht gebaut werden, rechnete Sima vor. Hinter sich hat Sima eine breite Allianz aus SPÖ, ÖVP, FPÖ und Wirtschaftskammer versammelt.
"Mehr Straßen locken mehr Autos an"
Diese Kalkulation ist zu kurz gegriffen, schreibt Herrmann Knoflacher. Der Verkehrsforscher hat 2018 im Auftrag von Maria Vassilakou (Grüne), der Vorvorgängerin Simas, eine Studie zum Lobautunnel mitverfasst. Der knappe Schluss: "Der Lobautunnel ist nicht erforderlich." Die A23 würde nur kurzfristig entlastet werden. Nach wenigen Jahren seien zwei Effekte zu erwarten, die nach großen Straßenbauprojekten in aller Welt zu beobachten sind: Mehr Straßen locken auch mehr Autos an, und mehr Autoverkehr fördert die Zersiedelung. Der Bau des Tunnels würde langfristigen Zielen der Stadtentwicklung widersprechen. Seit Jahren reden Stadtpolitiker von einer "Stadt der kurzen Wege" und dem Ziel, mehr Menschen in die öffentlichen Verkehrsmittel zu bringen.
Die Wiener Grünen fanden sich während ihrer Regierungsbeteiligung zehn Jahre lang im Dilemma, als erklärte Gegner des Tunnels mit der SPÖ zu regieren. Weil Autobahnen aber ohnehin Bundessache sind, mutierte der Tunnel nie zur Sprengfalle der Koalition. Für die Grünen hat sich zwar der Koalitionspartner und die Ebene geändert, das Dilemma bleibt. Mit der Ankündigung, Autobahnprojekte im ganzen Land einem Klima-Check zu unterziehen hat Ministerin Gewessler nicht nur in der Lobau ein Erdbeben ausgelöst.
Tunnel in Vorarlberg erwünscht
Während die Alternative zum Lobautunnel explizit keine Straße ist, ist in Vorarlberg ausgerechnet ein Tunnel die erwünschte Lösung der Grünen. Der im Nationalrat dazu beschlossene Antrag spricht statt der S18 bei Lustenau dezidiert von einer Verbindung der österreichischen und der Schweizer Autobahn bei Hohenems und Diepoldsau, die eine Untertunnelung des Rheins vorsieht. Mehr Informationen sind dafür bitter notwendig, diesseits und jenseits der Grenze.
Der St. Gallener Regierungsrätin Susanne Hartmann zufolge wurde der Tunnel bisher zwar auf seine bauliche Machbarkeit überprüft. Zu verkehrlichen, umweltrechtlichen und raumplanerischen Aspekten würden noch zu wenig Daten vorliegen. Ins selbe Horn bläst er oberste Verkehrsplaner des Landes Vorarlberg, Jörg Zimmermann. Er sieht darin keine Alternative: "Es hat keine große überlokale Entlastungswirkung. Es liegt in der Kategorie Landes- oder Kantonalstraße", sagte er kürzlich den „Vorarlberger Nachrichten“.
Peter Schöggl