Um Weihnachten herum legten der Kanzler und sein türkises Team den Schalter um. Bei der ersten, vergleichsweise harmlosen Corona-Welle im Frühjahr 2020 agierte Sebastian Kurz als Scharfmacher. Auch zu Beginn der fatalen zweiten Welle im Oktober drängte Kurz den Koalitionspartner zur Eile.

Das war’s dann. Zu Jahresbeginn war das virologische Quartett Geschichte, Innenminister Karl Nehammer verschwand als oberster Warner, der mit der Polizei drohte, in der Versenkung - und das zu einem Zeitpunkt, als es täglich 100 Tote (!) in Österreich zu beklagen gab. Zur Einordnung: In den ersten sechs Corona-Monaten verstarben 800 Österreich am Virus, über den Winter waren es 8000.


Der Kanzler schlüpfte in eine neue Rolle und verströmte über Monate vor allem Zuversicht - dass Österreich mit den Tests und dann mit den Impfungen alles in den Griff bekommen würde. Für Hiobsbotschaften war Kurz nicht mehr zu haben - den Lockdown in Ostösterreich musste der damalige Gesundheitsminister Rudolf Anschober solo verkünden.
Kommunikationstechnisch wurde alles dem Ziel untergeordnet, Österreich im Sommer wieder zurück zur alten Normalität zu führen. Ende August 2020 hatte Kurz in einer Grundsatzrede die Hoffnung geäußert: „Es ist aus heutiger Sicht sehr wahrscheinlich, dass der nächste Sommer wieder ein normaler werden kann.“


Noch im Juni schien das Ziel zum Greifen nahe. „Uns erwartet ein Sommer der Lebensfreude“, erklärte Tourismusministerin Elisabeth Köstinger. Die ÖVP ließ Plakate mit dem Slogan „Die Pandemie gemeistert“ drucken, die Parteizentrale arbeitete eine Sommertour aus, der Kanzler erklärte die Pandemie zur Privatsache, der Staat sollte zu seinen Kernaufgaben zurückkehren. Und die ÖVP-Minister wurde angehalten, wieder zu ihren ureigensten Themen zurückzukehren. Am Dienstag sollte bei der ÖVP-internen Klausur in Baden der Plan für die nächsten Monate fixiert werden, ehe man zum Sommerministerrat am Mittwoch in Reichenau zusammenkommt.


Die Delta-Variante macht dem Vorhaben einer coronafreien Politik einen Strich durch die Rechnung und durchkreuzt die türkise Kommunikationsstrategie. Zweimal tagte bereits die Corona-Taskforce, die Verschärfungen (Nachtgastro, Reiserückkehrer) wurden nie in einer Pressekonferenz, sondern per Aussendung verkündet. Der Sommerministerrat in Reichenau wird leider nicht von der beeindruckenden Bergkulisse, sondern von der vierten Welle dominiert werden.