Wie sehen Sie als Chefin der Ethikkommission die Frage der Impfpflicht? Ist das ethisch vertretbar? Oder sollte es bei der Freiwilligkeit bleiben?
CHRISTIANE DRUML: Das ist eine schwierige Frage. Diese Freiwilligkeit hat natürlich ihre Grenzen. Wenn ich freiwillig über etwas entscheide, das andere Leute stark betrifft, sind die Grenzen klar abgesteckt. Es geht hier nicht um eine Impfung gegen FSME oder Tetanus. Es geht um eine Erkrankung, die unser Wirtschafts- und Sozialsystem weltweit in einen Krisenmodus gebracht hat. Hier kommen wir nur gemeinsam raus. Insofern ist die Verantwortung des einzelnen Menschen anders zu sehen.
Sie meinen, die Impfung ist auch ein Akt der Solidarität?
CHRISTIANE DRUML: Ich erinnere an die Debatte über die Masern-Impfung im Jahr 2015. Die Masern haben damals sehr grassiert, und die Bioethikkommission hat damals betont, es gebe eine gesamtgesellschaftliche Verpflichtung, gegen Masern zu impfen.
Das wäre für alle Österreicher gewesen.
CHRISTIANE DRUML: Bei der Frage der Impfpflicht geht es immer um die Frage der Verhältnismäßigkeit. Der Stich der Impfung ist geringfügig, die Erkrankung ist aber gefährlich, und der Nutzen für die Gesamtbevölkerung, dass alle gegen die Erkrankung geschützt sind, ist ein sehr hoher. Die Verhältnismäßigkeit in Bezug auf die Grundrechte ist gegeben. Das haben wir nochmals Anfang Mai 2019 so entschieden. Ich erinnere daran, ohne Impfpflicht hätten wir die Pocken Ende der 1970er Jahre nicht ausgerottet.
Was ist jetzt mit einer generellen Impfpflicht gegen Covid?
CHRISTIANE DRUML: Das haben wir im November bereits intensiv diskutiert, unsere Meinung war, dass an eine allgemeine Impfpflicht noch nicht zu denken ist. Allerdings haben wir kürzlich darauf hingewiesen, dass die Zukunft offen ist. Es ist aber schon in unserer letzten Stellungnahme angeführt gewesen, dass eine allfällige Ausweitung evidenzbasiert zu überprüfen ist. Sollte es uns nicht gelingen, diese Erkrankung einzudämmen, muss man sich andere Maßnahmen überlegen.
Es gibt zur Impfung keine Alternative?
CHRISTIANE DRUML: Ich glaube nicht, dass es eine Alternative dazu gibt. Die einzige Alternative ist die Erkrankung. Wir wissen nicht, wie schwer jeder einzelne erkrankt. Man kann bei keinem Menschen voraussagen, dass der nur leicht erkrankt. Er kann Long Covid haben und wirklich schwerste Komplikationen.
Was ist mit einer Impfpflicht für gewisse Berufsgruppen?
CHRISTIANE DRUML: Wir bedienen uns einer anderen Terminologie, weil „Impfpflicht“ oft als „Zwangsimpfung“ missverstanden wird. Wir sprechen eher von einer Berufsvoraussetzung, und da ist unsere Sicht eine eindeutige: Wer mit anderen Personen in engem Kontakt steht, sollte davon erfasst werden. Das betrifft nicht nur das gesamte Gesundheits- und Pflegepersonal, sondern auch Hebammen, die 24-Stunden-Pflege.
Derzeit ist es so, dass Krankenhausanstalten oder Pflegeheime darüber befinden?
CHRISTIANE DRUML: Mich haben viele Leiter von Krankenanstalten oder Pflegeheimen angerufen, die gemeint haben, es gibt nichts Schlimmeres als diese Insellösungen, weil dann ein Teil des Personals zu einer anderen Institution geht, wo es nicht diese Verpflichtung gibt. Die Politik muss sich hier festlegen. Ich wüsste nicht, warum es epidemiologisch begründbar ist, dass es in einem Bundesland die Verpflichtung gibt, im anderen nicht. Es muss das gesamte Bundesgebiet einheitlich geregelt sein.
Was ist mit den Lehrern?
CHRISTIANE DRUML: Die Lehrer gehören genauso dazu, weil sie die Multiplikatoren sind und nach dem Prinzip des Nichtschadens und der Fürsorge für die Kinder handeln sollen. Wenn ich als Lehrer nicht geimpft bin, zeige ich null Solidarität für die mir anvertrauten Kinder und für die Eltern, die von einer Quarantäne in die andere fallen und mit den Kindern zu Hause sind.
Und Kindergärtner?
CHRISTIANE DRUML: Nicht nur für Kindergärtnerinnen, sondern das gesamte körpernah tätige Personal, also Friseure, Masseure. In Italien gibt es eine solche Impfpflicht für diese Berufsgruppen, inklusive Apotheker und Veterinäre.
Das wäre auch für Österreich sinnvoll?
CHRISTIANE DRUML: Ja, natürlich.
Auch die Billa-Kassiererin?
CHRISTIANE DRUML: Naja, die Billa-Kassiererin hat wahrscheinlich einen Vorteil, wenn sie geimpft ist, weil doch so viele Menschen täglich an ihr vorbeiziehen. So viele Plexiglasscheiben kann es gar nicht geben.
Gerade im Bildungsbereich gibt es Widerstände?
CHRISTIANE DRUML: Wir haben heute noch keine zugelassenen Impfstoffe für Jüngere unter 12 Jahren. Hier gilt das Prinzip des Nichtschadens, der Fürsorge und der Solidarität, dass man die Kinder schützt und ihnen ermöglicht, weiterhin in die Schule zu gehen. Es wird ständig geredet, wie belastend es ist, dass die Kinder nicht in die Schule gehen können. Gleichzeitig meint man, Lehrer sollten ohne Impfung weiter agieren können. Das läuft darauf hinaus, dass in Schulen ständig getestet werden muss und Masken getragen werden müssen. Solange die Kinder nicht geimpft werden können, haben alle, die mit den Kindern zu tun haben, eine Verantwortung für sie wahrzunehmen.
Was halten Sie von der Idee, dass PCR-Tests ab Herbst kostenpflichtig sein sollen, um die Leute zur Impfung zu zwingen?
CHRISTIANE DRUML: Man muss sich das sehr genau überlegen, weil nicht die gesamte Bevölkerung impfbar ist, da meine ich nicht nur die Kinder, sondern auch diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen ungeimpft bleiben. PCR-Tests haben eine große Bedeutung in der Pandemie. Wir haben den Grundsatz, dass wir Menschen auch dann medizinisch behandeln, wenn sie „selbstverschuldet“ erkranken, also beispielsweise durch Alkoholismus eine schwere Lebererkrankung haben oder durch waghalsige sportliche Aktivitäten schwer verunglücken. Das wäre schon ein Paradigmen-Wechsel, wenn ich sagen würde, die müssen das selbst bezahlen und dürfen auf der Intensivstation nicht gratis behandelt werden. Das ist ethisch in unserer Gesellschaft nicht akzeptabel.