Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne) gibt sich im jüngsten koalitionsinternen Scharmützel ums Klima gelassen. Auf die von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) gestartete Umweltschutz-Verzichtsdiskussion will sie nicht einsteigen, "ich kann mit der Diskussion relativ wenig anfangen", sagte Gewessler am Donnerstag bei einer Pressekonferenz auf Journalistennachfrage. Die Klimakrise stelle "unsere Lebensgrundlage infrage. Mit ständigem Nein-Sagen oder nur mit schönen Worten lässt sich unser Klima nicht retten."
Gewessler sieht großen Handlungsbedarf. "Wir haben im letzten Jahr sehr intensiv erlebt, was es heißt, auf einem kranken Planeten zu leben. Auf einem kranken Planeten gibt es kein gesundes Wirtschaften", so die Umweltministerin. Ziel sei es, den Kindern künftig "ein Stück von diesem wunderschönen Land noch intakt zeigen zu können". Es gehe darum, dass "wir in Österreich noch ein gutes Leben haben können 2040, 2050. Dafür müssen wir jetzt etwas tun und dürfen uns dabei nicht vom alten Denken bremsen lassen." Die Ministerin verwies auf die Umweltschutzvorhaben im Regierungsprogramm. "Dafür hat die Bundesregierung eine große Verantwortung übernommen."
Kommentar
Kurz: "Kein Weg in die Steinzeit"
Ebenso wie Kurz will zwar auch Gewessler auf Innovationen im Umweltschutz setzen. "Ich bin ganz bei der Meinung des Herrn Bundeskanzlers, das heißt nicht zurück in die Vergangenheit, das heißt mutig vorangehen." Man dürfe sich gerade jetzt "nicht von altem Denken bremsen lassen" und nicht immer auf jene hören, "die automatisch nein sagen", fügte sie freilich hinzu.
Während Gewessler den Verkehr als großes Sorgenkind sieht, meinte Kurz, "dass es vollkommen falsch wäre zu glauben, dass wir das Klima in Zukunft dadurch retten können, dass wir uns nur noch im Verzicht üben", denn "der einzig richtige Zugang" sei, auf Innovation und Technologie zu setzen. "Der Verzicht auf Mobilität, der Verzicht zum Arbeitsplatz zu fahren und auf Individualverkehr, das wird nicht funktionieren", befand er in den "VN". "Ich bin überhaupt nicht der Meinung, dass unser Weg zurück in die Steinzeit sein sollte. Ich halte weder etwas von der ständigen Politik des erhobenen Zeigefingers noch von Fantasien, dass man irgendwie leben könnte wie im vergangenen Jahrhundert."
Die Klubobfrau der Grünen, Sigrid Maurer, kontert wiederum Kurz: "Wer glaubt, die Klimakrise bewältigen zu können, ohne etwas zu verändern, der lebt in der Steinzeit", sagt Maurer im Gespräch mit der APA. Man habe Klimaneutralität und ein Ende der Bodenversiegelung vereinbart, und die Evaluierung der Straßenbauprojekte sei ein Schritt dazu. "Wir reden nicht von Eisbären auf weit entfernten Polkappen, sondern die Auswirkungen der Klimakrise sind direkt bei uns spürbar", so die Klubobfrau.
Klimaexperten: Technik allein ist zu wenig
Soll die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad Celsius beschränkt werden, müssten sofort drastische Maßnahmen ergriffen werden, sagt der Klimaökonom Karl Steininger von der Uni Graz. Die "Wundertechnologie, die unser System völlig unverändert lässt" werde es nicht geben. In der Klimakrise nur auf Innovation und Technologie zu setzen, wie vom Kanzler vorgeschlagen, werde nicht reichen, so der Forscher.
Auch Harald Rieder, Klimatologe an der Universität für Bodenkultur kennt kein Szenario, in dem technologische Lösungen allein die Klimakrise aufhalten könnten.
Koalitionsbruch im Bundesrat, Korrektur im Nationalrat
Dem Streit auf Regierungsebene waren Beschlüsse im Bundesrat und im Nationalrat vorgegangen. Die Vorarlberger Bundesrätin Christine Schwarz-Fuchs stimmte vergangene Woche in der Länderkammer einem Oppositionsantrag zu, Evaluierungen von Straßenbauprojekten zu stoppen. Im Nationalrat wurde dieser Koalitionsbruch von den Regierungsfraktionen korrigiert. Auf Antrag der Grünen beschlossen der Nationalrat, Gewessler formell dazu aufzufordern, die S18 erneut zu evaluieren und alternativ eine Tunnelverbindung zwischen der Schweizer N13 und der Vorarlberger A14 Rheintalautobahn bei Hohenems-Diepoldsau erörtert werden.
Grünen-Verkehrssprecher Hermann Weratschnig begründet das Ansinnen damit, dass das 3,5 Kilometer-Teilstück, das zuletzt in einer Machbarkeitsstudie des Kanton St. Gallen geprüft wurde, deutlich kürzer wäre als das Projekt der Bodensee-Schnellstraße und auch schneller umsetzbar wäre. Vorgesehen sei aktuell eine 8,5 Kilometer lange Verbindungsstraße, deren Bau rund 1,5 Milliarden Euro kosten soll und schätzungsweise 20 Jahre in Anspruch nehmen könnte. Die Tunnelverbindung könnte dagegen laut Studie in sechs Jahren umgesetzt werden, so Weratschnig. Auch Vorarlberger ÖVP-Abgeordnete stimmten dem Antrag zähneknirschend zu.
Bei einem Besuch in Vorarlberg stellte sich Kurz nun gegenüber dem ORF im Zusammenhang mit der Bodensee-Schnellstraße S18 offen gegen die Umweltministerin seiner Koalition: "Der Landeshauptmann und ich sind da einer Meinung. Wir sind an der Seite der Bevölkerung. Das Projekt ist schon lange geplant, es ist schon lange versprochen und es muss auch durchgeführt werden." Warum der ÖVP-Klub im Parlament allerdings zuletzt bei einem Antrag dabei war, der Gewessler in dieser Sache den Rücken stärkte, "das weiß ich nicht", erklärte Kurz in den "Vorarlberger Nachrichten" (Donnerstag-Ausgabe). Der ÖVP-Klub wollte die Sache am Donnerstag auf APA-Anfrage nicht kommentieren.
Gegenwind für Gewessler bei Evaluierungen
Der Streit zwischen Grünen und ÖVP um die Straßenbauprojekte schwelt schon seit drei Wochen. Da wurde bekannt, dass die Neubauprojekte der Asfinag aktuell im Rahmen einer Evaluierung bis Herbst geprüft werden, darunter auch heiß umstrittene wie der Lobautunnel in Wien. Die Länder protestierten lautstark. Gewessler gab sich einigermaßen überrascht über die Aufregung, schließlich habe sie die Sache bereits im Dezember per parlamentarischer Anfrage transparent gemacht. Bei den Grünen vermutet man denn auch hinter vorgehaltener Hand, es sei wohl kein Zufall gewesen, dass das Aufreger-Thema just rund um die Befragung des türkisen Kanzlers im Ibiza-U-Ausschuss den Weg in die Medien fand.
Seit die Prüfung der Asfinag-Neubauprojekte publik wurde, weht Gewessler heftiger politischer Gegenwind aus den Bundesländern entgegen. Schon vor zwei Wochen hatte sich Kurz an die Seite der Länder gestellt: "Wir brauchen eine gute Infrastruktur, gerade im ländlichen Raum", argumentierte der Kanzler, er sei "sehr optimistisch, dass sich der Hausverstand durchsetzen wird", denn es handle sich ja um langjährige Projekte.
Befeuert wurde die Debatte jedenfalls nicht nur von den Ländern und Teilen der Opposition, sondern auch vom Koalitionspartner im Bund selbst: So richtete Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) seiner Grünen Regierungskollegin im Radio aus, dass er Verständnis dafür habe, "wenn bei manchen der Eindruck entsteht, dass es hier weniger um sachliche Überprüfung und Verbesserungsmöglichkeiten, sondern mehr um Ideologie geht". "Klimaschutz ist keine Ideologie, Klimaschutz ist ein Fakt", konterte Gewessler. Kurz rief in weiterer Folge nach dem "Hausverstand", sein türkiser Staatssekretär in Gewesslers Haus, Magnus Brunner, legte noch ein Schäuflein nach und warf der Ressortchefin "Verunsicherung" durch ihre "Alleingänge" vor. "Bei Infrastrukturprojekten sitzen immer sehr viele Interessen am Tisch – regionale, überregionale, die Interessen der Wirtschaft. Und mit mir sitzen jetzt auch der Klimaschutz und der Umweltschutz am Tisch", gab sich Gewessler nach außen dennoch unbeeindruckt.