Als eines der zentralen Projekte beschloss die türkis-blaue Koalition vor zwei Jahren eine Reform der Mindestsicherung. Eines der politischen Ziele war es, die hohen Sozialleistungen für die Mehrkind-Familien unter den Zuwanderern zu kürzen.
Das Kind wurde mit dem Bade ausgeschüttet, die mit jedem weiteren Kind stark sinkenden Beträge (ab dem dritten Kind nur noch 43 Euro) vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben.
Wirksam wird die Sozialhilfe Neu erst durch die Ausführungsgesetze der Länder. Mit heutigem Tag tritt das steirische Gesetz in Kraft. Wien, das Burgenland und Tirol bleiben weiter säumig.
Fleckerlteppich für Kinder
Die Kinder und die Wohnkosten sind der Angelpunkt: Das Bundesgesetz sieht nämlich nur Maximalbeträge vor, die Länder können variieren und tun dies auch. Im Falle der Kinder:
- Die Steiermark gewährt für das erste bis dritte Kind 21 Prozent des Richtsatzes für Alleinerzieher (2021 beträgt letzterer 949 Euro, ergibt rund 200 Euro pro Kind, ab dem vierten Kind nur noch 17,5 Prozent.
- In Kärnten und Salzburg gibt es für jedes Kind 21 Prozent.
- Ober- und Niederösterreich zahlt ab dem fünften Kind nur 12 Prozent je Kind.
Eine neue Initiative vertritt indes einen ganz anderen Ansatz: Die Volkshilfe mit ihrem Direktor Erich Fenninger startete eine Kampagne, mit der sie in ganz Österreich für eine Kindergrundsicherung wirbt. Es ist bewusst eine „Petition“ und noch kein „Volksbegehren“, denn man hofft, auf diesem Wege möglichst viele Mitstreiter in den Reihen von Politikern und Zivilgesellschaft zu finden.
Der Ausgangspunkt: Jedes fünfte Kind (rund 350.000) ist in Österreich von Armut betroffen. Arme Kinder machen sich Sorgen um Wohnung und Essen, sie stehen unter Druck und werden krank, sie können keine Pläne und Träume entwickeln und bleiben auch in der Bildung zurück. „Armut vererbt sich“, so Fenninger.
Der Probelauf: Die Volkshilfe probierte das Modell zwei Jahre lang, wissenschaftlich begleitet, mit 23 Kindern aus. Sie zahlte zusätzlich zur Familienbeihilfe eine Unterstützung, auf Basis eines angenommenen Grundeinkommens von 625 Euro.
Das Ergebnis: Die Kinder sind sorgenfrei und gesünder, Eltern und Kinder legten ihre durch die Hilflosigkeit erzwungene „Langsamkeit“ ab und fingen an, sich neu zu orientieren.
Das Ziel: Unterstützung zu sammeln für eine Umstellung des Gesamtsystems oder eine einkommensabhängige Aufzahlung auf die Familienbeihilfe. Die Mehrkosten: 600 bis 700 Millionen Euro.
Wie fühlt sich Armut an?
Wie fühlt sich Armut für ein Kind an? Die Volkshilfe sammelte im Zuge ihres zweijährigen Pilotprojekts Aussagen:
Die Wohnverhältnisse geben Raum sowie Rahmen für das tägliche Leben und Lernen. Sie sind daher ein wichtiger Teil des Lebens und der Identität eines Kindes mit enormer Bedeutung für die körperliche, gesundheitliche und psychische Entwicklung.
Kommt niemand zum Geburtstag, oder kann man nicht mit auf Projekttage in der Schule fahren, manifestiert sich nachhaltig ein Gefühl des nicht dazu Gehörens, des nicht Genügens.
Ergebnisse einer Umfrage unter Ärztinnen und Ärzten zeigen, dass armutsgefährdete Kinder sich häufiger weniger gesund und weniger leistungsfähig fühlen, ein höheres Verletzungsrisiko haben und auch häufiger unter chronische Krankheiten leiden.
Armutsbetroffene Kinder haben kürzere Bildungslaufbahnen, die sich auf ihre spätere Berufslaufbahn negativ auswirken. Nicht genutzte Möglichkeiten der Selbstverwirklichung können später kaum aufgeholt werden.