Angesagte Revolutionen finden nicht statt - so wie die über Wochen getrommelte bevorstehende Abhalfterung Pamela Rendi-Wagners im Herbst vor einem Jahr. Einer der Gründe: Es fand sich kein Königsmörder und zwar vor allem deshalb, weil es an der Bereitschaft eines neuen Königs oder einer neuen Königin fehlt, zu übernehmen.
Friedhofsruhe hingegen sollte Beobachter stutzig machen. Und die Ruhe, die seitdem in der Partei herrschte, war, wie man jetzt weiß, eine äußerst trügerische.
Eine kritische Stimme gab es
Als einer der ganz wenigen meldete sich der Knittelfelder Bürgermeister Harald Bergmann beim Parteitag zu Wort. Die SPÖ müsse sich überlegen, ob sie eine Politik mache für Leute, die Sorgen haben wegen ihres Einkommens, ihrer Lebenserhaltungskosten und die Bildung ihrer Kinder, hatte Bergmann gemahnt. Ob es nicht eher eine Politik für "die Pseudolinken, die im Homeoffice sitzen, sich eine Avocado aus Brasilien einfliegen lassen und via Instagram das Brotbacken beigebracht haben" sei, für die Sozialdemokraten inzwischen stehe.
Im Interview mit der Kleinen Zeitung legt das regionale SPÖ-Schwergewicht noch einmal nach: Die SPÖ habe sich auf Luxusprobleme konzentriert. Viele hätten ihm nach seiner Parteitagsrede gratuliert zu seinem offen ausgesprochenen Befund. Rendi-Wagner hingegen hätte ihm beim Parteitag demonstrativ nicht zugehört.
Auch nach dem Parteitag halten sich die Genossen offiziell bedeckt. Es überwiegt der Appell, die Reihen zu schließen: Die aktuellen Vorkommnisse "grenzen an Selbstzerstörung", formulierte der steirische SPÖ-Chef Anton Lang. Das Streichkonzernt helfe niemandem, es habe "niemanden gegeben, der offen Kritik geübt hat".
Rendi-Wagner mache ihre Sache gut, sagt der Grazer Parteivorsitzende Michael Ehmann, gegenüber der Kleinen Zeitung. Ehmann hat jetzt ebenfalls ein Problem: Wie am Montag bekannt wurde, wird in der Stadt Graz vorzeitig gewählt, und mit Gegenwind aus Wien hat die darniederliegende Stadtpartei noch schlechtere Karten. Ehmann formuliert allerdings auch ganz offen ein Problem: "Viele fühlen sich von der Parteispitze in Wien einfach immer noch zu wenig 'abgeholt'."
Ehmann formuliert auch das aktuelle Dilemma der SPÖ: Rendi-Wagner werde Parteichefin bleiben, aber es werde ihr noch schwerer fallen als bisher, zu reussieren. Und: Das Grazer Beispiel habe gezeigt, wie ein jahrelanger Streit um die Führung eine Partei zerstören könne.
Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser sieht Handlungsbedarf für die Partei: „Es ist nicht die notwendige Basis und Geschlossenheit, die man braucht, um das wichtige Gestalten der Republik mit Hauptverantwortung zu tragen. Hier haben wir auch an uns zu arbeiten.“
Die Fehler an der Spitze
Hinter vorgehaltener Hand sind die Genossen aus allen Teilen des Landes außerhalb von Wien noch viel deutlicher, und sie sehen die Schuld bei Rendi-Wagner, vor allem aber auch bei SPÖ-Geschäftsführer Christian Deutsch:
- Rendi-Wagner stehe seit zweieinhalb Jahren an der Spitze der SPÖ, sei aber nie präsent in Sitzungen auf Landes- oder Bezirksebene, auch nicht bei Online-Meetings.
- Der fehlende Kontakt zur Basis sei die Hauptursache für die Themenverfehlung, die auch Bergmann artikulierte: Kein Gespür für das, was die einfachen Menschen an Sorgen bedrücke.
- Die Parteitagsregie sei völlig in die Hosen gegangen: Das Totengedenken vor der Wahl, die Sitzungordnung die wichtigen Ländervertreter hinter Arbeiterbienenzuchtverband und Arbeiterbriefmarkensammler verbannte, fehlende Musik, die die Stimmung anheizen hätte können, eine Vorsitzende im Business-Outfit, der es beim großen Auftritt an Emotionen mangelte. Dass mehr als die Hälfte nicht bis zum Ende blieb, sei kein Wunder, sagen Beobachter, hätten doch auch führende Funktionäre recht rasch das Weite gesucht. Das sei so noch nie dagewesen.
- Und schließlich: Das System Rendi-Wagner sei aufgebaut auf Leuten aus der Wiener Partei, die nur im Eigeninteresse agierten. "Das gute Abstimmungsergebnis für Michael Ludwig wäre jetzt eigentlich ein Auftrag an ihn, die Überwindung einzuleiten. Wir brauchen eine Bundespartei, die die Länder mitnimmt", sagt ein Funktionär aus dem Süden.
Dass 25 Prozent der Delegierten ihrem Frust durch eine Streichung der Chefin Ausdruck verliehen, schreckte die "Übeltäter" vermutlich auch. Es handelte sich aber offensichtlich tatsächlich nicht um ein orchestriertes Streichkonzert, wie es den Länderorganisationen von Steiermark, Niederösterreich und Burgenland in die Schuhe geschoben werden sollte. Der Kärntner Landtagspräsident Reinhart Rohr ortet "Heckenschützen", die "aus dem Schutz der Unsichtbarkeit heraus mobilisiert haben".
Kaum Raum für Auseinandersetzung
Die, die sich öffentlich nicht äußern, sprechen von "fehlenden Räumen für die Auseinandersetzung": Es sei eben nichts mobilisiert, nichts organisiert worden, aber das sei irgendwie auch das Problem: Der Steirer Max Lercher, ehedem selbst Bundesparteigeschäftsführer, hatte einen "Einigungsparteitag" abseits der Öffentlichkeit gefordert, bei dem alles offen ausgesprochen werden könne. Es war nicht erwünscht. "Vielleicht müssen es Räume jenseits von Sitzungsstrukturen sein", sagt eine langjährige Beobachterin. "Räume, wo es nicht dauernd um persönliche Befindlichkeiten geht, nicht darum, dass einer gleich einen Stempel hat, wenn er was sagt, oder als Heckenschütze ins Eck gestellt wird".
Ein anderer formuliert: "Seit der letzten Wahl ist nur noch Beton angerührt worden. Es ist eine Kultur des Nicht-Redens, die da etabliert wurde."
"Keine Eier für Kritik"
Jetzt wird genug geredet, aber nicht von jenen, die ihrem Unmut beim Parteitag schweigend Ausdruck verliehen. Da hilft es nicht viel, dass Baugewerkschafter Beppo Muchitsch im Mittagsjournal die "Feigheit" beklagt, die "so weh tut": Er kritisiert, dass "diese Delegierten nicht die Eier haben", ihre Kritik offen auszusprechen.
Landesparteichef Hans Peter Doskozil meinte am Rande eines Pressetermins ebenfalls, das Beste sei nun, wenn alle Beteiligten "in Selbstreflexion gehen und sich zuerst selbst hinterfragen und dann die Dinge neu diskutieren".
Rendi-Wagner wird bleiben. Und doch kommt keine Erleichterung auf. "Sie hätte in die ZiB 2 gehen müssen und sagen: Ich werde mich auf die Suche nach den 25 Prozent begeben, weil ich es wissen will, was die treibt", heißt es.