Eine der 72 Forderungen des Anti-Korruptions-Volksbegehrens ist jene nach einer Möglichkeit, höchste Organe wie Regierungsmitglieder ihrer Funktion zu entheben, wenn sie rechtskräftige Entscheidungen nicht befolgen. Aus heutiger Sicht eine Lex Blümel?
CHRISTINA JILEK: Es geht weder um konkrete Personen noch um konkrete Parteien, aber es gibt Anlassfälle, die dazu führen, dass man sich überlegt, ob das System fehleranfällig ist und nachgeschärft werden muss. Einer der Vorschläge ist der, dass eine parlamentarische Minderheit beim Verfassungsgerichtshof beantragen kann, dass ein solches Organ seines Amtes enthoben wird. Das ist wichtig, um den Rechtsstaat zu schützen. Oberstgerichtliche Entscheidungen müssen anerkannt werden, von allen.
Sie haben unter anderem kritisiert, dass Staatsanwälte im Zuge der aktuellen Debatte in den Strudel der Tagespolitik gerieten. Gilt das in der Causa Blümel auch für Verfassungsgerichtshof und Bundespräsident?
Unsere Verfassung hat in hier wirklich gut Vorsorge getroffen, man ist ja fast überrascht, was da alles an möglichen Ereignissen antizipiert und geregelt worden ist. Im Jus-Studium hat man das alles als „totes Recht“ gelernt“.
Das Volksbegehren möchte „säumigen Politikern Feuer unter Hintern machen“. Sie haben zu Protokoll gegeben, in den letzten Jahren „Dinge gesehen zu haben, die sie in diesem Land nicht für möglich gehalten hätten“. Fehlt es Politikern und höchsten Beamten da nicht einfach an Moral und Anstand, und ist diesem Mangel mit der Empörung eines Volksbegehrens beizukommen?
Empörung ist der falsche Begriff. Es geht darum Regeln zu finden, die eine gemeinsame Moral in ein Gesetz fassen. Gerade Anstand und Moral sind etwas sehr Persönliches, aber es gibt einen“ common sense“ über die Grundwerte, wie ein Amt auszufüllen ist, und da wollen wir allgemeingültige Regeln schaffen, Compliance-Regeln, die auch Konsequenzen nach sich ziehen.
Was ist für Sie die Schlüssel-Forderung, um die Politik wieder zu mehr Anstand zu zwingen?
Transparenz und Kontrolle. Wenn ein Beamter, ein Politiker sich immer fragt, ob er etwas auch öffentlich sagen könnte, dann kann ihm nicht viel passieren. Wenn er sich nicht sicher ist, müssten die Alarmglocken schrillen. Und das Grundprinzip der Kontrolle ist, dass sich die Gewalten untereinander kontrollieren. Aber auch innerhalb einer Gewalt, der Gerichtsbarkeit etwa, ist es wichtig, dass die Kontrolle transparent und unabhängig ausgeübt wird und die Macht verteilt ist. Derzeit entscheidet ein Minister, ein Politiker also als Weisungsspitze der Staatsanwaltschaften, der in aller Regel kein Strafrechtsfachmann und – anders als Richterinnen und Richter – als Politiker auch nicht frei von Nebeninteressen ist. Es passt auch nicht zur Gewaltenteilung: Staatsanwaltschaften sind Teil der Gerichtsbarkeit.
Was wären Modelle, an denen man sich orientieren kann?
Da gibt es zum Beispiel das Modell der Bundesstaaatsanwaltschaft. Es gibt unterschiedliche Lösungsansätze, wie diese Behörde aufgebaut sein soll. Eine Möglichkeit ist, diese Fachaufsichtsorgan ohne Weisungsrecht im konkreten Fall auszugestalten, das also gar nicht im Einzelfall darüber entscheidet, ob jemand angeklagt wird oder nicht, sondern etwa für die Rechtsvereinheitlichung sorgt. Man muss das Rad nicht ganz neu erfinden: sinnvoll wäre es auch sich bewährte Systeme in anderen Ländern anzuschauen.
Nachschärfen müsste man etwa bei § 35c Staatsanwaltschaftsgesetz, beim Absehen von der Einleitung von Ermittlungen, wenn es zu keinem Anfangsverdacht kommt. Da hat niemand Akteneinsicht, kein Gericht entscheidet, das ist alles sehr intransparent. Mit der Möglichkeit eines Fortführungsantrages wäre die Vorgangsweise gerichtlich überprüfbar und damit transparent.
Damit reden Sie der Kontrolle über die Staatsanwaltschaft, die ansonsten Einflüssen ausgesetzt ist, die keiner sieht, das Wort?
Genau. Es ist wichtig, dass die Staatsanwaltschaften kontrolliert werden, auch die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. Aber transparent und unabhängig.
Liegt in der Schaffung eines völlig unabhängigen Bundesstaatsanwalts nicht auch eine Gefahr, wenn dieser – im Gegensatz etwa zu einem Minister – keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegt?
Wichtig wäre, dass kein Amt für eine Person geschaffen wird, ein „Justizminister light“, sondern eine Behörde der Gerichtsbarkeit.
Sehen Sie eine Gefahr, durch die Politik vor der Zeit vereinnahmt zu werden und mit ihrem Begehren ins Leere zu stoßen?
Wir lassen uns nicht vereinnahmen, egal in welche Richtung. Wir haben auch ein Schreiben an die Parteien gerichtet, mit der Einladung zu jedem der 72 Punkte konkret Stellung zu beziehen. Das wird dann auch veröffentlicht.
Sie haben im Ibiza-Untersuchungausschuss von den politischen Störfeuern im Zuge Ihrer Ermittlungen berichtet. Was bräuchten die Staatsanwaltschaften, um umbeeinflusst agieren zu können?
Ausreichend staatsanwaltliches Personal, eine eigene Polizeieinheit, die der WKStA untersteht, die oben angesprochene Unabhängigkeit und Transparenz. Und eine transparente Dienstaufsicht mit Akteneinsicht: Auch die Staatsanwaltschaft muss natürlich geprüft werden, auch hier kann es schwarze Schafe geben. Aber im Moment ist es bei dienstrechtlichen Prüfungen so, dass man gar nicht erfährt, auch nicht als Betroffener, wie die ausgehen und wer dort welche Argumente vorbringt. Das kann zwei Wochen dauern oder auch ein Jahr, und man weiß nichts. Das erzeugt eine Drucksituation.
Der Präsident der Finanzprokuratur, Wolfgang Peschorn, wird nicht müde, vor den Interessensnetzwerken zu warnen, deren Nutznießer einander in die Hände spielen. Muss man die nicht benennen, und haben Sie das in ausreichendem Maße getan?
Meiner Ansicht nach ist es ein systemisches Problem. Gerade in der Jusitz brauchen wir ein System, in dem es gar keinen Sinn mehr hat bei einem Politiker zu intervenieren: weder in der Sache noch in Ernennungsverfahren. Auch dazu gibt es konkrete Forderungen im Volksbegehren. Es war mir immer ein Anliegen, Schwächen im System aufzuzeigen und an Lösungen zu arbeiten.
Warum ist bei den Eurofighern, wo so viel auf dem Tisch lag, auch dank des Vergleichs in den USA, nichts weitergegangen?
Zu konkreten Fällen darf ich nichts sagen. Da gilt für mich der Medienerlass.
Wie kann man Verflechtungen zwischen Wirtschaft und Politik begegnen? In welchen Bereichen ist sie nicht zulässig, und welche Hürde müsste man errichten?
Bei Auftragsvergaben zum Beispiel kann man Regeln einziehen. Etwa, dass der Auftragnehmer keine Offshore-Firmen beauftragen darf, und wenn er es doch tut, eine Pönnale und der Rücktritt vom Vertrag drohen. Auch das ist eine Forderung des Volksbegehrens. Denn dass eine Offshore-Firma eingeschaltet worden ist, kann man im Verfahren leicht feststellen, aber wieviel Geld wohin geflossen ist, nicht. Eine solche Regel würde präventiv wirken.
Was wäre die Lehre aus einer Evaluierung in Zusammenhang mit den Eurofighter-Ermittlungen?
Was bei großen Verfahren – losgelöst von dem von Ihnen genannten Fall – sinnvoll ist, ist eine Teambildung von Anfang an, auch um personelle Abgänge – aus welchem Grund auch immer – zu kompensieren und das Wissen im Akt zu sichern. Eine Riesenbereicherung sind Wirtschafts- und auch die IT-Experten, die im forensischen Bereich top sind und vieles sichtbar machen können. Verpflichtende Fallbesprechungen wären ebenfalls eine Möglichkeit, damit von vornherein zielsicher eine Bahn eingeschlagen wird und ein Austausch erfolgt. Und es braucht auch die Polizeieinheit, von der ich gesprochen habe.
Wer einmal mitspielt, der ist erpressbar, haben Sie in einem anderen Interview gesagt und dazu animiert, „Halt“ zu sagen. Braucht es bessere Kronzeugenregelung, um einen Zug, der schon fährt, noch aufzuhalten?
Die Kronzeugenregelung ist eine Möglichkeit im strafrechtlichen Bereich. In der Praxis ist die aktuelle Regelung aber kaum lebbar, weil es so viele Voraussetzungen gibt, die kaum erfüllbar sind.
Zum Beispiel?
Einerseits der Zeitpunkt ganz zu Beginn des Verfahrens. Ein Problem ist, dass man zu einem späteren Verfahrenszeitpunkt keine Möglichkeiten mehr hat. Der Beschuldigte muss aber auch von selber auf die Strafverfolgungsbehörden zukommen und vollständig „ablegen“. Es braucht natürlich gute Regelungen, um auch das Problem der „Vernaderung“ im Griff zu haben. Man muss sich auch darüber klar werden, was es uns wert ist, wie weit man gehen will. Das ist eine gesellschaftspolitische Frage, die den Diskurs braucht. Auch zu dieser Frage, könnte man in anderen Ländern vorhanden Systeme anschauen.
Sie haben in Zusammenhang mit der Ibiza-Affäre rund um parteinahe Vereine ermittelt. In jüngerer Zeit gab es diesbezüglich auch ein paar spektakuläre Prozesse rund um Telekom und ÖVP, wo bei den Parteien und ihren Funktionären strafrechtlich wenig hängengeblieben ist. Was bräuchte es im Strafrecht, um die Missetäter dingfest zu machen?
Bei Korruptionsverfahren ist die Beweisführung in der Regel viel schwieriger als etwa bei einem Mord, wo überspitzt gesagt das „Messer noch steckt“. Das sind Indizienketten, es sind viele Leute beteiligt, die ein Riesenwissen haben, wie man die Systeme umgeht. Die Ermittlungen sind aufwändig und komplex.
Im Korruptionsbarometer, das am Tag vor der Präsentation des Volksbegehrens präsentiert wurde, war die Rede davon, dass 40 Prozent der befragten Österreicher innerhalb der vergangenen 12 Monate selbst Freundschaftsdienste in Anspruch genommen haben, 9 Prozent Bestechungsgeld gezahlt. Haben Sie sich das falsche Volk für Ihr Begehren ausgesucht?
Das zeigt nur, dass Handlungsbedarf besteht. Wenn Korruption ein bestimmtes Ausmaß angenommen hat und man selbst etwas braucht, bleibt einem vielleicht irgendwann einmal gar nichts anderes übrig als mitzuspielen. So weit wollen wir ja gar nicht kommen, dass man seine Rechte nur noch gegen Bakschisch einfordern kann.
Sind wir schon so weit, dass wir von einem „genetischen Code“ der Österreicher sprechen müssen? Und wie können wir dem entgegenwirken?
Ich glaube, man muss bei den Kindern schon anfangen und ein Bewusstsein dafür schaffen wie wichtig und wertvoll und hart erarbeitet unsere Demokratie ist, und was die Konsequenzen sind, wenn ich nur noch meine eigenen Vorteile nutze, die ein anderer nicht hat. Es gibt noch genug Leute, die das so sehen, und da müssen wir gemeinsam ansetzen.
Sind wir so viel schlimmer als andere Länder in Europa?
Da fehlt mir der Vergleich.
Ihr Bauchgefühl?
Was ich in Österreich auffällt, ist die Verniedlichung in der Sprache. Ein Umdenken fängt mit der Sprache an. Die „Freunderlwirtschaft“, das wirkt so nett und harmlos. Die Sprache ist vielleicht ein guter Indikator dafür, wie man denkt und handelt.
Sie sind dem Druck innerhalb der Staatsanwaltschaft gewichen und Richterin geworden. Jetzt setzen Sie sich mit dem Volksbegehren gegen das ganze „System“ womöglich neuem Druck aus. Wo ist Ihre persönliche Schmerzgrenze?
Ich bin nicht dem Druck gewichen, sondern es war für mich alternativlos, weil ich, wie man meinen Aussagen im Ibiza-U-Ausschuss entnehmen kann, meine Arbeit nicht mehr mache konnte, das Gesetz nicht so vollziehen, wie es im Gesetz steht. Druck von außen halten Staatsanwälte aus, wenn die Justiz intern funktioniert, wenn Interventionen nicht gehört werden, wenn alle dasselbe Ziel haben, nämlich gut, rasch und vollständig aufzuklären, dann kann man arbeiten. Um persönliche Befindlichkeiten ist es mir nie gegangen und darf es auch nicht gehen.
Bräuchte es angesichts dieser Erfahrung und des Umstands, dass viele Dinge aus dem U-Ausschuss den Weg in die Öffentlichkeit fanden, unabhängig vom Anlassfall neue Regeln?
Für die Arbeit der ermittelnden Staatsanwaltschaften wäre es wünschenswert beim Konsultationsmechanismus nachzuschärfen. Wenn ein staatsanwaltschaftlicher Akt nach den Vorgaben der Strafprozessordnung etwa von der Akteneinsicht ausgenommen ist, wäre es für erfolgreiche Ermittlungen notwendig, dass man dem Untersuchungsausschuss dessen Existenz gar nicht bekannt gibt. Sowohl die Staatsanwaltschaften als auch der parlamentarische Untersuchungsausschuss müssen ihren Kontrollaufgaben in jeweiligen Bereich vollständig wahrnehmen können und das kann nebeneinander passieren. Wenn Untersuchungsausschüsse, die ja eine andere Stoßrichtung haben, in diesen Causen regelmäßig aufwändige staatsanwaltschaftliche Ermittlungen abwarten müssten, wären sie zahnlos.
Noch einmal zurück zur Causa Blümel: Angesichts des Umstandes, dass die WKStA jetzt ein Rechtshilfeansuchen an die US-Justiz gestellt hat und Apple da jetzt Uralt-Chats und E-Mails sichert, wird auch dem Blümel-kritischen Bürger mulmig zumute. Wo endet die in einem Verdacht begründete, allenfalls auch genehmigungspflichtige Ermittlung, wo beginnt der großflächige unkontrollierte Lauschangriff?
Den konkreten Fall darf ich nicht kommentieren. Da gilt für mich wieder der Medienerlass.
Zu Ihrer rechtlichen Frage ist aber festzuhalten, dass es konkrete gesetzliche Regelungen für eine Telefonüberwachung und die Sicherstellung von Daten gibt. Die Staatsanwaltschaft setzt diese Gesetze mit der Beweismittelsicherung um. Die diesbezüglichen Anordnungen der Staatsanwaltschaft unterliegen auch der Kontrolle des unabhängigen Gerichts. Und ein Punkt ist auch ganz wichtig: es dürfen nur Beweismittel - das sind auch Emails - verwendet werden, die im Zusammenhang mit dem Verdacht einer strafbaren Handlung stehen. Sowohl gegen die Verwendung von zu viel Beweismaterial als auch die Verwendung von zu wenig Beweismaterial kann sich der Beschuldigte bei Gericht beschweren. Auch hier gibt es eine umfassende Kontrolle.
Claudia Gigler