Es gibt einen Tweet, der die letzten und wohl auch kommenden Tage sehr perfekt skizziert: "EM ist super. Jetzt sind alle vier Wochen lang Bundestrainer und Virologen können endlich mal ungestört arbeiten." Für Christian Drosten traf dies an diesem Dienstag nur bedingt zu.
Er wurde bei seiner Arbeit als Direktor am Institut für Virologie in der Berliner Universitätsklinik Charité unterbrochen. Nämlich von Bundeskanzler Sebastian Kurz, denn dieser ist auf Berlin-Besuch.
Mitten drin im Spannungsfeld Wissenschaft, Politik und Medien
Man habe die Einschätzungen über die Pandemieentwicklung im Herbst ausgetauscht, ließ Kurz nach dem Termin verkünden. Ob sie bei diesem Thema einer Meinung waren, ist hingegen nicht überliefert. Wie auch immer Drostens Einschätzungen ausfallen, sie werden über die Grenzen Deutschlands hinaus berichtet. Aktuell mahnt er zu Vorsicht in Bezug auf die Delta-Variante, diese müsse genau beobachtet werden.
Drosten ist Virologe und ist als solcher in dieser Pandemie in das Spannungsfeld zwischen Wissenschaft, Politik und Medien geraten. Zum einen war er wissenschaftlicher Berater der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel bzw. der deutschen Bundesregierung. Zum anderen mutierte er zum Erklärer dieser Pandemie für breite Teile der Gesellschaft - vor allem durch den NDR-Podcast "Coronavirus Update". Und zum dritten war da noch die Diskussion mit einem deutschen Massenblatt. Die "Bild-Zeitung" griff Drosten massiv an, kritisierte eine seiner Studien. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war Drosten in Deutschland mindestens so bekannt, wie der Bundestrainer.
Mit dieser Bekanntheit kam viel Lob und Anerkennung. So wurde Drosten, übrigens gemeinsam mit einer anderen Corona-Erklärerin Mai Thi Nguyen Kim, das Bundesverdienstkreuz verliehen. Diese Bekanntheit brachte aber auch - vor allem - mediale Kritik und einen Platz im Kreuzfeuer von Coronaleugnern, Morddrohungen inklusive.
Experte für Coronaviren
Drosten blieb, zumindest wirkt es so auf Außenstehende und Beobachter, in seinen öffentlichen Auftritten ruhig. Mag sein, dass er seine Ruhe aus seinem umfangreichen Fachwissen zog. Denn das Wissenschaftsmagazin Science bezeichnet ihn als einen der "weltweit führenden Experten im Hinblick auf Coronaviren". Dies kommt nicht von ungefähr. 2003 entschlüsselte er bereits das Sars-Virus und auch 2012 konnte er beim Mers-Ausbruch seine Forschung an Coronaviren vorantreiben.
Und so war es auch nicht verwunderlich, dass einer der ersten Tweets Drostens zu dieser Pandemie im Jänner 2020 sich auf Sars-CoV-1 bezieht:
Apropos Twitter. Auch hier erklärt Drosten umtriebig, er zählt 760.000 Follower. Ebenda teilt er Studien, sein Wissen, seine Einschätzungen. Beefs auf der Microblogging-Plattform liefert er sich, wenn überhaupt mit der "Bild-Zeitung".
Drosten ist ein Mann der Grautöne, schwarz oder weiß ist inmitten komplexer wissenschaftlicher Zusammenhänge zu wenig. Und der Vater eines Sohnes versucht diese Grautöne erklärend zu schraffieren. Am besten ist das im "Coronavirus update"-Podcast zu beobachten. Alle zwei Wochen ist Drosten, abwechselnd mit Virologin Sandra Ciesek, zu Gast, vermittelt neue Studienerkenntnisse, setzt Schlagzeilen in Relation zu Forschungsergebnissen. Und trainiert so all jene, die nach der Karriere des Bundestrainers eine als Virologe anstreben.