Andreas Unterberger, der ehemalige Chefredakteur der "Wiener Zeitung", veröffentlichte vor einigen Tagen auf seinem Blog einen Artikel mit dem Titel "Wenn Teile der Justiz fundamentales Recht brechen". Darin wirft er den Behörden, allen voran der derzeit auch von der ÖVP regelmäßig attackierten Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft - vor, es bestehe "ein eindeutiger Widerspruch zur klaren Judikatur des Europäischen Gerichtshofs, dass österreichische Behörden die Inhalte persönlicher Nachrichten ohne ausreichenden Grund an sich gebracht haben".
Einmal abgesehen von den spannenden Wertungsfragen zur Beschlagnahme und Veröffentlichung von Chatprotokollen, die auch Unterberger aufwirft (wir selbst haben sie hier faktisch und hier grundsätzlich thematisiert): Stimmt das denn so?
Unterberger bezieht sich konkret "zur rechtlichen Präzisierung, warum der Vorwurf des Rechtsbruches stimmt" auf einen relativ aktuellen Spruch des EuGH vom März - hier im Volltext -, dessen zentrale Aussage sich in Randnummer 45 findet:
"Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2002/58 im Licht der Art. 7, 8 und 11 sowie von Art. 52 Abs. 1 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die es Behörden zur Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten ermöglicht, Zugang zu einem Satz von Verkehrs- oder Standortdaten zu erlangen, die geeignet sind, Informationen über die von einem Nutzer eines elektronischen Kommunikationsmittels getätigten Kommunikationen oder über den Standort der von ihm verwendeten Endgeräte zu liefern und genaue Schlüsse auf sein Privatleben zuzulassen, ohne dass sich dieser Zugang auf Verfahren zur Bekämpfung schwerer Kriminalität oder zur Verhütung ernster Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit beschränken würde; dies gilt unabhängig davon, für welchen Zeitraum der Zugang zu den betreffenden Daten begehrt wird und welche Menge oder Art von Daten für einen solchen Zeitraum verfügbar ist."
Unterberger, selbst promovierter Jurist, liest das so, dass "die Beschlagnahme von Chats (von Mails, SMS, Anrufdaten usw.) auf ganz wenige, konkrete Delikte" beschränkt sei, nämlich nur dann, wenn es "um schwere Kriminalität oder um "ernste Bedrohungen der öffentlichen Sicherheit" gehen sollte.
Das ist allerdings eine gewagte Interpretation, der Informations- und Telekommunikationsrechtsexperten widersprechen.
Nikolaus Forgó, Professor für Technologierecht an der Universität Wien, erklärt auf Nachfrage der Kleinen Zeitung: "Das ist ein unsinniges Argument". In dem EuGH-Urteil gehe es um die sogenannte Vorratsdatenspeicherung, also die massenhafte, undifferenzierte Erfassung von Verbindungsdaten - in den aktuellen österreichischen Fällen dagegen gehe es um Untersuchungen in einem konkreten Einzelfall.
Forgó verweist außerdem auf einen Twitter-Thread von Verwaltungs(höchst)richter und Telekom-Rechtsexperte Hans Peter Lehofer, der ebenfalls zu dem Schluss kommt, dass das zitierte Urteil mit der Rechtslage zur Frage von Handy-Beschlagnahmen und Chat-Auswertungen in Österreich nichts zu tun habe:
Schließt das aus, dass die derzeitige Praxis gegen österreichisches, europäisches oder Menschenrechte verstößt? Nicht definitiv - sollte einer der Beschuldigten in diversen Korruptionsermittlungen Rechtsmittel einbringen (etwa gegen die Beschlagnahme ihrer Handys), könnte es dazu Entscheidungen geben.
Der zitierte EuGH-Spruch bezieht sich aber auf anders gelagerte Sachverhalten und ist für diese Fragen nicht relevant.
Georg Renner