In der grellen Nachmittagssonne spaziert Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), eine halbe Stunde von Kopenhagen entfernt, durch ehemalige Militärbaracken. Für 400 abgelehnte Asylwerber ist in den spärlich eingerichteten Zimmern des Rückkehrzentrums Platz. „Die Unterkünfte sind bewusst Minimalstandard“, erklärt ein Zuständiger des Camps beim Rundgang mehrfach. „Denn wir wollen die Leute ja dazu motivieren, wieder in ihre Heimat zurückzugehen.“
Nehammer ist nach Dänemark gereist, um sich über den restriktiven Asylkurs des Landes zu informieren. Erst vor zwei Wochen war im Parlament eines der bisher umstrittensten Gesetze beschlossen worden. Wer im Land um Asyl ansucht, soll von den Behörden sofort und für die Dauer des Verfahrens in ein Asylzentrum in einem Drittland gebracht werden. Wird der Antrag positiv entschieden, soll man trotzdem im Land bleiben oder in ein UN-Flüchtlingslager verlegt werden. Das Ziel: „null“ Asylanträge in Dänemark. Besonders liberal ist das System schon jetzt nicht. 1547 Asylanträge wurden 2020 im Sechs-Millionen-Einwohner-Land gestellt. In Österreich waren es 14.192.
"Der Wohlfahrtsstaat muss geschützt werden“
Davon, dass dieser Vorstoß von einer sozialdemokratischen Regierung und gemeinsam mit einer liberalen Partei beschlossen wurde, zeigt sich Nehammer beeindruckt, als er mit Migrationsminister Mattias Tesfaye in der Innenstadt zusammentrifft. „Das EU-Asylsystem ist kaputt“, erklärt dieser unverblümt. „Der Wohlfahrtsstaat muss unter allen Umständen geschützt werden.“ Als mögliche Orte für die geplanten Asylzentren werden Ruanda, Tunesien, Äthiopien und Ägypten ins Visier genommen, mit diesen Ländern sei man in Gesprächen. „Natürlich kann es nicht sein, dass wir dort einfach nur unsere Probleme abladen“, erklärt Tesfaye. Im Gegenzug sollen den Staaten Investitionen, Kooperationen und andere Vergütungen winken. Das Angebot angenommen hat bisher noch kein Staat.
Einen Konflikt mit seinen sozialdemokratischen Werten sieht der 40-Jährige, dessen Vater selbst als Flüchtling aus Äthiopien kam, nicht. „Ich will, dass Dänemark Menschen hilft. Aber ich will nicht, dass dabei das Wohl unseres Staates gefährdet wird.“ Angesprochen auf die SPÖ-Pläne in Sachen Staatsbürgerschaft wünscht Tesfaye seinen österreichischen Gesinnungskollegen augenzwinkernd „alles Gute“. „Man soll nicht jemandem die Staatsbürgerschaft geben, in der Hoffnung, dass er sich dann integrieren wird.“
Nehammer: "Müssen mehr Druck machen"
Die Fluchtjahre 2015/16 haben die Migrationspolitik der dänischen Partei stark nach rechts getrieben. Und ihnen damit einen Wahlsieg beschert. Auf ein EU-weites Asylsystem wollen sie nicht warten, deshalb geht man dort eigene Wege. Unter anderem mit Rückführungen nach Syrien und hohen Beträgen für jene, die freiwillig in ihre Herkunftsländer zurückkehren. Auf die Idee für die Asylzentren reagierte die EU-Kommission bereits mit einer Androhung rechtlicher Schritte. Auch Menschenrechtsorganisationen üben scharfe Kritik – und befürchten ein Nachziehen anderer Staaten.
Für Österreich wäre ein solches Vorgehen übrigens nicht denkbar. Dänemark hat deutlich mehr rechtliche Freiheiten im Umgang mit Migrationsmaßnahmen innerhalb der EU. „Trotzdem sind wir uns beide einig, dass man auf EU-Ebene mehr Druck machen muss, damit Dinge, die schon jetzt außer Streit stehen, endlich umgesetzt werden“, erklärt Nehammer. Konkret nennt er die Grenzsicherung, effiziente Rückführungen und raschere Asylverfahren. „Es geht darum, dass es ein Recht auf Schutz vor Verfolgung gibt, aber kein Recht, sich das Land, in dem man leben will, auszusuchen.“
"Bleiben bei klarer Linie"
In Sachen Migration knüpft Nehammer damit an ein weiteres EU-Land an, das als Hardliner in Sachen Migration gilt. Erst letzte Woche empfing er den griechischen Migrationsminister Notis Mitarakis und zeigte großes Interesse an seinem Vorhaben, die Türkei für Menschen aus Somalia, Pakistan, Afghanistan, Syrien und Bangladesch zum sicheren Drittstaat zu erklären.
Als Einschlagen eines schärferen Kurses will Nehammer diese Treffen nicht verstanden wissen, versichert er, als er durch die Baracken schlendert. „Wir bleiben bei unserer klaren Linie.“
Christina Traar aus Kopenhagen