Etwas ist ins Rollen gekommen in den vergangenen Tagen. Gleich zwei hohe ÖVP-nahe Amtsträger sind zurückgetreten, ein führender Spitzenbeamter kämpft um seinen Job – allesamt, weil rund um den „Untersuchungsausschuss betreffend mutmaßliche Käuflichkeit der türkis-blauen Bundesregierung“, besser bekannt als Ibiza-U-Ausschuss, Protokolle vertraulicher Chats der Betroffenen öffentlich geworden sind, die ihr Ansehen – vielleicht irreparabel – geschädigt hatten.
Vielleicht der überraschendste Rückzug davon kam gestern wie aus heiterem Himmel: Die milliardenschwere Staatsbeteiligungsholding Öbag gab Dienstagfrüh bekannt, dass Thomas Schmidmit sofortiger Wirkung sein Amt als Öbag-Chef – samt zahlreichen damit verbundenen Aufsichtsratsmandaten – zurücklege.
Schmid findet Chats heute "Falsch und zynisch"
„Es tut mir außerordentlich leid, wenn ich damit jemanden verletzt oder verstört habe“, schreibt Schmid später. „Ich habe mich in diesen privaten Chats in einer Art über Menschen, Organisationen und politische Entwicklungen geäußert, die ich heute bereue. Heute sehe ich klar, dass das falsch und zynisch war“, schreibt Schmid. Er sei daher mit dem Öbag-Aufsichtsrat übereingekommen, seinen Job „einvernehmlich und mit sofortiger Wirkung zurückzulegen“, weil die öffentliche Diskussion um private Nachrichten „eine sinnvolle und konstruktive Tätigkeit nicht mehr möglich“ gemacht habe.
Die ursprüngliche Stellungnahme des Öbag-Aufsichtsrates hatte sich anders gelesen: „Nach der anhaltenden Diskussion der letzten Monate hat der Aufsichtsrat der Öbag die Situation um den Öbag-Vorstand mit juristischer Beratung neuerlich bewertet ...“, heißt es da.
Der Aufsichtsrat hatte Schmid zuvor monatelang die Stange gehalten – obwohl Chatprotokolle, die im Rahmen der Casinos-Ermittlungen auf seinem Handy sichergestellt worden waren – belegt hatten, dass Schmid sich als Generalsekretär und Kabinettschef im Finanzministerium seinen Job bei der Öbag maßgeschneidert hatte, Suche nach „steuerbaren“ Aufsichtsräten und abfällige Äußerungen über potenzielle internationale Bewerber inklusive.
Den Ausschlag für den Sinneswandel im Aufsichtsrat dürften vor zwei Wochen veröffentlichte Chats gegeben haben, in denen er sich unter anderem mit einer Mitarbeiterin über den „Pöbel“ austauschte, mit dem er reisen müsse, seit er keinen Diplomatenpass mehr habe.
Schmid fällt nicht allzu hart: Während Aufsichtsratschef Helmut Kern keine Details nennt, soll der Manager bis zu 250.000 Euro Abfertigung kassieren.
Kommentar
Höchstrichter Brandstetter musste schnell weg
Ursprünglich wollte Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter seinen Sitz am Verfassungsgerichtshof erst mit 1. Juli räumen – so hätte er noch an den aktuellen Beratungen teilnehmen können, in denen es unter anderem um die Corona-Maßnahmen geht.
Es kam anders: Am Montagabend gab der VfGH bekannt, Brandstetter werde sich nun doch mit sofortiger Wirkung zurückziehen. Dem Vernehmen nach soll der schnellere Rücktritt Folge des Widerstands von Kollegen in dem Höchstrichter-Gremium gegen Brandstetters Verbleib sein.
Besonders, dass Brandstetter in einem Chat mit Justiz-Sektionschef Christian Pilnacek vor Veröffentlichung der Entscheidung zur Sterbehilfe und zum Kopftuchverbot das Urteil ausgeplaudert hatte, zumindest angedeutet hatte, wohin die Reise geht, hatte am Wochenende zu Kritik in Justiz- und Juristenkreisen geführt; auch ein Amtsenthebungsverfahren gegen Brandstetter war nicht undenkbar.
Lostage für gestrauchelten Beamten
Noch in der Schwebe hängt das Schicksal Pilnaceks. Der über Jahre mächtigste Beamte des Justizministeriums war nach Amtsantritt der grünen Ministerin Alma Zadic empfindlich in seiner Macht beschränkt worden. Nachdem Ermittlungen gegen ihn wegen Verdachts auf Verrat einer Hausdurchsuchung bekannt geworden waren, suspendierte Zadics Karenzvertreter Werner Kogler den Beamten.
Pilnacek wehrte sich – vergangene Woche wurde vor dem Bundesverwaltungsgericht verhandelt. Das Urteil soll diese Woche ergehen.
Aber selbst wenn Pilnacek recht bekäme, könnten Chats von seinem im Zuge der Ermittlungen beschlagnahmten und für den U-Ausschuss ausgewerteten Handy ihm noch zum Verhängnis werden: Er diskutierte dort freimütig Maßnahmen, um an Material der WKStA zu kommen, intervenierte für ein Familienmitglied um eine Richterstelle und schmähte Verfassungsrichter. Das Justizministerium zieht eine neuerliche Suspendierung in Betracht, sollte die erste nicht ausreichen.
ÖVP-Spitze fiel negativ auf
Auf der aktiven politischen Ebene haben die Entwicklungen bisher zu keinen Rücktritten geführt. Unbeschadet überstanden hat die ÖVP-Spitze die Veröffentlichungen der vergangenen Woche aber nicht.
Einerseits, was die Gunst der Bevölkerung betrifft: Im „Polit-Barometer“ der Gratiszeitung „heute“ und Unique Research stürzten Finanzminister Gernot Blümel, dessen Handy beschlagnahmt worden war, und Bundeskanzler Sebastian Kurz (gegen ihn wird wegen Verdachts auf Falschaussage im U-Ausschuss ermittelt) drastisch ab: Mehr als der Hälfte der 500 Befragten waren die beiden in den vergangenen beiden Wochen negativ aufgefallen – ein Rekordwert.
Andererseits regt sich auch in der ÖVP Kritik: Am Sonntag hatte der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöferdie Partei zur Mäßigung bei Attacken auf die Justiz aufgerufen. Angesprochen auf die bekannt gewordenen Chats erklärte der Landeshauptmann: „Auf den Bundeskanzler bin ich stolz, auf manche in seinem Umfeld nicht so wirklich.“
Auch die Koalition hängt an den Entwicklungen: Sollte Kurz angeklagt oder verurteilt werden, ist fraglich, ob die Grünen die Zusammenarbeit fortsetzen.
Georg Renner